„Nordkreuz“ – Versionsunterschied

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{{Dieser Artikel|1=behandelt die rechtsextreme Gruppierung. Für den ebenfalls manchmal ''Nordkreuz'' genannten Bahnhof in Berlin siehe [[Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen]].}}
{{Dieser Artikel|1=behandelt die rechtsextreme Gruppierung. Für den ebenfalls manchmal ''Nordkreuz'' genannten Bahnhof in Berlin siehe [[Bahnhof Berlin-Gesundbrunnen]].}}


'''Nordkreuz''' nannte sich eine Gruppe von mindestens 54 [[Rechtsextremismus|rechtsextremen]] deutschen [[Prepper]]n, die sich auf die Massentötung von als politische Gegner betrachteten [[Flüchtling]]shelfern vorbereitet haben soll. Die Gruppe bildete sich Anfang 2016 in [[Mecklenburg-Vorpommern]] und wurde im August 2017 bekannt. Sie war mit ''Südkreuz'', ''Westkreuz'' und ähnlichen Gruppen Teil des rechtsextremen [[Hannibal (Netzwerk)|Hannibal-Netzwerks]], das 2018 entdeckt wurde.
'''Nordkreuz''' nannte sich eine Gruppe von mindestens 54 [[Rechtsextremismus|rechtsextremen]] deutschen [[Prepper]]*innen, die sich auf die Massentötung von als politische Gegner*innen betrachteten [[Flüchtling]]shelfer*nnen vorbereitet haben soll. Die Gruppe bildete sich Anfang 2016 in [[Mecklenburg-Vorpommern]] und wurde im August 2017 bekannt. Sie war mit ''Südkreuz'', ''Westkreuz'' und ähnlichen Gruppen Teil des rechtsextremen [[Hannibal (Netzwerk)|Hannibal-Netzwerks]], das 2018 entdeckt wurde.


== Entdeckung ==
== Entdeckung ==
Bei den [[Terrorermittlungen gegen Bundeswehrsoldaten ab 2017]], die sich vor allem gegen den rechtsextremen Oberleutnant der [[Bundeswehr]] ''Franco Albrecht'' und seine Kontaktpersonen richteten, stieß das [[Bundeskriminalamt (Deutschland)|Bundeskriminalamt]] (BKA) auch auf Horst S., einen früheren Luftwaffenoffizier und Major der Reserve. Bei seiner Vernehmung durch den Staatsschutz am 13. Juli 2017 sagte er aus, eine überwiegend aus ehemaligen Elitesoldaten bestehende Gruppe „Nord“ bereite sich gezielt auf den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung an einem „Tag X“ vor. Mindestens ein Mitglied der Gruppe habe aus „Hass auf [[Politische Linke|Linke]]“ und Flüchtlinge Namen, Adressen und Fotografien von Zielpersonen gesammelt, die „weg“ müssten. Er habe den Ordner mit diesen Daten und ein Waffendepot gesehen.<ref name="Focus9Nov18">[https://www.focus.de/politik/deutschland/planten-anschlag-fall-franco-a-bka-hat-hinweise-auf-netzwerk-innerhalb-der-bundeswehr_id_9877882.html ''Fall Franco A.: BKA hat Hinweise auf Netzwerk innerhalb der Bundeswehr.''] [[Focus Online]], 9. November 2018.</ref> Bei einem Treffen von vier Mitgliedern der Gruppe habe der Besitzer des Waffenverstecks geäußert, dass Personen, „die von der Flüchtlingspolitik profitieren“, im Krisenfall „gesammelt und zu einem Ort verbracht werden sollen, an dem sie dann getötet werden sollen“. Er beurteilte das als bloße Gedankenspiele „besorgter Bürger“. Nur zwei Gruppenmitglieder hätten diese „radikalere Richtung“ vertreten.<ref>[https://www.sueddeutsche.de/news/politik/extremismus---schwerin-kipping-fordert-information-ueber-nordkreuz-liste-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-190706-99-951297 ''Extremismus - Schwerin: Kipping fordert Information über „Nordkreuz“-Liste.''] [[Süddeutsche Zeitung]] / [[Deutsche Presse-Agentur|dpa]], 7. Juli 2019.</ref>
Bei den [[Terrorermittlungen gegen Bundeswehrsoldaten ab 2017]], die sich vor allem gegen den rechtsextremen Oberleutnant der [[Bundeswehr]] ''Franco Albrecht'' und seine Kontaktpersonen richteten, stieß das [[Bundeskriminalamt (Deutschland)|Bundeskriminalamt]] (BKA) auch auf Horst S., einen früheren Luftwaffenoffizier und Major der Reserve. Bei seiner Vernehmung durch den Staatsschutz am 13. Juli 2017 sagte er aus, eine überwiegend aus ehemaligen Elitesoldat*innen bestehende Gruppe „Nord“ bereite sich gezielt auf den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung an einem „Tag X“ vor. Mindestens ein Mitglied der Gruppe habe aus „Hass auf [[Politische Linke|Linke]]“ und Flüchtlinge Namen, Adressen und Fotografien von Zielpersonen gesammelt, die „weg“ müssten. Er habe den Ordner mit diesen Daten und ein Waffendepot gesehen.<ref name="Focus9Nov18">[https://www.focus.de/politik/deutschland/planten-anschlag-fall-franco-a-bka-hat-hinweise-auf-netzwerk-innerhalb-der-bundeswehr_id_9877882.html ''Fall Franco A.: BKA hat Hinweise auf Netzwerk innerhalb der Bundeswehr.''] [[Focus Online]], 9. November 2018.</ref> Bei einem Treffen von vier Mitgliedern der Gruppe habe der Besitzer des Waffenverstecks geäußert, dass Personen, „die von der Flüchtlingspolitik profitieren“, im Krisenfall „gesammelt und zu einem Ort verbracht werden sollen, an dem sie dann getötet werden sollen“. Er beurteilte das als bloße Gedankenspiele „besorgter Bürger*innen“. Nur zwei Gruppenmitglieder hätten diese „radikalere Richtung“ vertreten.<ref>[https://www.sueddeutsche.de/news/politik/extremismus---schwerin-kipping-fordert-information-ueber-nordkreuz-liste-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-190706-99-951297 ''Extremismus - Schwerin: Kipping fordert Information über „Nordkreuz“-Liste.''] [[Süddeutsche Zeitung]] / [[Deutsche Presse-Agentur|dpa]], 7. Juli 2019.</ref>


Horst S. bestritt jeden Kontakt zu Franco A., gab aber zu, dass er über das rechtsextreme [[Thule-Seminar]] Bücher über die [[Waffen-SS]] gekauft hatte, angeblich aus bloßem Interesse an der Biografie seines Großvaters. Über die Kontaktdaten seines Handys stießen die Ermittler auf sechs Mecklenburger Prepper, die sich in ihrer Chatgruppe „Nordkreuz“ über einen erwarteten Staatskollaps austauschten und diesen zum Töten linker Gegner nutzen wollten. Der [[Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof|Generalbundesanwalt]] veranlasste eine gleichzeitige Hausdurchsuchung bei diesen sechs Personen. Am 28. August 2017 beschlagnahmte die Bundespolizei dabei Festplatten und Datenträger. Zwei der sechs Personen wurden festgenommen und beschuldigt, „schwere staatsgefährdende Gewalttaten“ (Terroranschläge) vorbereitet zu haben. Die übrigen wurden zunächst als Zeugen vernommen. Am 4. September 2017 erfuhr der [[Ausschuss für Inneres und Heimat (Deutscher Bundestag)|Innenausschuss des Deutschen Bundestages]] erstmals von der Nordkreuzgruppe und den Inhalten ihrer Kommunikation.<ref name="WAZ15Sep17"/>
Horst S. bestritt jeden Kontakt zu Franco A., gab aber zu, dass er über das rechtsextreme [[Thule-Seminar]] Bücher über die [[Waffen-SS]] gekauft hatte, angeblich aus bloßem Interesse an der Biografie seines Großvaters. Über die Kontaktdaten seines Handys stießen die Ermittler auf sechs Mecklenburger Prepper*innen, die sich in ihrer Chatgruppe „Nordkreuz“ über einen erwarteten Staatskollaps austauschten und diesen zum Töten linker Gegner*innen nutzen wollten. Der [[Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof|Generalbundesanwalt]] veranlasste eine gleichzeitige Hausdurchsuchung bei diesen sechs Personen. Am 28. August 2017 beschlagnahmte die Bundespolizei dabei Festplatten und Datenträger. Zwei der sechs Personen wurden festgenommen und beschuldigt, „schwere staatsgefährdende Gewalttaten“ (Terroranschläge) vorbereitet zu haben. Die übrigen wurden zunächst als Zeugen vernommen. Am 4. September 2017 erfuhr der [[Ausschuss für Inneres und Heimat (Deutscher Bundestag)|Innenausschuss des Deutschen Bundestages]] erstmals von der Nordkreuzgruppe und den Inhalten ihrer Kommunikation.<ref name="WAZ15Sep17"/>


== Mitglieder ==
== Mitglieder ==
Gründer und Leiter der Gruppe sowie Administrator ihres Chats war der langjährige [[Landeskriminalamt (Deutschland)|LKA]]-Beamte Marko G. aus [[Banzkow]], der einem [[Spezialeinsatzkommando]] (SEK) angehörte. Er war früher Fernspäher und Fallschirmspringer, als SEK-Mitglied ist er etwa auf Geiselbefreiung trainierter Präzisionsschütze.<ref name="taz6Juli19">Christina Schmidt, Sebastian Erb: [https://taz.de/Rechter-Terror-in-Deutschland/!5608261/ ''Rechter Terror in Deutschland: Auf der Feindesliste.''] [[Die Tageszeitung|taz]], 6. Juli 2019.</ref> Nach Recherchen der [[Die Tageszeitung|taz]] fiel er schon bei der [[Bundeswehr]] mit einem „Interesse für die jüngere Militärgeschichte“ der NS-Zeit auf. 1993 war er bei einer Einheit in einem Brandenburger Panzerbataillon, aus der eine [[Maschinenpistole]] vom Typ [[Uzi]] verschwand. Sie wurde 2019 in der Wohnung von Marko G. gefunden. Während seiner Fortbildung zum gehobenen Polizeidienst brachte er Bücher über die [[Wehrmacht]] und die [[Schutzstaffel|SS]] zur Arbeit mit und trug T-Shirts mit rechtsextremen Parolen. 2009 meldeten mindestens zwei Polizisten sein Verhalten mündlich und schriftlich Vorgesetzten, die jedoch nichts unternahmen. Ab 2015 administrierte Marko G. unter dem Pseudonym „Hombre“ die Chatgruppen der Nordkreuzmitglieder, organisierte Treffen, sammelte Geld für ihre Depots und wies ihnen Aufgaben zu. Im November 2016, als seine Gruppe Ermittlern schon bekannt war, schickte er einem Trainer auf dem privaten Schießplatz für Spezialkräfte in [[Güstrow]] ein Video von einem Nussknacker, der seinen rechten Arm nach oben bewegt und „[[Hitlergruß|Sieg Heil]]“ sagt. Im Januar 2017 sandte der Schießtrainer ihm Regeln zur „Reinhaltung der Deutschen Rasse“ von 1938.<ref name="taz4Apr2020">Christina Schmidt, Sebastian Erb, Natalie Meinert, Daniel Schulz: [https://taz.de/Rechte-Prepper-Gruppe-Nordkreuz/!5674282/ ''Rechte Prepper-Gruppe Nordkreuz: Die Spur nach Güstrow.''] taz, 4. April 2020</ref> Am 20. April 2017, dem „[[Führergeburtstag]]“, sandte Marko G. ihm ein Bild [[Adolf Hitler]]s mit der Aufschrift „Happy Birthday”.<ref name="Westfalenblatt3Mär2020">Christian Althoff: [https://www.westfalen-blatt.de/Ueberregional/Nachrichten/Politik/4160331-NRW-Innenministerium-bestaetigt-Beim-SEK-sind-Patronen-verschwunden-Polizeimunition-in-falschen-Haenden ''Polizeimunition in falschen Händen.''] Westfalenblatt, 2. März 2020</ref>
Gründer und Leiter der Gruppe sowie Administrator ihres Chats war der langjährige [[Landeskriminalamt (Deutschland)|LKA]]-Beamte Marko G. aus [[Banzkow]], der einem [[Spezialeinsatzkommando]] (SEK) angehörte. Er war früher Fernspäher und Fallschirmspringer, als SEK-Mitglied ist er etwa auf Geiselbefreiung trainierter Präzisionsschütze.<ref name="taz6Juli19">Christina Schmidt, Sebastian Erb: [https://taz.de/Rechter-Terror-in-Deutschland/!5608261/ ''Rechter Terror in Deutschland: Auf der Feindesliste.''] [[Die Tageszeitung|taz]], 6. Juli 2019.</ref> Nach Recherchen der [[Die Tageszeitung|taz]] fiel er schon bei der [[Bundeswehr]] mit einem „Interesse für die jüngere Militärgeschichte“ der NS-Zeit auf. 1993 war er bei einer Einheit in einem Brandenburger Panzerbataillon, aus der eine [[Maschinenpistole]] vom Typ [[Uzi]] verschwand. Sie wurde 2019 in der Wohnung von Marko G. gefunden. Während seiner Fortbildung zum gehobenen Polizeidienst brachte er Bücher über die [[Wehrmacht]] und die [[Schutzstaffel|SS]] zur Arbeit mit und trug T-Shirts mit rechtsextremen Parolen. 2009 meldeten mindestens zwei Polizist*innen sein Verhalten mündlich und schriftlich Vorgesetzten, die jedoch nichts unternahmen. Ab 2015 administrierte Marko G. unter dem Pseudonym „Hombre“ die Chatgruppen der Nordkreuzmitglieder, organisierte Treffen, sammelte Geld für ihre Depots und wies ihnen Aufgaben zu. Im November 2016, als seine Gruppe Ermittler*innen schon bekannt war, schickte er einem Trainer auf dem privaten Schießplatz für Spezialkräfte in [[Güstrow]] ein Video von einem Nussknacker, der seinen rechten Arm nach oben bewegt und „[[Hitlergruß|Sieg Heil]]“ sagt. Im Januar 2017 sandte der Schießtrainer ihm Regeln zur „Reinhaltung der Deutschen Rasse“ von 1938.<ref name="taz4Apr2020">Christina Schmidt, Sebastian Erb, Natalie Meinert, Daniel Schulz: [https://taz.de/Rechte-Prepper-Gruppe-Nordkreuz/!5674282/ ''Rechte Prepper-Gruppe Nordkreuz: Die Spur nach Güstrow.''] taz, 4. April 2020</ref> Am 20. April 2017, dem „[[Führergeburtstag]]“, sandte Marko G. ihm ein Bild [[Adolf Hitler]]s mit der Aufschrift „Happy Birthday”.<ref name="Westfalenblatt3Mär2020">Christian Althoff: [https://www.westfalen-blatt.de/Ueberregional/Nachrichten/Politik/4160331-NRW-Innenministerium-bestaetigt-Beim-SEK-sind-Patronen-verschwunden-Polizeimunition-in-falschen-Haenden ''Polizeimunition in falschen Händen.''] Westfalenblatt, 2. März 2020</ref>


Die beiden vom Generalbundesanwalt Beschuldigten sind der Rechtsanwalt Jan Hendrik H. aus [[Rostock]] und der Kriminaloberkommissar Haik J. aus [[Grabow (Elde)|Grabow]]. Jan Hendrik H. war Abgeordneter der [[Freie Demokratische Partei|FDP]] in der Bürgerschaft Rostocks und trat 2015 aus, behielt aber sein Mandat. 2017 war er stellvertretender Vorsitzender der „Unabhängigen Bürger für Rostock“ (UFR), die bis 2019 Rostocks Oberbürgermeister stellten.<ref name="Vice29Aug17">[https://www.vice.com/de/article/neekb7/alles-was-wir-uber-die-mutmassliche-rechte-terrorzelle-von-mecklenburg-wissen ''Rechter Terror: Alles, was wir über die mutmaßliche rechte Terrorzelle von Mecklenburg wissen.''] [[Vice (Magazin)|Vice]], 29. August 2017.</ref> Haik J. arbeitete in der Polizeiinspektion [[Ludwigslust]]. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, seinen Dienstcomputer zur Recherche personenbezogener Daten von linken politischen Gegner*innen genutzt zu haben.<ref name=":0">{{Internetquelle |autor=Martina Renner & Sebastian Wehrhahn |url=https://www.cilip.de/2019/11/27/schattenarmee-oder-einzelfaelle-rechte-strukturen-in-den-sicherheitsbehoerden/ |titel=Schattenarmee oder Einzelfälle? – Rechte Strukturen in den Sicherheitsbehörden {{!}} CILIP Institut und Zeitschrift |werk= |hrsg= |datum= |abruf=2020-04-17 |sprache=de-DE |zitat=}}</ref>
Die beiden vom Generalbundesanwalt Beschuldigten sind der Rechtsanwalt Jan Hendrik H. aus [[Rostock]] und der Kriminaloberkommissar Haik J. aus [[Grabow (Elde)|Grabow]]. Jan Hendrik H. war Abgeordneter der [[Freie Demokratische Partei|FDP]] in der Bürgerschaft Rostocks und trat 2015 aus, behielt aber sein Mandat. 2017 war er stellvertretender Vorsitzender der „Unabhängigen Bürger für Rostock“ (UFR), die bis 2019 Rostocks Oberbürgermeister stellten.<ref name="Vice29Aug17">[https://www.vice.com/de/article/neekb7/alles-was-wir-uber-die-mutmassliche-rechte-terrorzelle-von-mecklenburg-wissen ''Rechter Terror: Alles, was wir über die mutmaßliche rechte Terrorzelle von Mecklenburg wissen.''] [[Vice (Magazin)|Vice]], 29. August 2017.</ref> Haik J. arbeitete in der Polizeiinspektion [[Ludwigslust]]. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, seinen Dienstcomputer zur Recherche personenbezogener Daten von linken politischen Gegner*innen genutzt zu haben.<ref name=":0">{{Internetquelle |autor=Martina Renner & Sebastian Wehrhahn |url=https://www.cilip.de/2019/11/27/schattenarmee-oder-einzelfaelle-rechte-strukturen-in-den-sicherheitsbehoerden/ |titel=Schattenarmee oder Einzelfälle? – Rechte Strukturen in den Sicherheitsbehörden {{!}} CILIP Institut und Zeitschrift |werk= |hrsg= |datum= |abruf=2020-04-17 |sprache=de-DE |zitat=}}</ref>
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Weitere Mitglieder sind der Bundeswehrmajor Horst S. aus [[Krakow am See]] (bis März 2017 Vizelandeschef des Reservistenverbandes von Mecklenburg-Vorpommern) und der Handwerksmeister Axel M. aus [[Crivitz]]. Bei ihm trafen sich die rund 30 männlichen Mitglieder, manchmal mitsamt Frauen und Kindern. Die meisten Mitglieder wohnen in Ortschaften zwischen [[Schwerin]], [[Hagenow]] und Ludwigslust. Mindestens zwei von ihnen (Marko G. und Haik J.) sind Mitglied der Partei [[Alternative für Deutschland]] (AfD). Fast alle sind [[Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr|Reservisten der Bundeswehr]] im Kreisverband des [[Flughafen Rostock-Laage#Militärischer Flugbetrieb|Fliegerhorsts Laage]]. Jan Hendrik H. gab an, er sei [[Kampfschwimmer]] bei der [[Nationale Volksarmee|NVA]] gewesen.<ref name="WAZ15Sep17">Jörg Köpke: [http://www.waz-online.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Mecklenburg-und-die-Eiserne-Reserve ''Mecklenburg und die Eiserne Reserve.''] [[Wolfsburger Allgemeine Zeitung]], 15. September 2017.</ref>
Weitere Mitglieder sind der Bundeswehrmajor Horst S. aus [[Krakow am See]] (bis März 2017 Vizelandeschef des Reservistenverbandes von Mecklenburg-Vorpommern) und der Handwerksmeister Axel M. aus [[Crivitz]]. Bei ihm trafen sich die rund 30 männlichen Mitglieder, manchmal mitsamt Frauen und Kindern. Die meisten Mitglieder wohnen in Ortschaften zwischen [[Schwerin]], [[Hagenow]] und Ludwigslust. Mindestens zwei von ihnen (Marko G. und Haik J.) sind Mitglied der Partei [[Alternative für Deutschland]] (AfD). Fast alle sind [[Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr|Reservisten der Bundeswehr]] im Kreisverband des [[Flughafen Rostock-Laage#Militärischer Flugbetrieb|Fliegerhorsts Laage]]. Jan Hendrik H. gab an, er sei [[Kampfschwimmer]] bei der [[Nationale Volksarmee|NVA]] gewesen.<ref name="WAZ15Sep17">Jörg Köpke: [http://www.waz-online.de/Nachrichten/Politik/Deutschland-Welt/Mecklenburg-und-die-Eiserne-Reserve ''Mecklenburg und die Eiserne Reserve.''] [[Wolfsburger Allgemeine Zeitung]], 15. September 2017.</ref>


Gegenüber dem Magazin [[Panorama (Magazin)|Panorama]] gab Marko G. nach der Razzia an, die Gruppe setze sich aus Bankern, Medizinern, Sportlern, Technikern, Ingenieuren, Polizisten und selbstständigen Handwerkern zusammen.<ref name="NDR7Sep17">Fabienne Hurst, [[Robert Bongen]], Julian Feldmann: [https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2017/Rechtsterror-Ermittlungen-Gruender-der-Prepper-Gruppe-ist-Polizist,prepper100.html ''Rechtsterror-Ermittlungen: Gründer der „Prepper“-Gruppe ist Polizist.''] [[Panorama (Magazin)|Panorama]], 7. September 2017.</ref> Laut dem [[Bundesamt für Verfassungsschutz]] (BfV) stammen die meisten Mitglieder aus dem Umfeld von Bundeswehr und [[Polizei Mecklenburg-Vorpommern]], darunter mehrere frühere SEK-Mitglieder. Sie hätten alle Zugang zu Waffen, Munition und seien geübte Schützen.<ref name="TS28Jun19"/>
Gegenüber dem Magazin [[Panorama (Magazin)|Panorama]] gab Marko G. nach der Razzia an, die Gruppe setze sich aus Banker*innen, Mediziner*innen, Sportler*innen, Techniker*innen, Ingenieur*innen, Polizist*innen und selbstständigen Handwerker*innen zusammen.<ref name="NDR7Sep17">Fabienne Hurst, [[Robert Bongen]], Julian Feldmann: [https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2017/Rechtsterror-Ermittlungen-Gruender-der-Prepper-Gruppe-ist-Polizist,prepper100.html ''Rechtsterror-Ermittlungen: Gründer der „Prepper“-Gruppe ist Polizist.''] [[Panorama (Magazin)|Panorama]], 7. September 2017.</ref> Laut dem [[Bundesamt für Verfassungsschutz]] (BfV) stammen die meisten Mitglieder aus dem Umfeld von Bundeswehr und [[Polizei Mecklenburg-Vorpommern]], darunter mehrere frühere SEK-Mitglieder. Sie hätten alle Zugang zu Waffen, Munition und seien geübte Schütz*innen.<ref name="TS28Jun19"/>


Frank T., der Inhaber des Schießplatzes und Schießtrainer der Firma ''Baltic Shooters'' in Güstrow, war bis 2017 Mitglied bei Nordkreuz. Marko G. und jener Trainer, mit dem er rechtsextreme Chatnachrichten austauschte, waren bei Frank T. angestellt. Er ist mehrfacher deutscher Meister mit der Kurzwaffe und bildet Spezialkräfte aus Deutschland und dem Ausland aus, darunter Sondereinsatzkommandos, Bereitschaftspolizei, Teams der [[GSG 9 der Bundespolizei]], vom [[Einsatzkommando Cobra]] aus Österreich, [[SWAT]]-Teams aus den USA und Soldaten vom [[Kommando Spezialkräfte]] (KSK). Seine jährlichen dreitägigen „Special Forces Workshop“ werden von den besten Berufsschützen der Sicherheitsbehörden besucht und von großen Rüstungsfirmen gefördert. Mitveranstalter war bis 2018 das Landeskriminalamt, bei dem Marko G. arbeitete. Dadurch und durch Kursteilnehmer aus der Polizei erhielt Frank T.s Firma genaue Einblicke in polizeiliche Interna. Andere Nordkreuzmitglieder kauften bei ihm Waffen und Munition und nahmen an seinen Übungskursen teil. Schirmherr und häufiger Besucher der Jahrestreffen war Schleswig-Holsteins Innenminister [[Lorenz Caffier]]. Sein Ministerium setzte die Kooperation mit T.s Firma noch zwei Jahre lang bis zum Sommer 2019 fort.<ref name="taz4Apr2020"/> Möglich ist, dass die bei Marko G. gefundene Munition, die von polizeilichen Spezialkräften aus verschiedenen Bundesländern stammt, über diesen Weg zu G. gelangte.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.zdf.de/uri/82219ca5-87a3-4dfd-9210-704ef83562bc |titel=ZDFzoom: Angriff von innen |abruf=2020-04-17 |sprache=de}}</ref>
Frank T., der Inhaber des Schießplatzes und Schießtrainer der Firma ''Baltic Shooters'' in Güstrow, war bis 2017 Mitglied bei Nordkreuz. Marko G. und jener Trainer, mit dem er rechtsextreme Chatnachrichten austauschte, waren bei Frank T. angestellt. Er ist mehrfacher deutscher Meister mit der Kurzwaffe und bildet Spezialkräfte aus Deutschland und dem Ausland aus, darunter Sondereinsatzkommandos, Bereitschaftspolizei, Teams der [[GSG 9 der Bundespolizei]], vom [[Einsatzkommando Cobra]] aus Österreich, [[SWAT]]-Teams aus den USA und Soldaten vom [[Kommando Spezialkräfte]] (KSK). Seine jährlichen dreitägigen „Special Forces Workshop“ werden von den besten Berufsschütz*innen der Sicherheitsbehörden besucht und von großen Rüstungsfirmen gefördert. Mitveranstalter war bis 2018 das Landeskriminalamt, bei dem Marko G. arbeitete. Dadurch und durch Kursteilnehmer aus der Polizei erhielt Frank T.s Firma genaue Einblicke in polizeiliche Interna. Andere Nordkreuzmitglieder kauften bei ihm Waffen und Munition und nahmen an seinen Übungskursen teil. Schirmherr und häufiger Besucher der Jahrestreffen war Schleswig-Holsteins Innenminister [[Lorenz Caffier]]. Sein Ministerium setzte die Kooperation mit T.s Firma noch zwei Jahre lang bis zum Sommer 2019 fort.<ref name="taz4Apr2020"/> Möglich ist, dass die bei Marko G. gefundene Munition, die von polizeilichen Spezialkräften aus verschiedenen Bundesländern stammt, über diesen Weg zu G. gelangte.<ref>{{Internetquelle |url=https://www.zdf.de/uri/82219ca5-87a3-4dfd-9210-704ef83562bc |titel=ZDFzoom: Angriff von innen |abruf=2020-04-17 |sprache=de}}</ref>


== Ziele ==
== Ziele ==
Nach Angaben des Generalbundesanwalts vom August 2017 bereiteten sich zumindest einige Mitglieder der Gruppe auf den Zusammenbruch der Gesellschafts- und Staatsordnung an einem „Tag X“ vor. Sie glaubten, die Flüchtlingspolitik der Regierungen werde private und öffentliche Haushalte verarmen lassen, Anschläge und sonstige Straftaten würden zunehmen. Sie sahen die bevorstehende Krise als Chance, „Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten“. Darüber tauschten sie sich aus und trafen entsprechende Vorbereitungen.<ref name="Vice29Aug17"/>
Nach Angaben des Generalbundesanwalts vom August 2017 bereiteten sich zumindest einige Mitglieder der Gruppe auf den Zusammenbruch der Gesellschafts- und Staatsordnung an einem „Tag X“ vor. Sie glaubten, die Flüchtlingspolitik der Regierungen werde private und öffentliche Haushalte verarmen lassen, Anschläge und sonstige Straftaten würden zunehmen. Sie sahen die bevorstehende Krise als Chance, „Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten“. Darüber tauschten sie sich aus und trafen entsprechende Vorbereitungen.<ref name="Vice29Aug17"/>


Als Ideengeber nannte Axel M. den Österreicher Walter K. Eichelburg, einen Autor rechtsextremer [[Verschwörungstheorie]]n. Dieser behauptet, [[Muslim]]e bereiteten sich auf einen baldigen Aufstand vor („Muselrevolte“) und würden dann die Städte erobern. [[Bürgerwehr]]en müssten die „Rückeroberung“ vom Land aus beginnen. Dabei werde „Blut fließen ohne Ende“. Man müsse Muslime [[Kreuzigung|kreuzigen]] oder [[Pfählung|pfählen]], ebenso einige „linksgrünversiffte“ Politiker und Bürokraten, damit alle sähen, wer die Feinde seien und „was mit ihnen passiert, wenn sie sich nicht freiwillig ergeben.“<ref name="WAZ15Sep17"/>
Als Ideengeber nannte Axel M. den Österreicher Walter K. Eichelburg, einen Autor rechtsextremer [[Verschwörungstheorie]]n. Dieser behauptet, [[Muslim]]*innen bereiteten sich auf einen baldigen Aufstand vor („Muselrevolte“) und würden dann die Städte erobern. [[Bürgerwehr]]en müssten die „Rückeroberung“ vom Land aus beginnen. Dabei werde „Blut fließen ohne Ende“. Man müsse Muslim*innen [[Kreuzigung|kreuzigen]] oder [[Pfählung|pfählen]], ebenso einige „linksgrünversiffte“ Politiker*innen und Bürokrat*innen, damit alle sähen, wer die Feinde seien und „was mit ihnen passiert, wenn sie sich nicht freiwillig ergeben.“<ref name="WAZ15Sep17"/>


== Mittel ==
== Mittel ==
=== Vorratsdepots und Bunker ===
=== Vorratsdepots und Bunker ===
Die Prepper kommunizierten über den verschlüsselten Messengerdienst [[Telegram]]. Nach Aussagen von Axel M. rechnen sie mit Klimakatastrophen, Stromausfällen, einer „Flüchtlingswelle“ muslimischer Migranten und einem Banken-Crash. Darum legte jedes Mitglied eine „eiserne Reserve“ für den „Tag X“ aus Konserven, Notstromaggregaten, Waffen und Munition an. Manche hätten Bunker unter ihren Häusern gebaut, andere nur Trockenobst und Wasser deponiert.<ref name="WAZ15Sep17"/>
Die Prepper*innen kommunizierten über den verschlüsselten Messengerdienst [[Telegram]]. Nach Aussagen von Axel M. rechnen sie mit Klimakatastrophen, Stromausfällen, einer „Flüchtlingswelle“ muslimischer Migrant*innen und einem Banken-Crash. Darum legte jedes Mitglied eine „eiserne Reserve“ für den „Tag X“ aus Konserven, Notstromaggregaten, Waffen und Munition an. Manche hätten Bunker unter ihren Häusern gebaut, andere nur Trockenobst und Wasser deponiert.<ref name="WAZ15Sep17"/>


Nach Ermittlungsunterlagen hatten Mitglieder der Gruppe Depots mit Treibstoff, Nahrungsmitteln und Munition angelegt. Jedes Mitglied zahlte dafür etwa 600 Euro in eine gemeinsame Kasse. Der Betreiber eines Schießstandes bei Rostock verkaufte den Mitgliedern Waffen. Ein Ausbilder am Fliegerhorst der Bundeswehr in Laage lud sie nach Dienstschluss in den Sicherheitsbereich ein, wo sie im Flugsimulator den [[Eurofighter Typhoon|Eurofighter]] fliegen durften. Der beschuldigte Anwalt Jan Hendrik H. soll bei Geburtstagsfeiern hinter seinem Haus ein Wettschießen veranstaltet und einen Wanderpokal als Preis nach [[Mehmet Turgut]] aus Rostock benannt haben, dem fünften von neun Mordopfern der [[Ceska-Mordserie]] des [[Nationalsozialistischer Untergrund|NSU]].<ref name="Hannibaltaz"/>
Nach Ermittlungsunterlagen hatten Mitglieder der Gruppe Depots mit Treibstoff, Nahrungsmitteln und Munition angelegt. Jedes Mitglied zahlte dafür etwa 600 Euro in eine gemeinsame Kasse. Der Betreiber eines Schießstandes bei Rostock verkaufte den Mitgliedern Waffen. Ein Ausbilder am Fliegerhorst der Bundeswehr in Laage lud sie nach Dienstschluss in den Sicherheitsbereich ein, wo sie im Flugsimulator den [[Eurofighter Typhoon|Eurofighter]] fliegen durften. Der beschuldigte Anwalt Jan Hendrik H. soll bei Geburtstagsfeiern hinter seinem Haus ein Wettschießen veranstaltet und einen Wanderpokal als Preis nach [[Mehmet Turgut]] aus Rostock benannt haben, dem fünften von neun Mordopfern der [[Ceska-Mordserie]] des [[Nationalsozialistischer Untergrund|NSU]].<ref name="Hannibaltaz"/>


=== Waffen und Munition ===
=== Waffen und Munition ===
Alle Nordkreuzmitglieder besaßen als Jäger oder Sportschützen legal Waffen, fuhren gemeinsam zu Schießübungen nach Güstrow, zur Polizeischießbahn nach [[Plate]] bei Schwerin oder zur Schießsportanlage Schwerin-Hagenow unter dem Dach des Reservistenverbands der Bundeswehr. Dort trafen sie regelmäßig den ehemaligen Bundeswehrmajor Horst S., der ihre Handydaten besaß.<ref name="WAZ15Sep17"/>
Alle Nordkreuzmitglieder besaßen als Jäger*innen oder Sportschütz*innen legal Waffen, fuhren gemeinsam zu Schießübungen nach Güstrow, zur Polizeischießbahn nach [[Plate]] bei Schwerin oder zur Schießsportanlage Schwerin-Hagenow unter dem Dach des Reservistenverbands der Bundeswehr. Dort trafen sie regelmäßig den ehemaligen Bundeswehrmajor Horst S., der ihre Handydaten besaß.<ref name="WAZ15Sep17"/>


Beim Nordkreuzgründer Marko G. fand die Polizei im September 2017 neben legalen auch illegale Waffen. Daraufhin ermittelte die Staatsanwaltschaft Schwerin gegen ihn wegen Verstößen gegen das [[Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen|Kriegswaffenkontrollgesetz]] und das [[Waffengesetz (Deutschland)|Waffengesetz]].<ref>Julian Feldmann: [https://daserste.ndr.de/panorama/Wieder-Waffenfund-bei-Preppern-Keine-systematische-Erfassung-bei-Behoerden,prepper116.html ''Wieder Waffenfund bei „Preppern“: Keine systematische Erfassung bei Behörden.''] [[Norddeutscher Rundfunk|NDR]], 19. September 2017.</ref> Dabei stellte sich heraus, dass seit mindestens April 2012 rund 10.000 Patronen Munition aus dem [[Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern]] gestohlen und an Marko G. und die Gruppe Nordkreuz weitergegeben worden waren. Des Diebstahls und der Weitergabe verdächtigt wurden drei ehemalige SEK-Beamte. Eine siebenköpfige LKA-Sonderkommission und Polizeidienststellen anderer Bundesländer ermittelten monatelang gegen die eigenen Kollegen und wurden dabei abgeschottet, um Behördenlecks auszuschließen. Am 12. Juni 2019 nahm die Staatsanwaltschaft Schwerin die vier SEK-Beamten wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz sowie wegen Betrugs fest. Die Ermittler durchsuchten ihre Wohnungen und Diensträume in Güstrow, [[Dummerstorf#Ortsteile|Waldeck]], Banzkow und im LKA in [[Leezen (Mecklenburg)#Geografie|Rampe]] bei Schwerin.<ref>Stefan Ludmann: [http://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Mehrere-Polizeibeamte-aus-MV-festgenommen,sek270.html ''Nach SEK-Festnahmen: Caffier informiert Innenausschuss.''] NDR, 13. Juni 2019.</ref>
Beim Nordkreuzgründer Marko G. fand die Polizei im September 2017 neben legalen auch illegale Waffen. Daraufhin ermittelte die Staatsanwaltschaft Schwerin gegen ihn wegen Verstößen gegen das [[Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen|Kriegswaffenkontrollgesetz]] und das [[Waffengesetz (Deutschland)|Waffengesetz]].<ref>Julian Feldmann: [https://daserste.ndr.de/panorama/Wieder-Waffenfund-bei-Preppern-Keine-systematische-Erfassung-bei-Behoerden,prepper116.html ''Wieder Waffenfund bei „Preppern“: Keine systematische Erfassung bei Behörden.''] [[Norddeutscher Rundfunk|NDR]], 19. September 2017.</ref> Dabei stellte sich heraus, dass seit mindestens April 2012 rund 10.000 Patronen Munition aus dem [[Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern]] gestohlen und an Marko G. und die Gruppe Nordkreuz weitergegeben worden waren. Des Diebstahls und der Weitergabe verdächtigt wurden drei ehemalige SEK-Beamte. Eine siebenköpfige LKA-Sonderkommission und Polizeidienststellen anderer Bundesländer ermittelten monatelang gegen die eigenen Kolleg*innen und wurden dabei abgeschottet, um Behördenlecks auszuschließen. Am 12. Juni 2019 nahm die Staatsanwaltschaft Schwerin die vier SEK-Beamten wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz sowie wegen Betrugs fest. Die Ermittler durchsuchten ihre Wohnungen und Diensträume in Güstrow, [[Dummerstorf#Ortsteile|Waldeck]], Banzkow und im LKA in [[Leezen (Mecklenburg)#Geografie|Rampe]] bei Schwerin.<ref>Stefan Ludmann: [http://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Mehrere-Polizeibeamte-aus-MV-festgenommen,sek270.html ''Nach SEK-Festnahmen: Caffier informiert Innenausschuss.''] NDR, 13. Juni 2019.</ref>


Bei der zweiten Durchsuchung im Juni 2019 fanden die Ermittler in Marko G.s Wohnhaus und dem seiner Schwiegereltern weitere Waffen, darunter jene Uzi, die aus Bundeswehrbeständen gestohlen worden war,<ref>Matthias Gebauer, Sven Röbel, [[Wolf Wiedmann-Schmidt]] und Jean-Pierre Ziegler: [https://www.spiegel.de/panorama/justiz/mecklenburg-vorpommern-munition-fuer-den-tag-x-a-1272059.html ''Razzia bei SEK-Beamten. 10.000 Schuss für den „Tag X“.''] [[Spiegel Online]], 12. Juni 2019.</ref> einen illegalen [[Schalldämpfer (Waffe)|Schalldämpfer]],<ref name="taz6Juli19"/> Sportwaffen, zwei Pistolen der Marken Glock und Ruger, Blendgranaten, Schießpulver, Telekopschlagstöcke und ein zur Fahndung ausgeschriebenes [[Winchester]]-Gewehr. Bei beiden Razzien fanden sie insgesamt rund 55.000 Schuss Munition. Diese stammte zu einem erheblichen Teil aus Polizeibeständen von sieben Bundesländern, der [[Bundespolizei (Deutschland)|Bundespolizei]], der Bundeswehr und dem [[Zoll (Behörde)|Zoll]]. Wie sie nach Mecklenburg-Vorpommern gelangte, ist bisher ungeklärt und wurde im späteren Strafverfahren gegen Marko G. nicht weiterverfolgt.
Bei der zweiten Durchsuchung im Juni 2019 fanden die Ermittler in Marko G.s Wohnhaus und dem seiner Schwiegereltern weitere Waffen, darunter jene Uzi, die aus Bundeswehrbeständen gestohlen worden war,<ref>Matthias Gebauer, Sven Röbel, [[Wolf Wiedmann-Schmidt]] und Jean-Pierre Ziegler: [https://www.spiegel.de/panorama/justiz/mecklenburg-vorpommern-munition-fuer-den-tag-x-a-1272059.html ''Razzia bei SEK-Beamten. 10.000 Schuss für den „Tag X“.''] [[Spiegel Online]], 12. Juni 2019.</ref> einen illegalen [[Schalldämpfer (Waffe)|Schalldämpfer]],<ref name="taz6Juli19"/> Sportwaffen, zwei Pistolen der Marken Glock und Ruger, Blendgranaten, Schießpulver, Telekopschlagstöcke und ein zur Fahndung ausgeschriebenes [[Winchester]]-Gewehr. Bei beiden Razzien fanden sie insgesamt rund 55.000 Schuss Munition. Diese stammte zu einem erheblichen Teil aus Polizeibeständen von sieben Bundesländern, der [[Bundespolizei (Deutschland)|Bundespolizei]], der Bundeswehr und dem [[Zoll (Behörde)|Zoll]]. Wie sie nach Mecklenburg-Vorpommern gelangte, ist bisher ungeklärt und wurde im späteren Strafverfahren gegen Marko G. nicht weiterverfolgt.


Ein Teil der bei Marko G. gefundenen Patronen war an die Firma Baltic Shooters oder Frank T. geliefert worden, andere an das LKA, die Polizeiverwaltung oder das SEK Mecklenburg-Vorpommern, das jahrelang auf jenem Schießplatz trainierte. Marko G. kann diese Munition auf dem Platz entwendet oder von jemand dort erhalten haben. Auch für die Bundespolizei und Landespolizeien bestimmte Munitionspakete können ihm Komplizen zugeschickt oder in Güstrow übergeben haben. Einheiten fast aller Adressaten der gefundenen Munition waren zeitweise in Güstrow. Einige Munitionshersteller brachten selbst Patronen zum jährlichen Workshop mit. Diese lagen laut Zeugen dort offen herum, der Verbrauch sei nicht dokumentiert und kontrolliert worden. Dagegen erklärte das Innenministerium auf Nachfrage, der Verbrauch sei vor Ort vermerkt worden. Personen- oder Gepäckkontrollen habe das LKA nicht durchgeführt. Ob und welche Behörden Frank T. und seine Mitarbeiter einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen, bevor sie die Erlaubnis für die Trainings erhielten, blieb unbeantwortet. Ein Mitarbeiter des Landkreises, der Marko G. [[Waffenbesitzkarte]]n ausgestellt hatte, war seinerseits Mitglied im Reservistenverband, aus dem viele Nordkreuzmitglieder kamen. Er sagte später aus, Marko G. sei beim Landkreis als Waffensachverständiger registriert gewesen. Er beschlagnahmte dessen Waffen und Munition bei der ersten Durchsuchung, erlaubte ihm aber, seine legalen Waffen und Patronen einem Waffenhändler seiner Wahl zu geben. G. wählte Frank T.; was dieser erhielt und damit machte, blieb ungeklärt. Er soll auch gestohlene Munition aus G.s Besitz verbraucht und so die Klärung ihrer Herkunft vereitelt haben.<ref name="taz4Apr2020"/>
Ein Teil der bei Marko G. gefundenen Patronen war an die Firma Baltic Shooters oder Frank T. geliefert worden, andere an das LKA, die Polizeiverwaltung oder das SEK Mecklenburg-Vorpommern, das jahrelang auf jenem Schießplatz trainierte. Marko G. kann diese Munition auf dem Platz entwendet oder von jemand dort erhalten haben. Auch für die Bundespolizei und Landespolizeien bestimmte Munitionspakete können ihm Kompliz*innen zugeschickt oder in Güstrow übergeben haben. Einheiten fast aller Adressaten der gefundenen Munition waren zeitweise in Güstrow. Einige Munitionshersteller brachten selbst Patronen zum jährlichen Workshop mit. Diese lagen laut Zeugen dort offen herum, der Verbrauch sei nicht dokumentiert und kontrolliert worden. Dagegen erklärte das Innenministerium auf Nachfrage, der Verbrauch sei vor Ort vermerkt worden. Personen- oder Gepäckkontrollen habe das LKA nicht durchgeführt. Ob und welche Behörden Frank T. und seine Mitarbeiter einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen, bevor sie die Erlaubnis für die Trainings erhielten, blieb unbeantwortet. Ein Mitarbeiter des Landkreises, der Marko G. [[Waffenbesitzkarte]]n ausgestellt hatte, war seinerseits Mitglied im Reservistenverband, aus dem viele Nordkreuzmitglieder kamen. Er sagte später aus, Marko G. sei beim Landkreis als Waffensachverständiger registriert gewesen. Er beschlagnahmte dessen Waffen und Munition bei der ersten Durchsuchung, erlaubte ihm aber, seine legalen Waffen und Patronen einem Waffenhändler seiner Wahl zu geben. G. wählte Frank T.; was dieser erhielt und damit machte, blieb ungeklärt. Er soll auch gestohlene Munition aus G.s Besitz verbraucht und so die Klärung ihrer Herkunft vereitelt haben.<ref name="taz4Apr2020"/>


Im Strafverfahren gegen Marko G. wurde bekannt, dass die Uzi-Maschinenpistole 1993 von der Bundeswehr gestohlen worden war, als er dort ausgebildet wurde. Sie war nach Medienrecherchen auf dem [[Truppenübungsplatz Lehnin]] bei Potsdam aus einem aufgebrochenen Panzer entwendet worden. 1400 von 55.300 bei ihm gefundenen Patronen unterlagen dem Kriegswaffenkontrollgesetz und durften nur an Polizeibehörden und das Militär verkauft werden.<ref>[https://www.rnd.de/politik/anklage-gegen-mutmasslichen-nordkreuz-grunder-TFERZC3PDNBAZHFMCKFNANBY6Y.html ''Anklage gegen mutmaßlichen „Nordkreuz“-Gründer.''] RND, 19. September 2019</ref>
Im Strafverfahren gegen Marko G. wurde bekannt, dass die Uzi-Maschinenpistole 1993 von der Bundeswehr gestohlen worden war, als er dort ausgebildet wurde. Sie war nach Medienrecherchen auf dem [[Truppenübungsplatz Lehnin]] bei Potsdam aus einem aufgebrochenen Panzer entwendet worden. 1400 von 55.300 bei ihm gefundenen Patronen unterlagen dem Kriegswaffenkontrollgesetz und durften nur an Polizeibehörden und das Militär verkauft werden.<ref>[https://www.rnd.de/politik/anklage-gegen-mutmasslichen-nordkreuz-grunder-TFERZC3PDNBAZHFMCKFNANBY6Y.html ''Anklage gegen mutmaßlichen „Nordkreuz“-Gründer.''] RND, 19. September 2019</ref>


=== Feindeslisten ===
=== Feindeslisten ===
Nach ersten Berichten führte Jan Hendrik H. in seinem Anwaltsbüro eine Liste mit mehr als 5000 Namen und Adressen vermeintlicher Gegner, darunter öffentliche Amtsträger, Journalisten und rund hundert Politiker, meist aus Mecklenburg-Vorpommern. Er entnahm die Namen aus öffentlichen Quellen und führte die Liste ohne Hinweise auf eine Tötungsabsicht. Haik J. soll über seinen Dienstcomputer Meldedaten von politischen Gegnern ausspioniert haben.<ref name="WAZ15Sep17"/> In den beschlagnahmten Daten der Nordkreuzmitglieder fanden die Ermittler später insgesamt rund 25.000 Namen und Adressen von als Feinden geführten Personen. Dies gab das [[Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz]] Ende Juli 2018 bekannt.<ref>[[Thoralf Cleven]]: [https://www.kn-online.de/Nachrichten/Politik/Mehr-als-25.000-Personen-auf-rechten-Feindeslisten ''Mehr als 25.000 Personen auf rechten Feindeslisten.''] [[RedaktionsNetzwerk Deutschland|RND]] / [[Kieler Nachrichten]], 30. Juli 2018.</ref>
Nach ersten Berichten führte Jan Hendrik H. in seinem Anwaltsbüro eine Liste mit mehr als 5000 Namen und Adressen vermeintlicher Gegner*innen, darunter öffentliche Amtsträger*innen, Journalist*innen und rund hundert Politiker*innen, meist aus Mecklenburg-Vorpommern. Er entnahm die Namen aus öffentlichen Quellen und führte die Liste ohne Hinweise auf eine Tötungsabsicht. Haik J. soll über seinen Dienstcomputer Meldedaten von politischen Gegner*innen ausspioniert haben.<ref name="WAZ15Sep17"/> In den beschlagnahmten Daten der Nordkreuzmitglieder fanden die Ermittler später insgesamt rund 25.000 Namen und Adressen von als Feinden geführten Personen. Dies gab das [[Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz]] Ende Juli 2018 bekannt.<ref>[[Thoralf Cleven]]: [https://www.kn-online.de/Nachrichten/Politik/Mehr-als-25.000-Personen-auf-rechten-Feindeslisten ''Mehr als 25.000 Personen auf rechten Feindeslisten.''] [[RedaktionsNetzwerk Deutschland|RND]] / [[Kieler Nachrichten]], 30. Juli 2018.</ref>


[[Anti-Antifa#Feindeslisten|Feindeslisten]] sind im rechtsextremen Spektrum in Deutschland seit langem üblich. Die Nordkreuzliste ist die bisher umfassendste Liste dieser Art. Sie liegt dem [[RedaktionsNetzwerk Deutschland]] (RND), der [[Stuttgarter Zeitung]] und den [[Stuttgarter Nachrichten]] als [[Microsoft Excel|Excel]]-Datei vor. Sie umfasst 24.522 Namen und Adressen von linken Aktivisten, [[Punk]]s, Politikern und bekannten Künstlern aus dem ganzen Bundesgebiet. Diese Daten stammen aus einer 2015 gehackten Kundendatei des [[Duisburg]]er Online-Versandhandels ''Impact Mailorder'' mit rund 40.000 Namen von Kunden und Geschäftspartnern.<ref name="Focus12Juli19"/> Am 14. Juli 2017 verbreitete der AfD-Landtagsabgeordnete [[Heiner Merz]] die gehackten rund 25.000 Namen, Adressen und E-Mail-Adressen angeblicher Antifa-Personen als E-Mail-Anhang. Er forderte AfD-Mitglieder dazu auf, die Liste zu „speichern, verbreiten und verwenden“, nämlich Personen aus ihrem lokalen Umfeld zu suchen, sie am Ort bekannt zu machen und sie bei ihren Arbeitgebern zu denunzieren: „Der Fantasie sind wenig Grenzen gesetzt.“<ref>Silja Kummer: [https://www.hz.de/meinort/heidenheim/merz-verbreitete-geklaute-adressen-31284866.html ''AfD-Abgeordneter Heiner Merz verbreitete geklaute Adressen.''] [[Heidenheimer Zeitung]], 14. März 2018.</ref> Nachdem dieselben Daten bei Nordkreuz auftauchten, behauptete Merz, er habe die Liste von einem Antifa-Aussteiger erhalten und sehe sich „getäuscht“.<ref>Sascha Maier: [https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.25000-gehackte-adressen-bei-rechtsterroristen-afd-abgeordneter-bereut-versendung-der-nordkreuz-liste.36712814-7e12-4127-b530-8ba2d7753c25.html ''25.000 gehackte Adressen bei Rechtsterroristen: AfD-Abgeordneter bereut Versendung der „Nordkreuz“-Liste.''] [[Stuttgarter Nachrichten]], 18. Juli 2019.</ref> Auf die in der rechtsextremen Szene kursierende Liste hatte auch die Terrorgruppe „[[Revolution Chemnitz]]“ Zugriff.<ref>Silja Kummer: [https://www.swp.de/suedwesten/staedte/heidenheim/merz-verbreitete-geklaute-adressen-24982999.html ''AfD-Abgeordneter Heiner Merz verbreitete geklaute Adressen.''] [[Südwest Presse]], 14. März 2018; Ragnar Vogt: [https://www.tagesspiegel.de/politik/e-mail-mit-aufruf-zur-denunziation-afd-abgeordneter-verbreitete-liste-mit-angeblichen-antifa-mitgliedern/24590486.html ''E-Mail mit Aufruf zur Denunziation: AfD-Abgeordneter verbreitete Liste mit angeblichen Antifa-Mitgliedern.''] Tagesspiegel, 13. Juli 2019.</ref>
[[Anti-Antifa#Feindeslisten|Feindeslisten]] sind im rechtsextremen Spektrum in Deutschland seit langem üblich. Die Nordkreuzliste ist die bisher umfassendste Liste dieser Art. Sie liegt dem [[RedaktionsNetzwerk Deutschland]] (RND), der [[Stuttgarter Zeitung]] und den [[Stuttgarter Nachrichten]] als [[Microsoft Excel|Excel]]-Datei vor. Sie umfasst 24.522 Namen und Adressen von linken Aktivist*innen, [[Punk]]s, Politiker*innen und bekannten Künstler*innen aus dem ganzen Bundesgebiet. Diese Daten stammen aus einer 2015 gehackten Kundendatei des [[Duisburg]]er Online-Versandhandels ''Impact Mailorder'' mit rund 40.000 Namen von Kunden und Geschäftspartnern.<ref name="Focus12Juli19"/> Am 14. Juli 2017 verbreitete der AfD-Landtagsabgeordnete [[Heiner Merz]] die gehackten rund 25.000 Namen, Adressen und E-Mail-Adressen angeblicher Antifa-Personen als E-Mail-Anhang. Er forderte AfD-Mitglieder dazu auf, die Liste zu „speichern, verbreiten und verwenden“, nämlich Personen aus ihrem lokalen Umfeld zu suchen, sie am Ort bekannt zu machen und sie bei ihren Arbeitgeber*innen zu denunzieren: „Der Fantasie sind wenig Grenzen gesetzt.“<ref>Silja Kummer: [https://www.hz.de/meinort/heidenheim/merz-verbreitete-geklaute-adressen-31284866.html ''AfD-Abgeordneter Heiner Merz verbreitete geklaute Adressen.''] [[Heidenheimer Zeitung]], 14. März 2018.</ref> Nachdem dieselben Daten bei Nordkreuz auftauchten, behauptete Merz, er habe die Liste von einem Antifa-Aussteiger erhalten und sehe sich „getäuscht“.<ref>Sascha Maier: [https://www.stuttgarter-nachrichten.de/inhalt.25000-gehackte-adressen-bei-rechtsterroristen-afd-abgeordneter-bereut-versendung-der-nordkreuz-liste.36712814-7e12-4127-b530-8ba2d7753c25.html ''25.000 gehackte Adressen bei Rechtsterroristen: AfD-Abgeordneter bereut Versendung der „Nordkreuz“-Liste.''] [[Stuttgarter Nachrichten]], 18. Juli 2019.</ref> Auf die in der rechtsextremen Szene kursierende Liste hatte auch die Terrorgruppe „[[Revolution Chemnitz]]“ Zugriff.<ref>Silja Kummer: [https://www.swp.de/suedwesten/staedte/heidenheim/merz-verbreitete-geklaute-adressen-24982999.html ''AfD-Abgeordneter Heiner Merz verbreitete geklaute Adressen.''] [[Südwest Presse]], 14. März 2018; Ragnar Vogt: [https://www.tagesspiegel.de/politik/e-mail-mit-aufruf-zur-denunziation-afd-abgeordneter-verbreitete-liste-mit-angeblichen-antifa-mitgliedern/24590486.html ''E-Mail mit Aufruf zur Denunziation: AfD-Abgeordneter verbreitete Liste mit angeblichen Antifa-Mitgliedern.''] Tagesspiegel, 13. Juli 2019.</ref>


Bei einer zweiten Razzia im April 2018 fanden die Ermittler Teile der 2015 gehackten Kundendatei auf elektronischen Datenträgern von Nordkreuzmitgliedern. Diese wollten die Hackerliste laut Bundesanwaltschaft dazu nutzen, Angaben zu möglichen Zielpersonen zu präzisieren.<ref name="Focus12Juli19"/> Während manche Datenträger nach BKA-Angaben mehrere zehntausend Datensätze aus der gehackten Kundendatei umfassten, wurden andere Informationen individuell aus öffentlich zugänglichen Zeitungsartikeln, Aufzeichnungen oder Auszügen von Internetauftritten zusammengestellt.<ref name="Nordkurier19Juli19">Uwe Reißenweber: [https://www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/laut-bka-gibt-es-keine-todeslisten-1936162207.html ''„Nordkreuz”-Gruppe: Laut BKA gibt es keine Todeslisten.''] [[Nordkurier]], 19. Juli 2019.</ref> Laut von Ermittlern bestätigten Polizeiprotokollen sagten verhörte Nordkreuzmitglieder wie Horst S. aus, man habe mithilfe der Listen „linke Persönlichkeiten“ finden wollen, um sie „im Konfliktfall zu liquidieren“.<ref name="StuttgZ12Juli19">Sascha Maier, Jörg Köpke: [https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.todeslisten-von-rechtsextremisten-daten-von-stuttgartern-bei-nordkreuz-durchsuchungen-gefunden.b87da859-34ea-48c8-bd00-340b817dce0b.html ''„Todeslisten“ von Rechtsextremisten: Daten von Stuttgartern bei „Nordkreuz“-Durchsuchungen gefunden.''] [[Stuttgarter Zeitung]], 12. Juli 2019.</ref> Zudem plante Jan Hendrik H., seinen Kameraden ab dem „Tag X“ Passierscheine mit Stempeln auf Kopfbögen der Bundeswehr auszustellen, damit sie rascher in die „Einsatzgebiete“ für die vorgesehenen Tötungen kommen würden.<ref name="TS6Juli19"/>
Bei einer zweiten Razzia im April 2018 fanden die Ermittler Teile der 2015 gehackten Kundendatei auf elektronischen Datenträgern von Nordkreuzmitgliedern. Diese wollten die Hackerliste laut Bundesanwaltschaft dazu nutzen, Angaben zu möglichen Zielpersonen zu präzisieren.<ref name="Focus12Juli19"/> Während manche Datenträger nach BKA-Angaben mehrere zehntausend Datensätze aus der gehackten Kundendatei umfassten, wurden andere Informationen individuell aus öffentlich zugänglichen Zeitungsartikeln, Aufzeichnungen oder Auszügen von Internetauftritten zusammengestellt.<ref name="Nordkurier19Juli19">Uwe Reißenweber: [https://www.nordkurier.de/mecklenburg-vorpommern/laut-bka-gibt-es-keine-todeslisten-1936162207.html ''„Nordkreuz”-Gruppe: Laut BKA gibt es keine Todeslisten.''] [[Nordkurier]], 19. Juli 2019.</ref> Laut von Ermittler*innen bestätigten Polizeiprotokollen sagten verhörte Nordkreuzmitglieder wie Horst S. aus, man habe mithilfe der Listen „linke Persönlichkeiten“ finden wollen, um sie „im Konfliktfall zu liquidieren“.<ref name="StuttgZ12Juli19">Sascha Maier, Jörg Köpke: [https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.todeslisten-von-rechtsextremisten-daten-von-stuttgartern-bei-nordkreuz-durchsuchungen-gefunden.b87da859-34ea-48c8-bd00-340b817dce0b.html ''„Todeslisten“ von Rechtsextremisten: Daten von Stuttgartern bei „Nordkreuz“-Durchsuchungen gefunden.''] [[Stuttgarter Zeitung]], 12. Juli 2019.</ref> Zudem plante Jan Hendrik H., seinen Kamerad*innen ab dem „Tag X“ Passierscheine mit Stempeln auf Kopfbögen der Bundeswehr auszustellen, damit sie rascher in die „Einsatzgebiete“ für die vorgesehenen Tötungen kommen würden.<ref name="TS6Juli19"/>


Die Beschuldigten bestritten eine Tötungsabsicht. Nach Angaben der Ermittler hatten sie sich jedoch mit „enormer Intensität“ auf den „Tag X“ vorbereitet, indem sie die 25.000 Namen und Adressen mit Hilfe von Dienstcomputern der Polizei zusammentrugen. Die meisten auf der Liste genannten Personen seien aus dem regionalen Umfeld der „Prepper“, besonders Lokalpolitiker von [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|SPD]], [[Bündnis 90/Die Grünen]], [[Die Linke]] und [[Christlich Demokratische Union Deutschlands|CDU]], die sich als „Flüchtlingsfreunde“ zeigten und [[Flüchtlingsarbeit]] geleistet hatten. Jedes Gruppenmitglied habe Dörfer und Gemeinden in seiner Umgebung systematisch nach möglichen Zielpersonen abgesucht, vor allem in [[Wismar]], Ludwigslust, Schwerin sowie der Region um [[Perleberg]] und [[Pritzwalk]] im Norden Brandenburgs.<ref name="TS28Jun19"/> Darüber hinaus sammelten die Nordkreuzprepper Personendaten aus dem ganzen Bundesgebiet, auch dort vorwiegend von linksgerichteten Menschen und solchen, die sich positiv über Geflüchtete und [[Asylbewerber|Asylsuchende]] geäußert haben.<ref name="TS6Juli19">[https://www.tagesspiegel.de/politik/todeslisten-von-rechtsextremisten-nordkreuz-sammelte-25-000-adressen-politischer-gegner/24531906.html ''„Nordkreuz“ sammelte 25.000 Adressen politischer Gegner.''] Tagesspiegel, 6. Juli 2019.</ref>
Die Beschuldigten bestritten eine Tötungsabsicht. Nach Angaben der Ermittler*innen hatten sie sich jedoch mit „enormer Intensität“ auf den „Tag X“ vorbereitet, indem sie die 25.000 Namen und Adressen mit Hilfe von Dienstcomputern der Polizei zusammentrugen. Die meisten auf der Liste genannten Personen seien aus dem regionalen Umfeld der „Prepper*innen“, besonders Lokalpolitiker*innen von [[Sozialdemokratische Partei Deutschlands|SPD]], [[Bündnis 90/Die Grünen]], [[Die Linke]] und [[Christlich Demokratische Union Deutschlands|CDU]], die sich als „Flüchtlingsfreunde“ zeigten und [[Flüchtlingsarbeit]] geleistet hatten. Jedes Gruppenmitglied habe Dörfer und Gemeinden in seiner Umgebung systematisch nach möglichen Zielpersonen abgesucht, vor allem in [[Wismar]], Ludwigslust, Schwerin sowie der Region um [[Perleberg]] und [[Pritzwalk]] im Norden Brandenburgs.<ref name="TS28Jun19"/> Darüber hinaus sammelten die Nordkreuzprepper*innen Personendaten aus dem ganzen Bundesgebiet, auch dort vorwiegend von linksgerichteten Menschen und solchen, die sich positiv über Geflüchtete und [[Asylbewerber|Asylsuchende]] geäußert haben.<ref name="TS6Juli19">[https://www.tagesspiegel.de/politik/todeslisten-von-rechtsextremisten-nordkreuz-sammelte-25-000-adressen-politischer-gegner/24531906.html ''„Nordkreuz“ sammelte 25.000 Adressen politischer Gegner.''] Tagesspiegel, 6. Juli 2019.</ref>


Weitere Personendossiers fanden sich in einem gelben Aktenordner und einem Umschlag, die die Ermittler bei ihren Razzien 2017/18 bei Jan Hendrik H. und Haik J. beschlagnahmt hatten. Sie enthielten Fotografien und Detailinformationen, auch über Kontaktpersonen. Hinter 29 Namen hatte der Rostocker Anwalt handschriftlich Zusätze über Namensänderungen, Geburtsnamen und -daten sowie neue Meldeadressen notiert.<ref name="taz6Juli19"/> Zu den 29 Personen gehören Landtagsabgeordnete der Linkspartei, mehrere Stadtratsabgeordnete von Rostock und Sachverständige, die Stadtratsausschüsse eingeladen hatten, in denen H. Mitglied war. Sie engagieren sich in einem Rostocker Bürgerbündnis gegen rechts oder organisieren das Gedenken für das Rostocker NSU-Mordopfer Mehmet Turgut. Nach ihrer Auskunft kannten nicht alle Jan Hendrik H. persönlich.<ref name="taz19Juli19">[https://taz.de/Prepper-Netzwerk-mit-Feindesliste/!5604104/ ''Prepper-Netzwerk mit Feindesliste: Betroffene werden informiert.''] taz, 19. Juli 2019.</ref> Dessen Aufzeichnungen enthielten auch Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Zeitungsartikel zur [[Flüchtlingskrise in Deutschland 2015/2016|Flüchtlingskrise von 2015]], endeten aber 2016. Ab 28. Juni 2019 legten BKA-Ermittler den 29 verzeichneten Personen zwei Ordner mit insgesamt 500 Seiten vor und befragten sie zur Herkunft der darin enthaltenen Angaben. Mehrere der Befragten äußerten Befremden, dass das LKA sie darüber nicht zeitnah informiert hatte, sondern erst das BKA zwei Jahre später.<ref name="OSZ28Juni19">Frank Pubantz: [https://www.ostsee-zeitung.de/Nachrichten/MV-aktuell/Prepper-Todesliste-in-MV-Hielt-das-LKA-Infos-zurueck ''Todesliste: Hielt das LKA Infos zurück?''] [[Ostsee-Zeitung]], 28. Juni 2019.</ref>
Weitere Personendossiers fanden sich in einem gelben Aktenordner und einem Umschlag, die die Ermittler*innen bei ihren Razzien 2017/18 bei Jan Hendrik H. und Haik J. beschlagnahmt hatten. Sie enthielten Fotografien und Detailinformationen, auch über Kontaktpersonen. Hinter 29 Namen hatte der Rostocker Anwalt handschriftlich Zusätze über Namensänderungen, Geburtsnamen und -daten sowie neue Meldeadressen notiert.<ref name="taz6Juli19"/> Zu den 29 Personen gehören Landtagsabgeordnete der Linkspartei, mehrere Stadtratsabgeordnete von Rostock und Sachverständige, die Stadtratsausschüsse eingeladen hatten, in denen H. Mitglied war. Sie engagieren sich in einem Rostocker Bürgerbündnis gegen rechts oder organisieren das Gedenken für das Rostocker NSU-Mordopfer Mehmet Turgut. Nach ihrer Auskunft kannten nicht alle Jan Hendrik H. persönlich.<ref name="taz19Juli19">[https://taz.de/Prepper-Netzwerk-mit-Feindesliste/!5604104/ ''Prepper-Netzwerk mit Feindesliste: Betroffene werden informiert.''] taz, 19. Juli 2019.</ref> Dessen Aufzeichnungen enthielten auch Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Zeitungsartikel zur [[Flüchtlingskrise in Deutschland 2015/2016|Flüchtlingskrise von 2015]], endeten aber 2016. Ab 28. Juni 2019 legten BKA-Ermittler den 29 verzeichneten Personen zwei Ordner mit insgesamt 500 Seiten vor und befragten sie zur Herkunft der darin enthaltenen Angaben. Mehrere der Befragten äußerten Befremden, dass das LKA sie darüber nicht zeitnah informiert hatte, sondern erst das BKA zwei Jahre später.<ref name="OSZ28Juni19">Frank Pubantz: [https://www.ostsee-zeitung.de/Nachrichten/MV-aktuell/Prepper-Todesliste-in-MV-Hielt-das-LKA-Infos-zurueck ''Todesliste: Hielt das LKA Infos zurück?''] [[Ostsee-Zeitung]], 28. Juni 2019.</ref>


Einige dieser Zeugen hatten 2015 eine anonyme Morddrohung als Brief und darum zeitweise Polizeischutz erhalten. Der Absender der Drohung wurde nicht ermittelt. Der Staatsschutz hatte damals den Grundriss der Wohnung eines Betroffenen angefertigt, aber danach den Wohnungsinhaber nicht weiter kontaktiert. Die Skizze fand sich nun bei den beschuldigten Nordkreuzlern. Wie diese in ihren Besitz gelangte, ist unklar. Die Ermittler vermuten, dass der Kriminalpolizist Haik J. seinen Zugang zum Polizeicomputer zum Recherchieren solcher Details nutzte. Journalisten vermuten, er könnte an den Ermittlungen von 2015 beteiligt gewesen sein oder der Staatsschutz habe vertrauliche Daten nicht geschützt.<ref name="taz6Juli19"/>
Einige dieser Zeug*innen hatten 2015 eine anonyme Morddrohung als Brief und darum zeitweise Polizeischutz erhalten. Der Absender der Drohung wurde nicht ermittelt. Der Staatsschutz hatte damals den Grundriss der Wohnung eines Betroffenen angefertigt, aber danach den Wohnungsinhaber nicht weiter kontaktiert. Die Skizze fand sich nun bei den beschuldigten Nordkreuzlern. Wie diese in ihren Besitz gelangte, ist unklar. Die Ermittler vermuten, dass der Kriminalpolizist Haik J. seinen Zugang zum Polizeicomputer zum Recherchieren solcher Details nutzte. Journalisten vermuten, er könnte an den Ermittlungen von 2015 beteiligt gewesen sein oder der Staatsschutz habe vertrauliche Daten nicht geschützt.<ref name="taz6Juli19"/>


Ab 12. Juli 2019 machten RND-Recherchen Details zu den Listen bekannt. Demnach sind dort Personen aus 7963 Orten in Deutschland und dem Ausland verzeichnet:<ref>Andreas Dunte: [https://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/Hunderte-Sachsen-auf-Todesliste-viele-wissen-davon-ueberhaupt-nichts ''Mitteldeutschland Rechter Terror: Hunderte Sachsen auf Todesliste – viele wissen davon überhaupt nichts.'']; Markus Decker: [https://www.lvz.de/Nachrichten/Politik/Potenzielle-Nordkreuz-Opfer-in-ganz-Deutschland ''259 Leipziger stehen auf Liste von rechter Terrorgruppe „Nordkreuz“.''] Beide RND / [[Leipziger Volkszeitung]], 19. Juli 2019.</ref>
Ab 12. Juli 2019 machten RND-Recherchen Details zu den Listen bekannt. Demnach sind dort Personen aus 7963 Orten in Deutschland und dem Ausland verzeichnet:<ref>Andreas Dunte: [https://www.lvz.de/Region/Mitteldeutschland/Hunderte-Sachsen-auf-Todesliste-viele-wissen-davon-ueberhaupt-nichts ''Mitteldeutschland Rechter Terror: Hunderte Sachsen auf Todesliste – viele wissen davon überhaupt nichts.'']; Markus Decker: [https://www.lvz.de/Nachrichten/Politik/Potenzielle-Nordkreuz-Opfer-in-ganz-Deutschland ''259 Leipziger stehen auf Liste von rechter Terrorgruppe „Nordkreuz“.''] Beide RND / [[Leipziger Volkszeitung]], 19. Juli 2019.</ref>

Version vom 21. Mai 2020, 09:50 Uhr

Nordkreuz nannte sich eine Gruppe von mindestens 54 rechtsextremen deutschen Prepper*innen, die sich auf die Massentötung von als politische Gegner*innen betrachteten Flüchtlingshelfer*nnen vorbereitet haben soll. Die Gruppe bildete sich Anfang 2016 in Mecklenburg-Vorpommern und wurde im August 2017 bekannt. Sie war mit Südkreuz, Westkreuz und ähnlichen Gruppen Teil des rechtsextremen Hannibal-Netzwerks, das 2018 entdeckt wurde.

Entdeckung

Bei den Terrorermittlungen gegen Bundeswehrsoldaten ab 2017, die sich vor allem gegen den rechtsextremen Oberleutnant der Bundeswehr Franco Albrecht und seine Kontaktpersonen richteten, stieß das Bundeskriminalamt (BKA) auch auf Horst S., einen früheren Luftwaffenoffizier und Major der Reserve. Bei seiner Vernehmung durch den Staatsschutz am 13. Juli 2017 sagte er aus, eine überwiegend aus ehemaligen Elitesoldat*innen bestehende Gruppe „Nord“ bereite sich gezielt auf den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung an einem „Tag X“ vor. Mindestens ein Mitglied der Gruppe habe aus „Hass auf Linke“ und Flüchtlinge Namen, Adressen und Fotografien von Zielpersonen gesammelt, die „weg“ müssten. Er habe den Ordner mit diesen Daten und ein Waffendepot gesehen.[1] Bei einem Treffen von vier Mitgliedern der Gruppe habe der Besitzer des Waffenverstecks geäußert, dass Personen, „die von der Flüchtlingspolitik profitieren“, im Krisenfall „gesammelt und zu einem Ort verbracht werden sollen, an dem sie dann getötet werden sollen“. Er beurteilte das als bloße Gedankenspiele „besorgter Bürger*innen“. Nur zwei Gruppenmitglieder hätten diese „radikalere Richtung“ vertreten.[2]

Horst S. bestritt jeden Kontakt zu Franco A., gab aber zu, dass er über das rechtsextreme Thule-Seminar Bücher über die Waffen-SS gekauft hatte, angeblich aus bloßem Interesse an der Biografie seines Großvaters. Über die Kontaktdaten seines Handys stießen die Ermittler auf sechs Mecklenburger Prepper*innen, die sich in ihrer Chatgruppe „Nordkreuz“ über einen erwarteten Staatskollaps austauschten und diesen zum Töten linker Gegner*innen nutzen wollten. Der Generalbundesanwalt veranlasste eine gleichzeitige Hausdurchsuchung bei diesen sechs Personen. Am 28. August 2017 beschlagnahmte die Bundespolizei dabei Festplatten und Datenträger. Zwei der sechs Personen wurden festgenommen und beschuldigt, „schwere staatsgefährdende Gewalttaten“ (Terroranschläge) vorbereitet zu haben. Die übrigen wurden zunächst als Zeugen vernommen. Am 4. September 2017 erfuhr der Innenausschuss des Deutschen Bundestages erstmals von der Nordkreuzgruppe und den Inhalten ihrer Kommunikation.[3]

Mitglieder

Gründer und Leiter der Gruppe sowie Administrator ihres Chats war der langjährige LKA-Beamte Marko G. aus Banzkow, der einem Spezialeinsatzkommando (SEK) angehörte. Er war früher Fernspäher und Fallschirmspringer, als SEK-Mitglied ist er etwa auf Geiselbefreiung trainierter Präzisionsschütze.[4] Nach Recherchen der taz fiel er schon bei der Bundeswehr mit einem „Interesse für die jüngere Militärgeschichte“ der NS-Zeit auf. 1993 war er bei einer Einheit in einem Brandenburger Panzerbataillon, aus der eine Maschinenpistole vom Typ Uzi verschwand. Sie wurde 2019 in der Wohnung von Marko G. gefunden. Während seiner Fortbildung zum gehobenen Polizeidienst brachte er Bücher über die Wehrmacht und die SS zur Arbeit mit und trug T-Shirts mit rechtsextremen Parolen. 2009 meldeten mindestens zwei Polizist*innen sein Verhalten mündlich und schriftlich Vorgesetzten, die jedoch nichts unternahmen. Ab 2015 administrierte Marko G. unter dem Pseudonym „Hombre“ die Chatgruppen der Nordkreuzmitglieder, organisierte Treffen, sammelte Geld für ihre Depots und wies ihnen Aufgaben zu. Im November 2016, als seine Gruppe Ermittler*innen schon bekannt war, schickte er einem Trainer auf dem privaten Schießplatz für Spezialkräfte in Güstrow ein Video von einem Nussknacker, der seinen rechten Arm nach oben bewegt und „Sieg Heil“ sagt. Im Januar 2017 sandte der Schießtrainer ihm Regeln zur „Reinhaltung der Deutschen Rasse“ von 1938.[5] Am 20. April 2017, dem „Führergeburtstag“, sandte Marko G. ihm ein Bild Adolf Hitlers mit der Aufschrift „Happy Birthday”.[6]

Die beiden vom Generalbundesanwalt Beschuldigten sind der Rechtsanwalt Jan Hendrik H. aus Rostock und der Kriminaloberkommissar Haik J. aus Grabow. Jan Hendrik H. war Abgeordneter der FDP in der Bürgerschaft Rostocks und trat 2015 aus, behielt aber sein Mandat. 2017 war er stellvertretender Vorsitzender der „Unabhängigen Bürger für Rostock“ (UFR), die bis 2019 Rostocks Oberbürgermeister stellten.[7] Haik J. arbeitete in der Polizeiinspektion Ludwigslust. Ihm wird unter anderem vorgeworfen, seinen Dienstcomputer zur Recherche personenbezogener Daten von linken politischen Gegner*innen genutzt zu haben.[8]

Weitere Mitglieder sind der Bundeswehrmajor Horst S. aus Krakow am See (bis März 2017 Vizelandeschef des Reservistenverbandes von Mecklenburg-Vorpommern) und der Handwerksmeister Axel M. aus Crivitz. Bei ihm trafen sich die rund 30 männlichen Mitglieder, manchmal mitsamt Frauen und Kindern. Die meisten Mitglieder wohnen in Ortschaften zwischen Schwerin, Hagenow und Ludwigslust. Mindestens zwei von ihnen (Marko G. und Haik J.) sind Mitglied der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Fast alle sind Reservisten der Bundeswehr im Kreisverband des Fliegerhorsts Laage. Jan Hendrik H. gab an, er sei Kampfschwimmer bei der NVA gewesen.[3]

Gegenüber dem Magazin Panorama gab Marko G. nach der Razzia an, die Gruppe setze sich aus Banker*innen, Mediziner*innen, Sportler*innen, Techniker*innen, Ingenieur*innen, Polizist*innen und selbstständigen Handwerker*innen zusammen.[9] Laut dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) stammen die meisten Mitglieder aus dem Umfeld von Bundeswehr und Polizei Mecklenburg-Vorpommern, darunter mehrere frühere SEK-Mitglieder. Sie hätten alle Zugang zu Waffen, Munition und seien geübte Schütz*innen.[10]

Frank T., der Inhaber des Schießplatzes und Schießtrainer der Firma Baltic Shooters in Güstrow, war bis 2017 Mitglied bei Nordkreuz. Marko G. und jener Trainer, mit dem er rechtsextreme Chatnachrichten austauschte, waren bei Frank T. angestellt. Er ist mehrfacher deutscher Meister mit der Kurzwaffe und bildet Spezialkräfte aus Deutschland und dem Ausland aus, darunter Sondereinsatzkommandos, Bereitschaftspolizei, Teams der GSG 9 der Bundespolizei, vom Einsatzkommando Cobra aus Österreich, SWAT-Teams aus den USA und Soldaten vom Kommando Spezialkräfte (KSK). Seine jährlichen dreitägigen „Special Forces Workshop“ werden von den besten Berufsschütz*innen der Sicherheitsbehörden besucht und von großen Rüstungsfirmen gefördert. Mitveranstalter war bis 2018 das Landeskriminalamt, bei dem Marko G. arbeitete. Dadurch und durch Kursteilnehmer aus der Polizei erhielt Frank T.s Firma genaue Einblicke in polizeiliche Interna. Andere Nordkreuzmitglieder kauften bei ihm Waffen und Munition und nahmen an seinen Übungskursen teil. Schirmherr und häufiger Besucher der Jahrestreffen war Schleswig-Holsteins Innenminister Lorenz Caffier. Sein Ministerium setzte die Kooperation mit T.s Firma noch zwei Jahre lang bis zum Sommer 2019 fort.[5] Möglich ist, dass die bei Marko G. gefundene Munition, die von polizeilichen Spezialkräften aus verschiedenen Bundesländern stammt, über diesen Weg zu G. gelangte.[11]

Ziele

Nach Angaben des Generalbundesanwalts vom August 2017 bereiteten sich zumindest einige Mitglieder der Gruppe auf den Zusammenbruch der Gesellschafts- und Staatsordnung an einem „Tag X“ vor. Sie glaubten, die Flüchtlingspolitik der Regierungen werde private und öffentliche Haushalte verarmen lassen, Anschläge und sonstige Straftaten würden zunehmen. Sie sahen die bevorstehende Krise als Chance, „Vertreter des politisch linken Spektrums festzusetzen und mit ihren Waffen zu töten“. Darüber tauschten sie sich aus und trafen entsprechende Vorbereitungen.[7]

Als Ideengeber nannte Axel M. den Österreicher Walter K. Eichelburg, einen Autor rechtsextremer Verschwörungstheorien. Dieser behauptet, Muslim*innen bereiteten sich auf einen baldigen Aufstand vor („Muselrevolte“) und würden dann die Städte erobern. Bürgerwehren müssten die „Rückeroberung“ vom Land aus beginnen. Dabei werde „Blut fließen ohne Ende“. Man müsse Muslim*innen kreuzigen oder pfählen, ebenso einige „linksgrünversiffte“ Politiker*innen und Bürokrat*innen, damit alle sähen, wer die Feinde seien und „was mit ihnen passiert, wenn sie sich nicht freiwillig ergeben.“[3]

Mittel

Vorratsdepots und Bunker

Die Prepper*innen kommunizierten über den verschlüsselten Messengerdienst Telegram. Nach Aussagen von Axel M. rechnen sie mit Klimakatastrophen, Stromausfällen, einer „Flüchtlingswelle“ muslimischer Migrant*innen und einem Banken-Crash. Darum legte jedes Mitglied eine „eiserne Reserve“ für den „Tag X“ aus Konserven, Notstromaggregaten, Waffen und Munition an. Manche hätten Bunker unter ihren Häusern gebaut, andere nur Trockenobst und Wasser deponiert.[3]

Nach Ermittlungsunterlagen hatten Mitglieder der Gruppe Depots mit Treibstoff, Nahrungsmitteln und Munition angelegt. Jedes Mitglied zahlte dafür etwa 600 Euro in eine gemeinsame Kasse. Der Betreiber eines Schießstandes bei Rostock verkaufte den Mitgliedern Waffen. Ein Ausbilder am Fliegerhorst der Bundeswehr in Laage lud sie nach Dienstschluss in den Sicherheitsbereich ein, wo sie im Flugsimulator den Eurofighter fliegen durften. Der beschuldigte Anwalt Jan Hendrik H. soll bei Geburtstagsfeiern hinter seinem Haus ein Wettschießen veranstaltet und einen Wanderpokal als Preis nach Mehmet Turgut aus Rostock benannt haben, dem fünften von neun Mordopfern der Ceska-Mordserie des NSU.[12]

Waffen und Munition

Alle Nordkreuzmitglieder besaßen als Jäger*innen oder Sportschütz*innen legal Waffen, fuhren gemeinsam zu Schießübungen nach Güstrow, zur Polizeischießbahn nach Plate bei Schwerin oder zur Schießsportanlage Schwerin-Hagenow unter dem Dach des Reservistenverbands der Bundeswehr. Dort trafen sie regelmäßig den ehemaligen Bundeswehrmajor Horst S., der ihre Handydaten besaß.[3]

Beim Nordkreuzgründer Marko G. fand die Polizei im September 2017 neben legalen auch illegale Waffen. Daraufhin ermittelte die Staatsanwaltschaft Schwerin gegen ihn wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz.[13] Dabei stellte sich heraus, dass seit mindestens April 2012 rund 10.000 Patronen Munition aus dem Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern gestohlen und an Marko G. und die Gruppe Nordkreuz weitergegeben worden waren. Des Diebstahls und der Weitergabe verdächtigt wurden drei ehemalige SEK-Beamte. Eine siebenköpfige LKA-Sonderkommission und Polizeidienststellen anderer Bundesländer ermittelten monatelang gegen die eigenen Kolleg*innen und wurden dabei abgeschottet, um Behördenlecks auszuschließen. Am 12. Juni 2019 nahm die Staatsanwaltschaft Schwerin die vier SEK-Beamten wegen Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Waffengesetz sowie wegen Betrugs fest. Die Ermittler durchsuchten ihre Wohnungen und Diensträume in Güstrow, Waldeck, Banzkow und im LKA in Rampe bei Schwerin.[14]

Bei der zweiten Durchsuchung im Juni 2019 fanden die Ermittler in Marko G.s Wohnhaus und dem seiner Schwiegereltern weitere Waffen, darunter jene Uzi, die aus Bundeswehrbeständen gestohlen worden war,[15] einen illegalen Schalldämpfer,[4] Sportwaffen, zwei Pistolen der Marken Glock und Ruger, Blendgranaten, Schießpulver, Telekopschlagstöcke und ein zur Fahndung ausgeschriebenes Winchester-Gewehr. Bei beiden Razzien fanden sie insgesamt rund 55.000 Schuss Munition. Diese stammte zu einem erheblichen Teil aus Polizeibeständen von sieben Bundesländern, der Bundespolizei, der Bundeswehr und dem Zoll. Wie sie nach Mecklenburg-Vorpommern gelangte, ist bisher ungeklärt und wurde im späteren Strafverfahren gegen Marko G. nicht weiterverfolgt.

Ein Teil der bei Marko G. gefundenen Patronen war an die Firma Baltic Shooters oder Frank T. geliefert worden, andere an das LKA, die Polizeiverwaltung oder das SEK Mecklenburg-Vorpommern, das jahrelang auf jenem Schießplatz trainierte. Marko G. kann diese Munition auf dem Platz entwendet oder von jemand dort erhalten haben. Auch für die Bundespolizei und Landespolizeien bestimmte Munitionspakete können ihm Kompliz*innen zugeschickt oder in Güstrow übergeben haben. Einheiten fast aller Adressaten der gefundenen Munition waren zeitweise in Güstrow. Einige Munitionshersteller brachten selbst Patronen zum jährlichen Workshop mit. Diese lagen laut Zeugen dort offen herum, der Verbrauch sei nicht dokumentiert und kontrolliert worden. Dagegen erklärte das Innenministerium auf Nachfrage, der Verbrauch sei vor Ort vermerkt worden. Personen- oder Gepäckkontrollen habe das LKA nicht durchgeführt. Ob und welche Behörden Frank T. und seine Mitarbeiter einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen, bevor sie die Erlaubnis für die Trainings erhielten, blieb unbeantwortet. Ein Mitarbeiter des Landkreises, der Marko G. Waffenbesitzkarten ausgestellt hatte, war seinerseits Mitglied im Reservistenverband, aus dem viele Nordkreuzmitglieder kamen. Er sagte später aus, Marko G. sei beim Landkreis als Waffensachverständiger registriert gewesen. Er beschlagnahmte dessen Waffen und Munition bei der ersten Durchsuchung, erlaubte ihm aber, seine legalen Waffen und Patronen einem Waffenhändler seiner Wahl zu geben. G. wählte Frank T.; was dieser erhielt und damit machte, blieb ungeklärt. Er soll auch gestohlene Munition aus G.s Besitz verbraucht und so die Klärung ihrer Herkunft vereitelt haben.[5]

Im Strafverfahren gegen Marko G. wurde bekannt, dass die Uzi-Maschinenpistole 1993 von der Bundeswehr gestohlen worden war, als er dort ausgebildet wurde. Sie war nach Medienrecherchen auf dem Truppenübungsplatz Lehnin bei Potsdam aus einem aufgebrochenen Panzer entwendet worden. 1400 von 55.300 bei ihm gefundenen Patronen unterlagen dem Kriegswaffenkontrollgesetz und durften nur an Polizeibehörden und das Militär verkauft werden.[16]

Feindeslisten

Nach ersten Berichten führte Jan Hendrik H. in seinem Anwaltsbüro eine Liste mit mehr als 5000 Namen und Adressen vermeintlicher Gegner*innen, darunter öffentliche Amtsträger*innen, Journalist*innen und rund hundert Politiker*innen, meist aus Mecklenburg-Vorpommern. Er entnahm die Namen aus öffentlichen Quellen und führte die Liste ohne Hinweise auf eine Tötungsabsicht. Haik J. soll über seinen Dienstcomputer Meldedaten von politischen Gegner*innen ausspioniert haben.[3] In den beschlagnahmten Daten der Nordkreuzmitglieder fanden die Ermittler später insgesamt rund 25.000 Namen und Adressen von als Feinden geführten Personen. Dies gab das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz Ende Juli 2018 bekannt.[17]

Feindeslisten sind im rechtsextremen Spektrum in Deutschland seit langem üblich. Die Nordkreuzliste ist die bisher umfassendste Liste dieser Art. Sie liegt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND), der Stuttgarter Zeitung und den Stuttgarter Nachrichten als Excel-Datei vor. Sie umfasst 24.522 Namen und Adressen von linken Aktivist*innen, Punks, Politiker*innen und bekannten Künstler*innen aus dem ganzen Bundesgebiet. Diese Daten stammen aus einer 2015 gehackten Kundendatei des Duisburger Online-Versandhandels Impact Mailorder mit rund 40.000 Namen von Kunden und Geschäftspartnern.[18] Am 14. Juli 2017 verbreitete der AfD-Landtagsabgeordnete Heiner Merz die gehackten rund 25.000 Namen, Adressen und E-Mail-Adressen angeblicher Antifa-Personen als E-Mail-Anhang. Er forderte AfD-Mitglieder dazu auf, die Liste zu „speichern, verbreiten und verwenden“, nämlich Personen aus ihrem lokalen Umfeld zu suchen, sie am Ort bekannt zu machen und sie bei ihren Arbeitgeber*innen zu denunzieren: „Der Fantasie sind wenig Grenzen gesetzt.“[19] Nachdem dieselben Daten bei Nordkreuz auftauchten, behauptete Merz, er habe die Liste von einem Antifa-Aussteiger erhalten und sehe sich „getäuscht“.[20] Auf die in der rechtsextremen Szene kursierende Liste hatte auch die Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ Zugriff.[21]

Bei einer zweiten Razzia im April 2018 fanden die Ermittler Teile der 2015 gehackten Kundendatei auf elektronischen Datenträgern von Nordkreuzmitgliedern. Diese wollten die Hackerliste laut Bundesanwaltschaft dazu nutzen, Angaben zu möglichen Zielpersonen zu präzisieren.[18] Während manche Datenträger nach BKA-Angaben mehrere zehntausend Datensätze aus der gehackten Kundendatei umfassten, wurden andere Informationen individuell aus öffentlich zugänglichen Zeitungsartikeln, Aufzeichnungen oder Auszügen von Internetauftritten zusammengestellt.[22] Laut von Ermittler*innen bestätigten Polizeiprotokollen sagten verhörte Nordkreuzmitglieder wie Horst S. aus, man habe mithilfe der Listen „linke Persönlichkeiten“ finden wollen, um sie „im Konfliktfall zu liquidieren“.[23] Zudem plante Jan Hendrik H., seinen Kamerad*innen ab dem „Tag X“ Passierscheine mit Stempeln auf Kopfbögen der Bundeswehr auszustellen, damit sie rascher in die „Einsatzgebiete“ für die vorgesehenen Tötungen kommen würden.[24]

Die Beschuldigten bestritten eine Tötungsabsicht. Nach Angaben der Ermittler*innen hatten sie sich jedoch mit „enormer Intensität“ auf den „Tag X“ vorbereitet, indem sie die 25.000 Namen und Adressen mit Hilfe von Dienstcomputern der Polizei zusammentrugen. Die meisten auf der Liste genannten Personen seien aus dem regionalen Umfeld der „Prepper*innen“, besonders Lokalpolitiker*innen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und CDU, die sich als „Flüchtlingsfreunde“ zeigten und Flüchtlingsarbeit geleistet hatten. Jedes Gruppenmitglied habe Dörfer und Gemeinden in seiner Umgebung systematisch nach möglichen Zielpersonen abgesucht, vor allem in Wismar, Ludwigslust, Schwerin sowie der Region um Perleberg und Pritzwalk im Norden Brandenburgs.[10] Darüber hinaus sammelten die Nordkreuzprepper*innen Personendaten aus dem ganzen Bundesgebiet, auch dort vorwiegend von linksgerichteten Menschen und solchen, die sich positiv über Geflüchtete und Asylsuchende geäußert haben.[24]

Weitere Personendossiers fanden sich in einem gelben Aktenordner und einem Umschlag, die die Ermittler*innen bei ihren Razzien 2017/18 bei Jan Hendrik H. und Haik J. beschlagnahmt hatten. Sie enthielten Fotografien und Detailinformationen, auch über Kontaktpersonen. Hinter 29 Namen hatte der Rostocker Anwalt handschriftlich Zusätze über Namensänderungen, Geburtsnamen und -daten sowie neue Meldeadressen notiert.[4] Zu den 29 Personen gehören Landtagsabgeordnete der Linkspartei, mehrere Stadtratsabgeordnete von Rostock und Sachverständige, die Stadtratsausschüsse eingeladen hatten, in denen H. Mitglied war. Sie engagieren sich in einem Rostocker Bürgerbündnis gegen rechts oder organisieren das Gedenken für das Rostocker NSU-Mordopfer Mehmet Turgut. Nach ihrer Auskunft kannten nicht alle Jan Hendrik H. persönlich.[25] Dessen Aufzeichnungen enthielten auch Telefonnummern, E-Mail-Adressen und Zeitungsartikel zur Flüchtlingskrise von 2015, endeten aber 2016. Ab 28. Juni 2019 legten BKA-Ermittler den 29 verzeichneten Personen zwei Ordner mit insgesamt 500 Seiten vor und befragten sie zur Herkunft der darin enthaltenen Angaben. Mehrere der Befragten äußerten Befremden, dass das LKA sie darüber nicht zeitnah informiert hatte, sondern erst das BKA zwei Jahre später.[26]

Einige dieser Zeug*innen hatten 2015 eine anonyme Morddrohung als Brief und darum zeitweise Polizeischutz erhalten. Der Absender der Drohung wurde nicht ermittelt. Der Staatsschutz hatte damals den Grundriss der Wohnung eines Betroffenen angefertigt, aber danach den Wohnungsinhaber nicht weiter kontaktiert. Die Skizze fand sich nun bei den beschuldigten Nordkreuzlern. Wie diese in ihren Besitz gelangte, ist unklar. Die Ermittler vermuten, dass der Kriminalpolizist Haik J. seinen Zugang zum Polizeicomputer zum Recherchieren solcher Details nutzte. Journalisten vermuten, er könnte an den Ermittlungen von 2015 beteiligt gewesen sein oder der Staatsschutz habe vertrauliche Daten nicht geschützt.[4]

Ab 12. Juli 2019 machten RND-Recherchen Details zu den Listen bekannt. Demnach sind dort Personen aus 7963 Orten in Deutschland und dem Ausland verzeichnet:[27]

Ort/Region Betroffene Informiert
Land MV ~1200 durch LKA-Brief
ab 22. Juli 2019
Berlin 861 -
Land Sachsen-Anhalt 471 nur Rechtsberatung
ab 26. Juli 2019[28]
Hamburg 364 -
Leipzig 259 -
München 259 -
Region Stuttgart ~200 -
Köln 187 -
Dresden 164 -
Land Brandenburg 160 durch LKA-Brief
ab 12. Juli 2019
Hannover 120 -
Kiel 112 -
Rostock 102 davon 29 durch BKA
ab 28. Juni 2019
Stuttgart ~100 -
Gera 92 -
Frankfurt am Main 70 -
Jena 67 -
Potsdam 53 -
Erfurt 51 -
Halle/Saale 49 -
Görlitz 40 -
Meißen 19 -
Döbeln 16 -
Torgau 15 -

In Baden-Württemberg sind neben 100 Stuttgartern insgesamt rund 200 Personen aus Böblingen, Esslingen am Neckar, Ludwigsburg, Göppingen und dem Rems-Murr-Kreis betroffen. Ihre Adressen stammen ebenfalls aus der 2015 gehackten Kundendatei.[23]

Wie viele Listen welchen Umfangs und welcher Herkunft insgesamt bei den Beschuldigten und Zeugen gefunden wurden, ist bislang unklar. Deutlich ist allerdings, dass es sich bei den festgestellten Daten nicht nur um jene Liste handelt, die bereits 2015 als Kundendatenbank eines alternativen Versandhandels öffentlich wurde und einige Monate später leicht verändert als sogenannte "Antifa-Liste" auf rechtsextremen Seiten kursierte[8]. Vielmehr sollen die Nordkreuz-Mitglieder intensive eigene Recherchen zu personenbezogenen Daten ihrer Opfer angestellt haben. Widersprüchlich sind auch die Angaben von Bundesregierung und Landesregierungen zu Umfang der Listen und Bezügen zu den jeweiligen Bundesländern.[8]

Tötungsplanung

Mitglieder von Nordkreuz berieten laut taz-Recherchen Anfang 2017 bei Schwerin darüber, wo sie am „Tag X“ ihre politischen Gegner internieren könnten, sprachen über Lagerhallen sowie Erschießungen und fragten den Kompaniechef der Reservisten, ob man im „Ernstfall“ zum Abtransport von Menschen nicht Lastwagen der Bundeswehr organisieren und damit auch mögliche Straßenkontrollen überwinden könne.[12]

Zwei ehemalige Fallschirmjäger sowie Haik J. und Marko G. tauschten Anfang 2017 in einer eigenen Telegram-Chatgruppe namens „Vier gewinnt“ laut Bundesregierung rechtsextremes Gedankengut aus. Nach BKA-Angaben (Juli 2019) nannten sie Flüchtlinge „Invasoren“, gegen die man notfalls mit Waffengewalt vorgehen müsse.

Nach einem Bericht des RND wollte Nordkreuz 200 Leichensäcke und Ätzkalk (Löschkalk) bestellen. Mit Ätzkalk können Leichen schneller unkenntlich gemacht[29] und ihre Verwesung in Massengräbern beschleunigt werden.[4] Die Bestellabsicht ging aus einer dreiseitigen handgeschriebenen Aufstellung mit Bestelladressen für diese Materialien, Kontakten und Wohnungsbeziehungen hervor. Das BfV übergab das Dokument im Juni 2019 dem Bundestag. Die Bundesanwaltschaft beantragte wegen des Fundstücks erweiterte Überwachungsmaßnahmen gegen die Gruppe.[10]

Vernetzung

Nach im November 2018 veröffentlichten Recherchen der taz war Nordkreuz Teil eines Netzwerks vergleichbarer Prepper- und Chatgruppen, die sich auf einen bewaffneten Umsturz an einem „Tag X“ vorbereiten. Administrator des Netzwerks unter dem Decknamen „Hannibal“ war der Bundeswehrsoldat André S., ein früheres Mitglied im Kommando Spezialkräfte (KSK). Nach seinem Ausstieg aus dem KSK war er „Auskunftsperson“ für rechtsextremistische Tendenzen in der Bundeswehr für den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Am 13. September 2017 erfuhr er von einem MAD-Mitarbeiter, dass der Generalbundesanwalt gegen die Gruppe Nordkreuz ermittelte. Danach warnte André S. wahrscheinlich andere Prepper vor weiteren bevorstehenden Durchsuchungen und Befragungen. Infolge des anschließenden Strafprozesses gegen seinen MAD-Informanten wurde er verhört. Dabei stellte sich seine Rolle als Netzwerkadministrator und Mitgründer des Vereins Uniter heraus. Zu seinem Netzwerk gehörten weitere Chatgruppen, darunter „Nord“, „Nord.Com“, „Ost“, „West“ und „Süd“, organisiert entlang der geografischen Aufteilung der Wehrbereichsverwaltung, sowie Gruppen in Österreich und der Schweiz. Nachdem Franco A. festgenommen und als mutmaßlicher Rechtsterrorist angeklagt worden war, ließ „Hannibal“ alle Chats dieser Gruppen löschen.[12]

Ob André S. über die Pläne von Nordkreuz informiert war, ist unklar.[4] Die mit ihr verbündeten Abteilungen „Südkreuz“ und „Westkreuz“ sowie eine Unterstützergruppe in und um Berlin besaßen nach den bisherigen Ermittlungen keine eigenen Feindeslisten.[24]

Bezüge zur AfD

Nachdem die Vorwürfe gegen den Kriminalpolizisten Haik J. bekannt geworden waren, berief die AfD Mecklenburg-Vorpommern ihn Ende 2017 in eine Partei-Arbeitsgruppe zur Inneren Sicherheit. Im Januar 2018 wählte sie ihn zum stellvertretenden Vorsitzenden ihres Fachausschusses 5 „Innere Sicherheit, Justiz und Datenschutz“.[30] Er war Wahlkreismitarbeiter für den damaligen AfD-Landtagsabgeordneten Holger Arppe. Zu diesem hatte auch der beschuldigte Anwalt Jan Hendrik H. guten Kontakt. Auch Nordkreuzgründer Marko G. ist AfD-Mitglied. Nachdem Medien Chatprotokolle Arppes mit Hinrichtungswünschen gegen politische Gegner veröffentlichten („Ich will sie hängen sehen, Grube ausheben, alle rein und Löschkalk oben rauf“), schloss die AfD ihn Anfang 2018 aus der Partei aus.[4]

Nach ersten Medienberichten über das Hannibal-Netzwerk ließ die Bundesanwaltschaft am 23. April 2018 Wohnungen von sieben Personen an zwölf Orten durchsuchen, darunter die von Holger Arppe. Dieser war zuvor aufgrund jener Chatprotokolle wegen Volksverhetzung angeklagt worden. Die Ermittler kopierten seine Computer- und Handydaten und vernahmen ihn sieben Stunden lang als Zeugen zu den Nordkreuzchats.[31]

Belastbare Hinweise fehlen, dass Arppe zu Nordkreuz gehörte. Doch im Mai 2015 hatte er mit anderen AfD-Mitgliedern über einen Bürgerschaftsabgeordneten der Grünen in Rostock gechattet: „Brauchen wir seine Adresse? Da muss ich heute Nacht mal gleich meinen Dienstrechner mit seinen Daten füttern.“ Name und handschriftlich notierte Privatadresse des Grünen standen auf der Feindesliste von Nordkreuz.[4]

Staatliche Maßnahmen

Das BfV beobachtete Nordkreuz nach eigenen Angaben seit Herbst 2016 mit allen verfügbaren nachrichtendienstlichen Mitteln.[4] Auf eine Anfrage der Abgeordneten Martina Renner (Die Linke) antwortete die Bundesregierung jedoch, dass BfV sei erst im Juli 2017 vom Bundeskriminalamt informiert worden.[32] Infolge der Entdeckung der Gruppe beschlossen die Innenminister der Länder im Dezember 2017, die bundesweiten Kenntnisse von Polizei und Verfassungsschutz zur Prepper-Szene in ihre Lageberichte einzubeziehen, um deren Zusammensetzung und Ziele, Nähe zu Waffen, mögliche Radikalisierungstendenzen und Bezüge zum Extremismus zu prüfen.[33]

Nach der Razzia vom August 2017 ließ Innenminister Lorenz Caffier (CDU) eine sogenannte Prepper-Kommission einrichten, die jedoch nach zwei Jahren noch keinen Bericht vorgelegt hatte.[12] Eine Klage auf Herausgebe des Berichts nach dem Informationsfreiheitsgesetz ist anhängig.[34] Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern ließ Marko G. zunächst als Polizist weiterarbeiten, da er vom Generalbundesanwalt nicht als Tatverdächtiger eingestuft worden war.[9] Er und Haik J. wurden erst im Januar 2018 vom Dienst suspendiert.[35] Marko G. kam erst im Juni 2019 in Untersuchungshaft, nachdem weitere gestohlene Waffen und Munition bei ihm gefunden worden waren.[24] Alle Waffen im Besitz von Marko G., auch die legalen, wurden sichergestellt. Gegen ihn wurde eine Disziplinarklage erhoben und am 20. November 2019 in Schwerin ein Prozess wegen illegalen Hortens von Waffen eröffnet.[36] Infolge der Razzia der Bundesanwaltschaft leitete das LKA Mecklenburg-Vorpommern vier weitere Verfahren wegen Verstößen gegen das Waffengesetz gegen Nordkreuzmitglieder ein.[35]

Die Munitionsbeschaffer des SEK wurden vom Dienst suspendiert und sollen aus dem SEK ausgeschlossen werden. Zwei der suspendierten SEK-Beamten wurden wegen Fluchtgefahr inhaftiert. Vier weitere SEK-Beamte ließ Innenminister Caffier vorsorglich versetzen, weil sie über Chats engen Kontakt zu Marko G. und den anderen SEK-Beamten hatten. Dem Betreiber des Schießplatzes in Güstrow wurde gekündigt und die Schießtrainings wurden neu organisiert um Munitionsdiebstahl zu verhindern. Der Verfassungsschutz soll künftig alle Bewerber der Landespolizei überprüfen, darüber hinaus soll der SEK-Dienst auf zehn Jahre begrenzt werden. Eine dreiköpfige Expertenkommission soll die Spezialeinheiten des Landes bis Ende Oktober 2019 „gründlich untersuchen“.

Jedoch wollte Caffier weder von „Todeslisten“ sprechen noch seine Kollegen im Landtag darüber informieren noch das LKA anweisen, gelistete Personen zu informieren, weil er keine Gefährdung für sie sah. Mehr als ein Dutzend parlamentarische Anfragen zu Nordkreuz und zum Hannibal-Netzwerk blieben wegen der laufenden Ermittlungen unbeantwortet, darunter die Frage, warum die Verfahren gegen die drei Nordkreuzmitglieder und die zwei SEK-Beamten getrennt geführt und die Indizien nicht als Bildung einer terroristischen Vereinigung gewertet werden.[4]

Nach einem Urteil des Amtsgerichts Bonn vom März 2019 musste der Reservistenverband der Bundeswehr vier 2018 ausgeschlossene Nordkreuzmitglieder, darunter die beiden vom Generalbundesanwalt Beschuldigten und einen der wegen Munitionsdiebstahls verdächtigten SEK-Beamten, wieder aufnehmen. Das Gericht sah keinen Beleg für ihre verfassungsfeindliche Gesinnung. Die Zugehörigkeit zur Chatgruppe „Nordkreuz“ und zur Prepperszene seien kein Verstoß gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Während der Reservistenverband betonte, die vier Nordkreuzler nähmen nicht mehr an den üblichen Schießübungen und Bundeswehrtrainings teil, schloss das Landeskommando der Bundeswehr dies nicht aus.[37]

Im September 2017 übergab das BKA dem LKA Mecklenburg-Vorpommerns nach dessen Angaben 1477 Datensätze zu tausenden Personen. Die 29 zusätzlichen Namen seien im Oktober 2017 bekannt, zunächst jedoch als Informationen nur für polizeiliche Zwecke und nicht als Liste gefährdeter Personen eingestuft worden.[26] 2018 übergab das BKA dem LKA Ergebnisse seiner Razzien und eine Gefährdungseinschätzung. Dem Landesinnenministerium oblag die Information der aufgelisteten Personen, die Caffier jedoch stets ablehnte.[25] Daraufhin informierte das BKA bis 12. Juli 2019 jene 29 Personen über ihre mögliche Gefährdung. Bei den rund 25.000 Personen der 2018 entdeckten Liste ging das BKA von einer „abstrakten Gefahrenlage“ aus und informierte sie nicht. Auch das Bundesinnenministerium verweigert bisher wegen der laufenden Ermittlungen nähere Angaben zu möglichen „Todeslisten“.[18]

Das Landeskriminalamt Brandenburg erklärte, man habe die Brandenburger Bürger auf der Liste bisher nicht informiert, weil der Internethändler sie schon über den Hackerangriff und das Abgreifen ihrer Daten informiert habe. Es gebe keine konkreten Gefährdungshinweise für sie. Man wolle nun aber Informationsschreiben an sie senden. Der Brandenburger Verein Opferperspektive kritisierte, Polizei und BKA hätten die Information der von rechtem Terror Gefährdeten zwei Jahre lang versäumt.[38]

Nach dem Bekanntwerden der Bestellliste für Leichensäcke und Ätzkalk wurde die Gefahrenlage für die von Nordkreuz bedrohten Personen als weit ernster eingestuft. Verschiedene Oppositionspolitiker forderten die Bundesbehörden auf, ihre bisherige Nichtinformationspolitik zu den Listen aufzugeben und alle rund 25.000 Betroffenen zu informieren.[23] Am 18. Juli 2019 forderten Vertreter aller Oppositionsparteien außer der AfD im Bayerischen Landtag Personenschutz für von Nordkreuz bedrohte Bürger. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann wies dies zurück und betonte, der Generalbundesanwalt entscheide allein über die Bekanntgabe der Listen. Diese könnten rechte Terrorgruppen für Drohungen benutzen.[39]

Am 19. Juli 2019 schloss das BKA eine konkrete und aktuelle Gefährdung der gelisteten Personen, Institutionen und Organisationen aus und bestritt, dass es sich um „Feindes- oder gar Todeslisten“ handele. Das Sammeln von Informationen über „den politischen Gegner“ und Bekanntgeben von deren Namen sei in politisch motivierter Kriminalität üblich und betreffe zunehmend auch Personen des öffentlichen Lebens, Amtspersonen, Bürgerinitiativen und Medieneinrichtungen. Ziel sei vor allem, „Angst zu schüren und Verunsicherung zu verbreiten.“[22]

Ab 22. Juli 2019 informierte das Landesinnenministerium rund 1.200 Bürger von Mecklenburg-Vorpommern brieflich darüber, dass sie auf den Nordkreuzlisten stehen. Dies gab Innenminister Caffier bekannt, betonte aber zugleich, er schließe ihre Gefährdung weiterhin aus.[40] Die Informationsbriefe erwähnen „Materialsammlungen“ mit „personenbezogenen Daten zu Ihrer Person“, aber ohne Details zu den Ermittlungsverfahren, den Beschuldigten und dem möglichen Zweck der Listen. Stattdessen weisen sie unter Bezugnahme auf das BKA die Begriffe „Feindes-“ oder „Todesliste“ zurück. Auf eine parlamentarische Anfrage antwortete Caffier, ein Tatverdächtiger habe im Februar und März 2017 Abfragen im Einwohnermeldesystem des Landes getätigt. Solche Sammlungen zu „politisch anders Denkenden“ seien „im rechts- und linksextremistischen Bereich nicht unüblich“ und in der Regel nicht von unmittelbarer Gefährdung begleitet. Briefempfänger nannten diese Informationspolitik einen „schlechten Scherz“ und ein „völliges Desaster“.[41]

Nach einem Bericht des Magazins Fakt behandeln die LKAs rechtsextreme Feindeslisten je nach Bundesland sehr verschieden, so dass viele davon betroffene Menschen sich eingeschüchtert und vom Staat allein gelassen fühlen. In Hessen und Thüringen informierte die Polizei Betroffene früh, in Bayern schickte das LKA ihnen Formulare für Strafanzeigen zu, in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen überließen die LKAs den örtlichen Polizeidienststellen über eine Nachricht zu entscheiden, in Rheinland-Pfalz prüfte das LKA ein halbes Jahr nach dem Erscheinen einer Liste noch, ob man die Betroffenen informieren solle, in Sachsen-Anhalt wartete man darauf, dass Betroffene selbst bei der Polizei nachfragten, in Brandenburg informierte man sie nicht, stellte aber dennoch Anzeigen für sie, in Baden-Württemberg, Sachsen, Schleswig-Holstein, Hamburg und Berlin fanden die LKAs keine Hinweise auf eine Straftat und informierten niemanden eigenständig. Obwohl auch das BKA die Autoren der Liste nicht kannte, stufte es die genannten Personen als nicht gefährdet ein und teilte mit, sie zu informieren würde zu einer „aus polizeilicher Sicht nicht gerechtfertigten Verunsicherung führen“. Politiker fordern von der Bundesregierung eine Stelle, die die verschiedenen Strafverfahren zur selben Feindesliste koordinieren soll.[42]

Die Hamburger Behörde für Inneres und Sport hatte 2018 noch bestritten, dass Hamburger auf der „Feindesliste“ von Nordkreuz stehen, bestätigte aber im August 2019 auf Nachfrage der Linksfraktion Hamburg, dass 364 Personen im Raum Hamburg gelistet sind, davon 236 mit Hamburger Meldeadresse. 24 Personen seien doppelt vorhanden. Eine Information selbst dieser Betroffenen schloss die Behörde weiter aus, weil sie laut BKA derzeit nicht gefährdet seien.[43] Nach Kritik richtete das Landeskriminalamt Hamburg ein Auskunftstelefon (040 - 428677055) für Nachfragen ein, ob man auf der Liste stehe.[44]

Am 19. August 2019 urteilte das Verwaltungsgericht Wiesbaden, dass das BKA die Feindeslisten nicht veröffentlichen müsse, und stellte das Verfahren dazu ein. Ein Journalist hatte sich auf das Informationsfreiheitsgesetz berufen, um die Herausgabe der Listen zu erreichen.[45]

Für Sascha Lobo (Der Spiegel) zeigt der beliebige, unkoordinierte Umgang deutscher Sicherheitsbehörden mit Feindeslisten eine „Nazi-Ignoranz“. Da die Nordkreuzlisten von ehemaligen, teils sogar überwachten Polizei- und Armeemitgliedern erstellt wurden, Wohnungsskizzen und Adressen aus Polizeicomputern in rechtsextreme Hände gelangten, könne man keinen wirksamem Datenschutz bei der Polizei mehr annehmen. Der Rechtsstaat kapituliere vor gefährlichen internen Netzwerken. Die Politik verharmlose mutmaßliche Rechtsterroristen, die Leichensäcke bestellen wollten und sich aktiv auf Massenmorde vorbereiteten, als „Prepper“. Sie verstehe bis heute nicht die neuen internetbasierten Mittel dieser Netzwerke: dezentral und klandestin in verschlüsselten Chatgruppen zu kommunizieren, soziale Medien zu Aufbau und Verstärkung eines verschwörungstheoretischen Weltbilds zu nutzen, um eine Notwehrsituation herbeizufantasieren, sich ständig für den „Tag X“ der Abrechnung und des Umsturzes bereit zu halten und Feinde mit kursierenden Todeslisten öffentlich zu markieren und einzuschüchtern. Die verschiedenen Listen seien als dezentrale Datensammlung für diesen faschistischen, rassistischen Umsturz und Appell an rechte Gewalttäter zum Massenmord zu verstehen. Sie seien gerade dazu bestimmt, in falsche Hände zu geraten.[46]

Am 19. Dezember 2019 verurteilte das Landgericht Schwerin den Nordkreuzleiter Marko G. zu einer Bewährungsstrafe von 21 Monaten Haft. Das Urteil blieb weit unter dem vom Staatsanwalt geforderten Strafmaß. Der vorsitzende Richter begründete dies damit, dass Marko G. viele Waffen und 30.000 Schuss Munition legal besessen, seine Tat glaubwürdig bereut und sich kooperationsbereit gezeigt habe. Dass er sich nach der ersten Hausdurchsuchung illegal weniger Behördenmunition besorgte als zuvor, sei „schon in die richtige Richtung“ gegangen. Auch habe er mit den Waffen und der Munition keine weiteren Straftaten begangen. Das Kassenbuch zum gemeinsamen Munitionskauf der Nordkreuzgruppe spreche gegen kriminelle Energie: „Wer Straftaten plant, der schreibt es nicht so einfach auf.“ Zwar habe er sich in Chats zum Teil verfassungswidrig geäußert, doch sei seine politische Einstellung von seinem Tatmotiv zu trennen. Dieses stufte der Richter als „Waffenbegeisterung, die bis zum Schluss spürbar war“, ein.[47] Die Staatsanwaltschaft beantragte Revision, vor allem, weil sie Marko G. die fehlende rechtsextreme Motivation seiner Waffen- und Munitionssammlung nicht abnahm.[6]

Nach einer Auskunft der Bundesregierung vom März 2020 hatte das BfV erstmals im Juni 2017 Kenntnis des Nordkreuznetzwerks und informierte dann unter anderem das BKA. In der gleichen Auskunft heißt es jedoch auch, das BKA habe im Juli 2017 durch eine Zeugenaussage von den Chatgruppen erfahren und seinerseits das BfV informiert.[48] Das BfV hatte dagegen zuvor erklärt, es habe schon Ende 2016 von den Chatgruppen gewusst.[49] Unklar ist weiterhin, warum die Behörden in Kenntnis jener Chatgruppen, ihrer Kontakte zu Franco Albrecht und der rechtsextremen Haltung einiger Mitglieder keine Ermittlungen zu einer möglichen terroristischen Vereinigung veranlassten.[50]

Laut Bundesregierung vertritt der harte Kern der Gruppe mit Marko G. „eine gefestigte rechtsextremistische Einstellung“. Die von Lorenz Caffier berufene Untersuchungskommission legte im März 2020 ihren rund 100-seitigen Bericht vor, gab aber nur eine achtseitige Zusammenfassung davon bekannt. Danach konnten rechtsextreme Polizisten die Meinungsführerschaft in einer SEK-Einheit übernehmen, weil ihre Vorgesetzten nichts dagegen unternahmen. Das Landesamt Schlewsig-Hosteins habe fast keine eigenen Erkenntnisse über die Gruppe und ihre Mitglieder gehabt. Daraufhin unterstellte Caffier das SEK der Bereitschaftspolizei statt dem LKA und versetzte eine Führungsperson und den SEK-Leiter, diesen allerdings zum Fachbereich Rechtsextremismus im Verfassungsschutz des Landes.[5]

Auf eine weitere parlamentarische Anfrage von Martina Renner antwortete die Bundesregierung im Mai 2020, sie habe keine Kenntnis zur Herkunft der illegalen Munitionsanteile Marko G.'s. Dafür sei die Staatsanwaltschaft in Schwerin zuständig. Diese hatte das Verfahren gegen ihn abgeschlossen, ohne die Munitionsherkunft aufzuklären, und hielt das genaue Nachverfolgen der Munitionswege in den noch laufenden Verfahren gegen drei Ex-Kollegen von Marko G. für zu aufwändig. Andere Bundesländer hatten eigene Ermittlungen dazu unterlassen oder an die Schweriner Staatsanwälte abgegeben. Renner kritisierte: „Das behördliche Desinteresse, den Komplex Nordkreuz aufzuklären, ist skandalös. Solange diese Kultur des Wegschauens nicht geändert wird, bleiben die Netzwerke eine Bedrohung.“[51]

Weiterführende Informationen

Literatur

Einzelnachweise

  1. Fall Franco A.: BKA hat Hinweise auf Netzwerk innerhalb der Bundeswehr. Focus Online, 9. November 2018.
  2. Extremismus - Schwerin: Kipping fordert Information über „Nordkreuz“-Liste. Süddeutsche Zeitung / dpa, 7. Juli 2019.
  3. a b c d e f Jörg Köpke: Mecklenburg und die Eiserne Reserve. Wolfsburger Allgemeine Zeitung, 15. September 2017.
  4. a b c d e f g h i j Christina Schmidt, Sebastian Erb: Rechter Terror in Deutschland: Auf der Feindesliste. taz, 6. Juli 2019.
  5. a b c d Christina Schmidt, Sebastian Erb, Natalie Meinert, Daniel Schulz: Rechte Prepper-Gruppe Nordkreuz: Die Spur nach Güstrow. taz, 4. April 2020
  6. a b Christian Althoff: Polizeimunition in falschen Händen. Westfalenblatt, 2. März 2020
  7. a b Rechter Terror: Alles, was wir über die mutmaßliche rechte Terrorzelle von Mecklenburg wissen. Vice, 29. August 2017.
  8. a b c Martina Renner & Sebastian Wehrhahn: Schattenarmee oder Einzelfälle? – Rechte Strukturen in den Sicherheitsbehörden | CILIP Institut und Zeitschrift. Abgerufen am 17. April 2020 (deutsch).
  9. a b Fabienne Hurst, Robert Bongen, Julian Feldmann: Rechtsterror-Ermittlungen: Gründer der „Prepper“-Gruppe ist Polizist. Panorama, 7. September 2017.
  10. a b c 200 Leichensäcke und Ätzkalk bestellt: Rechtsextremes Netzwerk plante Attentate auf politische Gegner. Tagesspiegel, 28. Juni 2019.
  11. ZDFzoom: Angriff von innen. Abgerufen am 17. April 2020.
  12. a b c d Martin Kaul, Christina Schmidt, Daniel Schulz: Rechtes Netzwerk in der Bundeswehr: Hannibals Schattenarmee. taz, 16. November 2018.
  13. Julian Feldmann: Wieder Waffenfund bei „Preppern“: Keine systematische Erfassung bei Behörden. NDR, 19. September 2017.
  14. Stefan Ludmann: Nach SEK-Festnahmen: Caffier informiert Innenausschuss. NDR, 13. Juni 2019.
  15. Matthias Gebauer, Sven Röbel, Wolf Wiedmann-Schmidt und Jean-Pierre Ziegler: Razzia bei SEK-Beamten. 10.000 Schuss für den „Tag X“. Spiegel Online, 12. Juni 2019.
  16. Anklage gegen mutmaßlichen „Nordkreuz“-Gründer. RND, 19. September 2019
  17. Thoralf Cleven: Mehr als 25.000 Personen auf rechten Feindeslisten. RND / Kieler Nachrichten, 30. Juli 2018.
  18. a b c Rechtsextremismus: Terrorgruppe Nordkreuz sammelte Daten von fast 25.000 Menschen. Focus Online, 12. Juli 2019.
  19. Silja Kummer: AfD-Abgeordneter Heiner Merz verbreitete geklaute Adressen. Heidenheimer Zeitung, 14. März 2018.
  20. Sascha Maier: 25.000 gehackte Adressen bei Rechtsterroristen: AfD-Abgeordneter bereut Versendung der „Nordkreuz“-Liste. Stuttgarter Nachrichten, 18. Juli 2019.
  21. Silja Kummer: AfD-Abgeordneter Heiner Merz verbreitete geklaute Adressen. Südwest Presse, 14. März 2018; Ragnar Vogt: E-Mail mit Aufruf zur Denunziation: AfD-Abgeordneter verbreitete Liste mit angeblichen Antifa-Mitgliedern. Tagesspiegel, 13. Juli 2019.
  22. a b Uwe Reißenweber: „Nordkreuz”-Gruppe: Laut BKA gibt es keine Todeslisten. Nordkurier, 19. Juli 2019.
  23. a b c Sascha Maier, Jörg Köpke: „Todeslisten“ von Rechtsextremisten: Daten von Stuttgartern bei „Nordkreuz“-Durchsuchungen gefunden. Stuttgarter Zeitung, 12. Juli 2019.
  24. a b c d „Nordkreuz“ sammelte 25.000 Adressen politischer Gegner. Tagesspiegel, 6. Juli 2019.
  25. a b Prepper-Netzwerk mit Feindesliste: Betroffene werden informiert. taz, 19. Juli 2019.
  26. a b Frank Pubantz: Todesliste: Hielt das LKA Infos zurück? Ostsee-Zeitung, 28. Juni 2019.
  27. Andreas Dunte: Mitteldeutschland Rechter Terror: Hunderte Sachsen auf Todesliste – viele wissen davon überhaupt nichts.; Markus Decker: 259 Leipziger stehen auf Liste von rechter Terrorgruppe „Nordkreuz“. Beide RND / Leipziger Volkszeitung, 19. Juli 2019.
  28. Jan Schumann: Hunderte im Visier von Rechten: 471 Sachsen-Anhalter stehen auf Feindeslisten. Mitteldeutsche Zeitung, 26. Juli 2019.
  29. Jörg Köpke: Die rechtsradikale “Kreuz”-Connection und die Bundeswehr. RND, 10. September 2019
  30. Terrorverdächtiger AfD-Mann für Innere Sicherheit zuständig. Nordkurier, 31. Januar 2018.
  31. Christina Schmidt, Andreas Speit: Rechtsextreme Szene in MeckPomm: Wieder Razzia wegen „Preppern“. taz, 25. April 2018.
  32. Martina Renner: Kleine Anfrage "Rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr – Erkenntnisse zu Franco A., Nordkreuz & Uniter e. V." 21. Februar 2020, abgerufen am 17. April 2020.
  33. Andreas Fasel: Die Prepper-Szene gerät ins Visier des Verfassungsschutzes. Welt Online, 18. Dezember 2017.
  34. Anna Biselli: Prepper-Kommission: Klage gegen Intransparenz von Mecklenburg-Vorpommerns Innenministerium. Netzpolitik.org, 22. August 2019
  35. a b Stefan Ludmann: „Nordkreuz“: Ermittlungen gegen Polizisten in MV. NDR, 31. Januar 2019.
  36. Andreas Becker: „Rambo-Feeling”: SEK-Polizist hortet Waffen und Munition. Nordkurier, 18. November 2019
  37. „Nordkreuz“-Mitglieder bleiben Reservisten. NDR, 17. Juli 2019.
  38. Rechtes Terrornetzwerk LKA: 160 Brandenburger auf Liste von „Nordkreuz“ rbb, 12. Juli 2019.
  39. Regina Kirschner: Bayern: Landtag diskutiert über Todeslisten von Rechtsextremen. BR, 18. Juli 2019.
  40. „Nordkreuz“-Listen: Caffier informiert Betroffene. NDR, 22. Juli 2019.
  41. Christina Schmidt, Sebastian Erb: Rechte Prepper-Gruppe „Nordkreuz“: Betroffene tappen weiter im Dunkeln. taz, 25. Juli 2019.
  42. Arndt Ginzel, Gudrun Grossmann, Daniel Laufer: Rechtsextreme Feindeslisten: Betroffene fühlen sich allein gelassen. Tagesschau.de / MDR, 23. Juli 2019.
  43. Andreas Speit: „Feindesliste“ der rechten Szene: Sorglose Behörde. taz, 8. August 2019.
  44. „Feindeslisten“: LKA richtet Info-Telefon ein. NDR, 23. August 2019.
  45. BKA muss „Nordkreuz“-Listen nicht veröffentlichen. NDR, 19. August 2019.
  46. Sascha Lobo: Feindeslisten von Rechtsextremen: Das Problem der deutschen Politik heißt Nazi-Ignoranz. Spiegel Online, 24. Juli 2019.
  47. Sebastian Erb: Urteil im Prepper-Prozess: Bewährung für den Nordkreuz-Admin. taz, 19. Dezember 2019
  48. Deutscher Bundestag: Kleine Anfrage „Rechte Netzwerke in Polizei und Bundeswehr – Erkenntnisse zu Franco A., Nordkreuz & Uniter e. V.“. Drucksache 19/17340, 21. Februar 2020
  49. Christina Schmidt: Rechter Terror in Deutschland: Auf der Feindesliste. taz, 6. Juli 2019
  50. Christina Schmidt, Sebastian Erb: Ermittlungen gegen Nordkreuz-Prepper: Was wusste der Verfassungsschutz? taz, 1. März 2020
  51. Christina Schmidt, Sebastian Erb: Rechte Prepper-Gruppe Nordkreuz: Munition verschwunden? Egal. taz, 12. Mai 2020