Opéra-comique (Werkgattung)

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Die Opéra comique hat ihre Ursprünge auf den Pariser Jahrmärkten des 18. Jahrhunderts, hier die Foire Saint-Laurent.

Die Opéra comique (auch Opéra-comique, frz. ‚komische Oper‘; eigentlich Maskulinum, also ‚der‘) ist eine in Paris entstandene Operngattung, bei der die musikalischen Nummern nicht durch Rezitative verbunden sind, sondern durch gesprochenen Dialoge. Sie ist damit das Pendant zum deutschen Singspiel beziehungsweise der Spieloper oder komischen Oper.

Die Opéra comique verwendete keine antiken mythologischen Sujets wie die Tragédie lyrique, sondern historische oder gegenwärtige Stoffe, und ihre Helden sind keine Adligen. Sie besteht in der Regel aus drei Akten.

Begriff

Ob der Charakter eines Werkes komisch oder tragisch ist, spielt für diese Gattungsbezeichnung keine Rolle. Die Opéra comique ist oft gar nicht komisch, sondern hat eher rührend-sentimentale Handlungen, was sich bei Übersetzungen ins Deutsche noch verstärkte. Das hat damit zu tun, dass die Tragödie bis zum 18. Jahrhundert dem Adel vorbehalten war (siehe Ständeklausel) und das aufstrebende Bürgertum sich mit Komödien begnügen musste. Deshalb wurde die Opéra comique zu einer bürgerlichen Oper, die sich von der (tragischen) höfischen Oper ebenso distanzierte wie von den (komischen) Jahrmarktsvergnügungen.

Ebenso wurde mit der ursprünglichen Opéra comique das Einheimische gegen die italienischen Kulturimporte ausgespielt, was für das Singspiel im deutschen Sprachgebiet ebenso eine Rolle spielte wie in Frankreich. Da große Teile gesprochen waren, konnten die Partien auch von Schauspielern ausgeführt werden, während man für die Oper (italienische) Gesangsvirtuosen benötigte.

Weil es im deutschen Sprachgebiet auch im 19. Jahrhundert noch das Hoftheater für die Repräsentation des Adels gab, im Unterschied zu Paris, hielt sich hier der ursprüngliche Sinn der Opéra comique als Gegengattung zur höfischen Oper (zum Beispiel in Albert Lortzings Singspielen, am radikalsten in seiner „Freiheitsoper“ Regina, 1848), während diese Gattungsbezeichnung in Paris nach der Französischen Revolution mit der Institution der Opéra-Comique und ihren Vorschriften und Gegebenheiten zusammenfiel. Daher muss man eine bieder-bürgerliche Opéra comique des 18. Jahrhunderts, die sich um ein bürgerliches Selbstbewusstsein bemühte, ohne es sich mit den Aristokraten zu verderben, von einer großstädtisch-glanzvollen Opéra comique des 19. Jahrhunderts unterscheiden.

18. Jahrhundert

Eine der für die frühe Opéra comique typischen Freilichtaufführungen.

Im Pariser Jahrmarktstheater wurden seit dem 17. Jahrhundert Komödien mit eingelegten Vaudevilles (bekannten Melodien) gegeben. Die Konkurrenz mit den italienischen Truppen im frühen 18. Jahrhundert und die zunehmende Beachtung durch das Pariser Bürgertum führten zu einer Aufwertung dieser Stücke.

Als ein Gesangsverbot auf den Jahrmärkten 1714 aufgelöst wurde (das jedoch nicht das letzte an diesen Orten bleiben sollte), schlossen sich zwei französische Theatertruppen zur Institution der Opéra comique zusammen, die eine französische Alternative zu den italienischen Opern bieten sollten. Alain-René Le Sages Opernparodie Télémaque trägt um 1715 als eines der ersten Stücke die Gattungsbezeichnung Opéra comique. In die Vaudevilles waren Lieder mit neuen Texten zu bekannten Melodien eingelegt, in der Opéra comique war dagegen auch die Musik neu komponiert. Oft wurden diese Stücke „comédie mêlée d'ariettes“ oder „drame mêlé de chants“ genannt, was die Mischung aus gesprochenem Text und Gesang anzeigt. Unterschätzt wird heute häufig die Bedeutung des Gesellschaftstanzes für diese frühen populären Opern.

Die Rivalität zwischen italienischer und französischer Musik wurde stets von Neuem angefacht. Als eine italienische Operntruppe in Paris 1752 wiederum sehr erfolgreich war, präsentierte der Philosoph und Musiker Jean-Jacques Rousseau mit seinem Intermède Le Devin du village (Der Dorfwahrsager) eine Opéra comique, die den Italienern mit Hilfe des Hofes Konkurrenz machen konnte. Rousseau, der sich über den Erfolg freute, aber durchaus nicht zur konservativen „französischen“ Partei gehörten wollte, zettelte daraufhin mit einem öffentlichen Brief (Lettre sur la musique française, 1753) den sogenannten Buffonistenstreit an, indem er die französische Opernmusik pauschal verurteilte und ihr die italienische Opera buffa als leuchtendes Beispiel voranstellte.

Wie ihre italienischen Vorbilder (v. a. La serva padrona, 1733) behandelt Rousseaus Kurzoper den Erfolg einfacher Leute, aber Komik und Intrige sind zugunsten der konstruktiven und positiven Handlungselemente (vgl. Rührstück) stark zurückgenommen. Obwohl sich Rousseau in dieser Oper um französische Rezitative bemühte, machte sein Beispiel nicht Schule. Man blieb in der Opéra comique beim gesprochenen Text der Jahrmarktskomödien. Aber der schlichte, sentimentale Ton wies den „ernsthaften“ Stücken dieses Genres einen Weg.

André Grétry nach der Französischen Revolution

So wurde die Opéra comique nach der Jahrhundertmitte zu einer „bürgerlichen“ Opern-Alternative einerseits gegenüber der höfischen Tragédie lyrique und andererseits gegenüber dem „vulgären“ Vaudeville. Komponisten wie François-André Danican Philidor oder Pierre-Alexandre Monsigny entwickelten ihre musikalischen Mittel.

Der Dichter Charles Simon Favart (1712–1792) rühmte sich, mit der Opéra comique eine Oper für die „honnêtes gens“, das Bürgertum seiner Zeit, geschaffen zu haben. Er arbeitete etwa mit dem italienischen Komponisten Egidio Duni zusammen. Nach ihm ist die Salle Favart benannt, das „Haus“ der Opéra comique. Nicolas Dalayrac (1753–1809) vertrat eine leichtere, komödienhafte Spielart der Opéra comique. Seine Gesangspartien konnten oft noch von Schauspielern gemeistert werden. Der Komponist André Grétry (1741–1813) gilt als ein Wegbereiter der moderneren, dramatischeren und musikalisch gewichtigeren Opéra comique. Seine Oper Richard Cœur-de-lion (1784) enthält eine mehrmals wiederkehrende patriotische Melodie, die oft als Vorform des Leitmotivs gedeutet wurde. Zur Opéra comique der Revolutionszeit gehören Werke von Étienne-Nicolas Méhul, Nicolas Isouard oder François Devienne.

Wirkung im deutschen Sprachgebiet

Im deutschen Sprachgebiet wurde die Opéra comique bewundert und nachgeahmt, aber ihr Witz wurde oft nicht verstanden. So wurde Marie Duroncerays Les amours de Bastien et Bastienne (1753), eine bissige Parodie auf Rousseaus Devin du village, in der von Mozart vertonten deutschen Fassung Bastien und Bastienne (1768) wieder zum bieder-rührenden Singspiel. Neben den parodistischen gab es gewiss auch sentimentale Originale, die in Deutschland besser verstanden wurden: Méhuls rührender Joseph (1807) wurde im deutschen Sprachgebiet häufig gespielt und regte ähnliche deutschsprachige Opern an wie Joseph Weigls Die Schweizer Familie (1809).

Die älteren Opéras comiques bildeten bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ein unerschöpfliches Reservoir für Übersetzungen, Bearbeitungen und Neuvertonungen in andern Sprachen. Die deutschen Wanderbühnen hatten stets auch opéras comiques im Repertoire, die sich mit relativ geringem Aufwand aufführen ließen. Selbst die erste Wiener Operette Das Pensionat (1860) geht noch auf eine ältere Opéra comique zurück. Eine nationalistisch orientierte Theater- und Musikgeschichtsschreibung seit dem Ende jenes Jahrhunderts versuchte allerdings oft, die deutschsprachigen Spielopern als Originalwerke auszugeben.

Da Paris nicht nur die Kultur der Höfe anleitete, sondern bis ins 19. Jahrhundert auch die größte Stadt auf dem europäischen Kontinent war, kamen die meisten kulturellen Strömungen von dort. Christoph Willibald Gluck (1714–1787) komponierte als Kapellmeister des Französischen Theaters (Burgtheater) in Wien auf französische Libretti zwischen 1758 und 1763 mehrere opéras comiques, bevor sich dieses Theater dem deutschsprachigen Singspiel zuwandte wie Mozarts Die Entführung aus dem Serail (1782), was im 19. Jahrhundert als bürgerlicher und „nationaler“ Triumph des „Deutschen“ gesehen wurde.

19. Jahrhundert

Adelina Patti als Marguerite am Spinnrad in Gounods Faust: Die Opéra comique ist traditionell die Oper der „einfachen Leute“.

Die Emanzipation der Opéra comique war gleichsam vollendet, als sie nach der Revolution an die Stelle der höfischen Tragödie treten konnte. Zur Opéra comique dieser Art gehört Luigi Cherubinis tragische Oper Médée (1797). In Verbindung mit dem Theatermelodram ergaben sich allerdings modernere Typen der Tragödie oder Tragikomödie wie die Rettungsoper mit ihren Abenteuerstoffen. Beethovens Fidelio (1805–1814) vollzieht diese Entwicklung nach: Orientiert sich der erste Akt noch weitgehend an der rührstückhaften älteren Opéra comique, begibt sich Beethoven im weiteren Verlauf der Komposition mit einem Melodram und dem spektakulären Befreiungs-Quartett in den Bereich der Rettungs-Oper, um im großen utopischen Chorfinale das Werk gleichsam oratorienhaft zu beenden.

Die moderneren „Spektakelstücke“ Frankreichs hatten auch erheblichen Einfluss auf die sogenannte romantische Oper, wie zum Beispiel auf Carl Maria von Webers Der Freischütz (1821).

Mit der Tradition dieser jüngeren und größeren Opéra comique verbindet man die Namen der Komponisten François-Adrien Boïeldieu (1775–1834) und Daniel-François-Esprit Auber (1782–1871). Im Jahr 1827/28, als der Melodram-Dichter und -Produzent René Charles Guilbert de Pixérécourt Direktor der Opéra-Comique war, waren sich die Varianten des Pariser Musiktheaters so nahe wie nie zuvor, und es spaltete sich die Grand opéra als Folgegattung für die altmodisch gewordene Tragédie lyrique ab. Die politische Bedeutung der Opéra comique kam nur noch gelegentlich zum Tragen und ging auf die Grand-opéra über wie in Aubers La muette de Portici (1828), deren Aufführung am 25. August 1830 in Brüssel die belgische Revolution auslöste. Obwohl dieses Stück heute aufgrund der fünf Akte und Rezitative zur Grand-opéra gerechnet wird, behielt es durch die integrierte pantomimische Rolle und die sozial niedrig stehenden Hauptfiguren Eigenschaften der Opéra comique bei.

Der Postillon von Lonjumeau (1836) von Adolphe Adam (1803–1856) wurde zu einer der auch im deutschen Sprachgebiet erfolgreichsten Opéras comiques. In ihr zeigt sich die Ideologie der älteren Opéra comique, in der das Komische zum Sentimentalen tendiert, noch sehr deutlich. Die vorgebliche Bigamie der Hauptfigur stellt sich als Treue heraus, weil sich die zweite Ehefrau des zum Gesangsstar gewordenen Postillons als seine verlassene erste entpuppt: Er führt also kein Lotterleben, sondern ist im Grunde doch ein pflichtbewusster Bürger.

Zur repräsentativen großbürgerlichen Operngattung wurde im 19. Jahrhundert dann allerdings die Grand opéra (die ihrerseits an eine Pariser Institution, die „Opéra“, gebunden war) mit ihrem hauptsächlichen Vertreter Giacomo Meyerbeer. Die Opéra comique hatte zunehmend Mühe, sich zu profilieren, und eiferte ihr nach. Sie konnte sich nicht mehr als Gegengattung zur höfischen Oper ausgeben. Mit den modernen Vaudevilles der Boulevardtheater und später mit den Music Hall-Attraktionen entstand dagegen eine Art Musiktheater für Dienstboten und Arbeiter, sodass die Opéra comique ebenso wie die Grand Opéra das gehobene Bürgertum repräsentierte.

Dies bemängelte der Komponist Jacques Offenbach und erklärte in einer Abhandlung von 1856, dass er die Opéra comique als „einfache und wahre“ Oper (le genre primitif et vrai) des 18. Jahrhunderts wiederbeleben wolle, weil die im Haus der Opéra-Comique gespielten Stücke mittlerweile „kleine Grand Opéras“ geworden seien. Das Ergebnis war Offenbachs Pariser Operette im Théâtre des Bouffes-Parisiens.

Emilie Ambre in Zigeunertracht als Carmen. Gemälde von Édouard Manet

Doch die größer dimensionierte Opéra comique konnte sich halten, weil die Grand opéra nach Meyerbeers Tod 1864 erschöpft schien. Mit Georges Bizets Carmen (1875) wurde sie wieder zur führenden französischen Oper. Die Tradition, dass die Opéra comique eine Operngattung der „einfachen Leute“ war und auch tragische Schicksale in diesem Milieu darstellen konnte, wurde mit Carmen aufgenommen und radikalisiert (denn die Hauptfigur schert sich dort nicht um bürgerliche Werte), was bei der Uraufführung zu einem Skandal führte, sich aber im Nachhinein durchsetzte.

Gegen die Tendenzen der Zeit waren jedoch die traditionell gesprochenen Dialoge der Opéra comique. Weil die Gesangspartien von Schauspielern nicht mehr zu bewältigen waren und Sänger Mühe mit den gesprochenen Dialogen hatten, gab es aufführungspraktische Schwierigkeiten. Außerdem empfand man oft die Stückelung der Musik als der Oper nicht mehr angemessen. Dies führte dazu, dass viele Opéras comiques nachträglich mit Rezitativen versehen oder große Ballette integriert wurden. Carmen teilt das Schicksal der nachkomponierten Rezitative mit Charles Gounods Faust (1859) und Jacques Offenbachs Les Contes d'Hoffmann (1881), die als letzte bedeutende Werke der Gattung gelten.

Zur Vermeidung des Begriffs Opéra comique wurde mehr und mehr auch die Gattungsbezeichnung Drame lyrique gebraucht. Mit dem Drang zur durchkomponierten Form verschwand die Opéra comique allmählich, etwa zur selben Zeit, da in Deutschland Singspiel beziehungsweise Spieloper dem Musikdrama als „hohes“ und der Wiener Operette als „niederes“ Genre wichen. – Tragédie lyrique wurde als Gattungsbegriff von Jules Massenet wieder verwendet, auch „Opéra lyrique“ taucht gelegentlich auf.

Werkauswahl

Siehe auch

Literatur

  • Herbert Schneider, Nicole Wild (Hg.), Die Opéra comique und ihr Einfluß auf das europäische Musiktheater im 19. Jahrhundert, Hildesheim: Olms 1997. ISBN 3-487-10250-1
  • Sieghart Döhring, Sabine Henze-Döhring, Oper und Musikdrama im 19. Jahrhundert. Laaber: Laaber 1997. ISBN 3-89007-136-8