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ArchivDeutsches Ärzteblatt14/2024Medizinforschungsgesetz: Standortförderung durch schnellere Forschung

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Medizinforschungsgesetz: Standortförderung durch schnellere Forschung

Lau, Tobias

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Foto: peterschreiber.media/stock.adobe.com
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Mit dem Medizinforschungsgesetz soll Deutschland wieder einen Spitzenplatz in der klinischen Forschung erreichen. Diese Idee trat jedoch in den Hintergrund, weil die Debatte darüber von zwei äußerst umstrittenen Vorhaben dominiert war.

Eigentlich herrscht grundlegende Einigkeit: Deutschland hat in den vergangenen Jahren vor allem wegen zu langwieriger, komplexer und bürokratischer Verfahren als Pharmastandort massiv an Boden verloren, insbesondere klinische Studien führen die Unternehmen mittlerweile häufiger in anderen EU-Ländern wie Spanien durch. Der Niedergang einer Schlüsselindustrie ist einerseits ein wirtschaftspolitisches Problem, in diesem Falle aber vor allem ein gesundheitspolitisches: Eine Frau mit austherapiertem Brustkrebs habe heute in Dänemark eine zehnmal höhere Wahrscheinlichkeit, in eine klinische Studie aufgenommen zu werden, als in Deutschland, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) Anfang Juli bei der finalen Lesung des Medizinforschungsgesetzes (MFG) im Bundestag. „Das kann so nicht bleiben.“ Das Gesetz werde durch einen besseren Zugang zu klinischen Studien die Überlebenschance vieler Menschen verbessern und gleichzeitig etwas für die Forschung tun.

So würden die Genehmigungen künftig beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) „nur noch über einen Tisch laufen“, erklärte er. Das werde dazu führen, dass klinische Studien in Deutschland „deutlich besser, billiger und schneller“ werden. Deutschland werde „ein Gigant in der Medizinforschung werden“.

Konkret sollen unter anderem Strahlenschutzvorgaben vereinfacht, Mustervertragsklauseln eingeführt, die Arbeit der Arzneimittelzulassungsbehörden optimiert und die Bearbeitungszeit von Studiengenehmigungen auf 26 Tage begrenzt werden – nach Angaben aus Pharmakreisen beträgt sie momentan bis zu 120 Tage. Die Mustervertragsklauseln sollen dabei zum Teil verbindlich formuliert werden; das Bundesgesundheitsministerium (BMG) kann Bestandteile künftig via Rechtsverordnung vorgeben.

Diese Gesetzesinhalte trafen von Anfang an auf breite Zustimmung, sowohl aus der Ärzteschaft als auch aus Industrie und Wissenschaft. Im parlamentarischen Verfahren und den Debatten über den Gesetzentwurf standen jedoch vor allem zwei Vorhaben des BMG im Mittelpunkt, die auf nahezu einhellige Ablehnung stießen: die Schaffung einer Bundesethikkommission und die Einführung vertraulicher Erstattungspreise.

Streitpunkt Bundesethikkommission

Die Einschätzung, dass die Vielfalt und die Komplexität des Systems der Ethikkommissionen in Deutschland vor allem für multizentrische Studien ein Problem ist, wurde noch breit geteilt. Gegen Maßnahmen zur Harmonisierung und Spezialisierung der Ethikkommissionen gab es dementsprechend auch kaum Widerstand. Breite Ablehnung erhielt hingegen die geplante Einrichtung einer zwischenzeitlich zur „Spezialisierten Ethikkommission für besondere Verfahren“ (SEKbV) umfirmierten Bundesethikkommission, die beim BfArM angesiedelt sein soll.

Das untergrabe die Unabhängigkeit der ethischen Prüfung, die unter anderem die Deklaration von Helsinki über ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen vorsieht, kritisierte unter anderem die Bundesärztekammer (BÄK). Denn nicht nur ist das BfArM als oberste Bundesbehörde dem BMG nachgeordnet und damit weisungsgebunden. Das BMG soll – im Benehmen mit den Ländern – auch die Mitglieder der Kommission benennen. „Es kann ja nicht sein, dass der Bundesgesundheitsminister die Ethik von oben bestimmt“, warf die CSU-Abgeordnete Emmi Zeulner Lauterbach im Bundestag vor. „Die Folge wird ein Vertrauensverlust sein und damit auch weniger Teilnahme an klinischen Studien“, prognostizierte ihr Fraktionskollege Hubert Hüppe (CDU).

Noch mehr Diskussionsstoff boten hingegen die Pläne, die Deutschland für die Pharmaindustrie wieder zu einem attraktiveren Standort machen sollen. So erhalten Unternehmen bei der Einführung neuer Arzneimittel künftig die Option, im Anschluss an die Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband vertrauliche Erstattungsbeträge zu vereinbaren.

Breiter Widerstand gegen Vertraulichkeit

Nach Lauterbachs Darstellung könne dies zu niedrigeren Arzneimittelpreisen führen: Da Deutschland für viele andere europäische Gesundheitssysteme als Referenzmarkt diene, an dem sie sich bei ihrer Erstattungspreisfindung orientieren, würden hierzulande eingeräumte Rabatte auch zu Preissenkungen in anderen Märkten führen. Das habe zur Folge, dass in Deutschland die höchsten Erstattungspreise abgerufen würden. „Transparenz zugunsten aller anderen, und wir zahlen – das kann nicht richtig sein“, betonte er im Bundestag.

Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) unterstützte Lauterbachs Vorhaben – ansonsten stand er mit seiner Sicht aber ziemlich allein. Die Krankenkassen warnten sogar, im Gegensatz zu seiner Auffassung, vor einer Kostenexplosion. Es handele sich um Standortförderung mit Beitragsgeldern, kritisierte der GKV-Spitzenverband. Zudem könnten Ärztinnen und Ärzte dem Wirtschaftlichkeitsgebot nicht mehr folgen, wenn sie den Preis eines zu verordnenden Medikaments nicht mehr kennen. Die Linke wiederum hielt bis zuletzt an dem Vorwurf fest, die Regelung sei einzig durch Kungelei mit dem Konzern Eli Lilly entstanden. Lauterbach wies das entschieden zurück.

Umfangreiche Nachbesserungen

Selbst aus der Ampelkoalition kam massiver Widerstand. Die Grünen-Abgeordnete Paula Piechotta erklärte bereits im Bundesgesundheitsausschuss, dass es ihr Ziel sei, die Regelung im parlamentarischen Verfahren aus dem Entwurf zu streichen. Das hat sie nicht geschafft, zeigte sich aber letztlich zufrieden mit den Änderungen, die die Abgeordneten noch hineinverhandelt hatten: Neben der bereits genannten Neuerung, dass die Unternehmen die Vertraulichkeit erst nach den Verhandlungen festlegen dürfen, gehören dazu vor allem ein verpflichtender Preisabschlag von neun Prozent, ein automatisches Auslaufen der Regelung zum 30. Juni 2028 sowie eine Evaluation bis Ende 2026. Die Einhaltung des Wirtschaftlichkeitsgebots soll zudem mit Vorgaben an die Primärsystemhersteller ermöglicht werden. Sie müssen demnach künftig „die Wirtschaftlichkeit (...) so darstellen, dass der Ärztin oder dem Arzt auch ohne Kenntnis der konkreten Therapiekosten die wirtschaftliche und zweckmäßige Auswahl der Arzneimitteltherapie ermöglicht wird“, hieß es in den dahin gehenden Änderungsanträgen (Kasten).

Zudem soll es Voraussetzung für die Vertraulichkeit sein, dass das Unternehmen wesentliche pharmazeutische Forschung in Deutschland betreibt. Eine ähnliche Regelung wurde auch mit Blick auf die von der Pharmaindustrie viel kritisierten „Leitplanken“ zur Kostensenkung bei der Preisbildung eingeführt: Arzneimittel mit geringem Zusatznutzen sind künftig von ihnen ausgenommen, wenn das Unternehmen nachweisen kann, dass mindestens fünf Prozent der Probanden in den klinischen Studien zum Medikament in Deutschland behandelt wurden.

Regressrisiko und mehr Bürokratie

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) warnt vor einem steigenden Regressrisiko und mehr bürokratischem Aufwand für Niedergelassene durch die Einführung vertraulicher Erstattungspreise im MFG. Die Vorgaben an Hersteller von Praxisverwaltungssystemen (PVS), die Wirtschaftlichkeit eines Arzneimittels auszuweisen, ohne den konkreten Preis zu nennen, sei realitätsfremd. Zudem sei ein „völlig unzweckmäßiger“ Zeitverzug zu erwarten, da die Rahmenvorgaben zu Arzneimitteln jeweils jährlich bis zum 30. September eines Kalenderjahres zu vereinbaren seien. Die entsprechenden Wirtschaftlichkeitshinweise müssten danach durch die Anbieter in die Verordnungssoftware übernommen werden, was wiederum mit einer Umsetzungsdauer von drei bis sechs Monaten verbunden sei. „Es entsteht also eine erhebliche zeitliche Lücke, bis die entsprechenden Informationen beim einzelnen Arzt angekommen sind. Damit steigt das Regressrisiko enorm“, erklärten die Vorstandsmitglieder Dr. med. Andreas Gassen, Dr. med. Stephan Hofmeister und Dr. med. Sibylle Steiner.

Auch auf Ärztinnen und Ärzte in Krankenhäusern könnten zusätzliche Belastungen zukommen, kritisiert wiederum der Marburger Bund (MB). Denn eine weitere Änderung im Gesetz sieht vor, dass Daten zum ärztlichen Personal zukünftig von den Krankenhäusern auch gegliedert nach den Leistungsgruppen zu übermitteln sind. Die Folge seien umfangreiche Datenlieferungsverpflichtungen für die Krankenhäuser, die eine minutengenaue Dokumentation der ärztlichen Tätigkeiten erforderlich machten. „Das ist absurd, demotivierend und raubt den Ärztinnen und Ärzten noch mehr Zeit für ihre Patienten“, kritisiert die Vorsitzende des Marburger Bundes, Dr. med. Susanne Johna. Zudem seien die einzelnen Leistungsgruppen noch gar nicht bekannt.

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