„Ausländerprogramm der ARD“ – Versionsunterschied

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Das '''Ausländerprogramm der ARD''' besteht aus fremdsprachigen [[Hörfunk]]sendungen und [[Rundfunkprogramm|-programmen]] der [[ARD]]-Rundfunkanstalten, die sich ursprünglich seit den 1960er Jahren an [[Migrant]]en in [[Deutschland]] richteten. Neben der allgemeinen Berichterstattung sollten die Sendungen dazu dienen, den Kontakt zum Heimatland zu halten, „als Orientierungshilfe für eine mögliche Rückkehr“.<ref>Gualtiero Zambonini: ''[http://www.ard.de/intern/fakten/abc/-/id=1657850/property=download/nid=1643802/ezhj1h/087-094_Zambonini.pdf Medien und Integration. Der ARD-Weg: Vom „Gastarbeiter“-Programm zur Querschnittsaufgabe]''. In: ARD-Jahrbuch&nbsp;09. S.&nbsp;87–94, 88. 2009. Abgerufen am 7. Dezember 2013.</ref> Heute wird mit den diesbezüglichen Angeboten ein [[Integration (Soziologie)|integratives]] Ziel verfolgt.
Das '''Ausländerprogramm der ARD''' besteht aus fremdsprachigen [[Hörfunk]]sendungen und [[Rundfunkprogramm|-programmen]] der [[ARD]]-Rundfunkanstalten, die sich ursprünglich seit den 1960er Jahren an [[Migrant]]en in [[Deutschland]] richteten. Neben der allgemeinen Berichterstattung sollten die Sendungen dazu dienen, den Kontakt zum Heimatland zu halten, „als Orientierungshilfe für eine mögliche Rückkehr“.<ref>Gualtiero Zambonini: ''[http://www.ard.de/download/463500/ARD_Jahrbuch_09__Medien_und_Integration.pdf Medien und Integration. Der ARD-Weg: Vom „Gastarbeiter“-Programm zur Querschnittsaufgabe]''. In: ARD-Jahrbuch&nbsp;09. S.&nbsp;87–94, 88. 2009. Abgerufen am 7. Dezember 2013.</ref> Heute wird mit den diesbezüglichen Angeboten ein [[Integration (Soziologie)|integratives]] Ziel verfolgt.


Das Ausländerprogramm ist nicht zu verwechseln mit dem [[Auslandsrundfunk]], der von der [[Deutsche Welle|Deutschen Welle]] und bis in die 1990er Jahre hinein teilweise auch vom [[Deutschlandfunk]] betrieben wurde. Diese deutsch- und fremdsprachigen Sendungen richteten sich stets an Hörer im Ausland.
Das Ausländerprogramm ist nicht zu verwechseln mit dem [[Auslandsrundfunk]], der von der [[Deutsche Welle|Deutschen Welle]] und bis in die 1990er Jahre hinein teilweise auch vom [[Deutschlandfunk]] betrieben wurde. Diese deutsch- und fremdsprachigen Sendungen richteten sich stets an Hörer im Ausland.
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== Geschichte ==
== Geschichte ==
=== Die Anfänge ===
=== Die Anfänge ===
Mit dem Einsetzen der Zuwanderung der sogenannten [[Gastarbeiter]] in die Bundesrepublik Deutschland nahmen die ARD-Anstalten Hörfunksendungen in den Muttersprachen der Zuwanderer in ihr Programm auf.<ref>Soweit nicht anders angegeben, folgt die Schilderung der Geschichte dem ''ABC der ARD'': ''[http://www.ard.de/home/intern/fakten/abc-der-ard/Auslaenderprogramm/463470/index.html Ausländerprogramm]''. In: ABC der ARD. 23. Februar 2012. Abgerufen am 7. Dezember 2013. Außerdem: Gualtiero Zambonini: ''[http://www.ard.de/intern/fakten/abc/-/id=1657850/property=download/nid=1643802/ezhj1h/087-094_Zambonini.pdf Medien und Integration. Der ARD-Weg: Vom „Gastarbeiter“-Programm zur Querschnittsaufgabe]''. In: ARD-Jahrbuch&nbsp;09. S.&nbsp;87–94, passim. 2009. Abgerufen am 7. Dezember 2013. Link Korrigiert am 9. Januar 2015.</ref> Die älteste Sendung dieser Art ist die ''Mezz’Ora Italiana'', die vom [[Saarländischer Rundfunk|Saarländischen Rundfunk]] zuerst am 21.&nbsp;Oktober 1961 in italienischer Sprache ausgestrahlt wurde. Heute ist sie am Wochenende im Programm [[Antenne Saar]] zu hören. Außer dem SR produzierten auch der [[Bayerischer Rundfunk|Bayerische Rundfunk]] und der [[Westdeutscher Rundfunk|Westdeutsche Rundfunk]] Sendungen in Fremdsprachen. Die erste türkische Sendung von [[Köln Radyosu]] war am 2.&nbsp;November 1964.
Mit dem Einsetzen der Zuwanderung der sogenannten [[Gastarbeiter]] in die Bundesrepublik Deutschland nahmen die ARD-Anstalten Hörfunksendungen in den Muttersprachen der Zuwanderer in ihr Programm auf.<ref>Soweit nicht anders angegeben, folgt die Schilderung der Geschichte dem ''ABC der ARD'': ''[http://www.ard.de/home/intern/fakten/abc-der-ard/Auslaenderprogramm/463470/index.html Ausländerprogramm]''. In: ABC der ARD. 23. Februar 2012. Abgerufen am 7. Dezember 2013. Außerdem: Gualtiero Zambonini: ''Medien und Integration. Der ARD-Weg: Vom „Gastarbeiter“-Programm zur Querschnittsaufgabe''. In: ARD-Jahrbuch&nbsp;09. S.&nbsp;87–94, passim. 2009, {{ISSN|0066-5746}}.</ref> Die älteste Sendung dieser Art ist die ''Mezz’Ora Italiana'', die vom [[Saarländischer Rundfunk|Saarländischen Rundfunk]] zuerst am 21.&nbsp;Oktober 1961 in italienischer Sprache ausgestrahlt wurde. Heute ist sie am Wochenende im Programm [[Antenne Saar]] zu hören. Außer dem SR produzierten auch der [[Bayerischer Rundfunk|Bayerische Rundfunk]] und der [[Westdeutscher Rundfunk Köln|Westdeutsche Rundfunk]] Sendungen in Fremdsprachen. Die erste türkische Sendung von [[Köln Radyosu]] war am 2.&nbsp;November 1964.


=== Das gemeinsame „Gastarbeiterprogramm“ 1964–2002 ===
=== Das gemeinsame „Gastarbeiterprogramm“ 1964–2002 ===
Seit 1964 gab es ein tägliches Gastarbeiterprogramm, das vom BR und vom WDR produziert und von allen anderen Anstalten, außer dem [[Mitteldeutscher Rundfunk|MDR]] und dem [[Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg|ORB]], ganz oder teilweise am Abend und am Wochenende übernommen wurde. Seit 1999 beteiligte sich auch der [[Sender Freies Berlin]] an der Produktion. Zu Anfang wurde über die damals neu eingeführten dritten Hörfunkprogramme gesendet. Die Sendungen begannen um 19&nbsp;Uhr und dauerten bis etwa 22&nbsp;Uhr. Gesendet wurde auf Italienisch, auf Griechisch und Türkisch sowie in den jugoslawischen Sprachen in unterschiedlicher Länge. Anfangs waren die Italienischsendungen des WDR nur eine Viertelstunde lang, später wurden die Ausgaben in allen Sprachen auf jeweils&nbsp;45, später 40&nbsp;Minuten verlängert.
Seit 1964 gab es ein tägliches Gastarbeiterprogramm, das vom BR und vom WDR produziert und von allen anderen Anstalten, außer dem [[Mitteldeutscher Rundfunk|MDR]] und dem [[Ostdeutscher Rundfunk Brandenburg|ORB]], ganz oder teilweise am Abend und am Wochenende übernommen wurde. Seit 1999 beteiligte sich auch der [[Sender Freies Berlin]] an der Produktion. Zu Anfang wurde über die damals neu eingeführten dritten Hörfunkprogramme gesendet. Die Sendungen begannen um 19&nbsp;Uhr und dauerten bis etwa 22&nbsp;Uhr. Gesendet wurde auf Italienisch, auf Griechisch und Türkisch sowie in den jugoslawischen Sprachen in unterschiedlicher Länge. Anfangs waren die Italienischsendungen des WDR nur eine Viertelstunde lang, später wurden die Ausgaben in allen Sprachen auf jeweils&nbsp;45, später 40&nbsp;Minuten verlängert.


Die Sendungen standen in Konkurrenz zu den osteuropäischen Programmen für Arbeitsmigranten, die von [[Radio Berlin International]], [[Radio Prag]], [[Polskie Radio|Radio Warschau]] und [[Magyar Rádió|Radio Budapest]] ausgestrahlt wurden. Diese waren zudem für die meisten Betroffenen leichter zu empfangen, weil sie auf [[Mittelwelle]] ausgestrahlt wurden und die meisten über kein [[UKW]]-Radio verfügten. Die Mittelwelle sollte nicht mit den für westdeutsche Hörer „uninteressanten“ fremdsprachigen Programmen „blockiert“ werden, deshalb wurden sie auf den neuen UKW-Frequenzen gesendet.<ref>''[http://www.zeit.de/1966/02/abends-das-lied-aus-der-heimat/komplettansicht Abends das Lied aus der Heimat. Gastarbeiter in der Bundesrepublik lauschen Radio Prag]''. In: Die Zeit. Nr.&nbsp;2. 7.&nbsp;Januar 1966. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref>
Die Sendungen standen in Konkurrenz zu den osteuropäischen Programmen für Arbeitsmigranten, die von [[Radio Berlin International]], [[Radio Praha International|Radio Prag]], [[Polskie Radio|Radio Warschau]] und [[Magyar Rádió|Radio Budapest]] ausgestrahlt wurden. Diese waren zudem für die meisten Betroffenen leichter zu empfangen, weil sie auf [[Mittelwelle]] ausgestrahlt wurden und die meisten über kein [[UKW]]-Radio verfügten. Die Mittelwelle sollte nicht mit den für westdeutsche Hörer „uninteressanten“ fremdsprachigen Programmen „blockiert“ werden, deshalb wurden sie auf den neuen UKW-Frequenzen gesendet.<ref>''[http://www.zeit.de/1966/02/abends-das-lied-aus-der-heimat/komplettansicht Abends das Lied aus der Heimat. Gastarbeiter in der Bundesrepublik lauschen Radio Prag]''. In: Die Zeit. Nr.&nbsp;2. 7.&nbsp;Januar 1966. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref>


Die Sendungen waren über Deutschland hinaus auch für die jeweiligen Heimatländer oft eine wichtige Informationsquelle und führten mitunter auch zu diplomatischen Verwicklungen, so etwa die spanischen Programme während der [[Franquismus|Zeit Francos]]<ref>Otto Köhler: ''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45741717.html Radio Cohn-Bendit]''. In: Der Spiegel. Nr.&nbsp;17/1969, S.&nbsp;202.</ref> oder die griechischen Sendungen während der [[Griechische Militärdiktatur |dortigen Diktatur]].<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41125091.html Aufwand für Veröffentlichungen]''. In: Der Spiegel. Nr.&nbsp;45/1976. S.&nbsp;161–182, 166: „In Deutschland wohnte die Masse der griechischen Gastarbeiter, die in der Mehrheit juntafeindlich waren. Aus Deutschland kam Kritik, die den Obristen auch zu Hause weh tat: der Griechische Dienst der Deutschen Welle, den Millionen Griechen hörten wie Deutsche während des Krieges die BBC, die griechischen Gastarbeitersendungen des Bayerischen Rundfunks und die Fernseh-Abende für Ausländer des Dritten WDR-Programms, beeinflußt von den Regime-Gegnern Pavlos Bakojannis und Basil Mathiopoulos.“ – Pavlos Bakojannis war der Leiter der griechischen Gastarbeitersendungen beim Bayerischen Rundfunk: ''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41599533.html Berufliches: Pavlos Bakojannis]''. In: Der Spiegel. Nr.&nbsp;49/1974. S.&nbsp;188.</ref> 1972 wurde auf massiven politischen und wirtschaftlichen Druck hin sogar die Verlagerung der Gastarbeiterprogramme zum [[Deutschlandfunk]] diskutiert. Die politischen Kommentare auf Spanisch und Griechisch wurden daraufhin eingestellt.<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42842797.html Im Kreise herum]''. In: Der Spiegel. Nr.&nbsp;37/1972. S.&nbsp;70f., 71.</ref><ref>Pavlos Bakojannis: ''[http://www.zeit.de/1972/36/zensur-im-aether/komplettansicht Gastarbeiterprogramme: Zensur im Äther. Soll ein Grundrecht dem Druck fremder Diktaturen und einiger deutscher Firmen geopfert werden?]''. In: Die Zeit. Nr.&nbsp;36. 8.&nbsp;September 1972. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref><ref name="diezeit1974">Ludwig Maaßen: ''[http://www.zeit.de/1974/47/hoerer-mit-heimweh/komplettansicht Hörer mit Heimweh. Zehn Jahre ausländische Rundfunksendungen]''. In: Die Zeit. Nr.&nbsp;47. 15.&nbsp;November 1974. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref>
Die Sendungen waren über Deutschland hinaus auch für die jeweiligen Heimatländer oft eine wichtige Informationsquelle und führten mitunter auch zu diplomatischen Verwicklungen, so etwa die spanischen Programme während der [[Franquismus|Zeit Francos]]<ref>Otto Köhler: ''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45741717.html Radio Cohn-Bendit]''. In: Der Spiegel. Nr.&nbsp;17/1969, S.&nbsp;202.</ref> oder die griechischen Sendungen während der [[Griechische Militärdiktatur|dortigen Diktatur]].<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41125091.html Aufwand für Veröffentlichungen]''. In: Der Spiegel. Nr.&nbsp;45/1976. S.&nbsp;161–182, 166: „In Deutschland wohnte die Masse der griechischen Gastarbeiter, die in der Mehrheit juntafeindlich waren. Aus Deutschland kam Kritik, die den Obristen auch zu Hause weh tat: der Griechische Dienst der Deutschen Welle, den Millionen Griechen hörten wie Deutsche während des Krieges die BBC, die griechischen Gastarbeitersendungen des Bayerischen Rundfunks und die Fernseh-Abende für Ausländer des Dritten WDR-Programms, beeinflußt von den Regime-Gegnern Pavlos Bakojannis und Basil Mathiopoulos.“ – Pavlos Bakojannis war der Leiter der griechischen Gastarbeitersendungen beim Bayerischen Rundfunk: ''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-41599533.html Berufliches: Pavlos Bakojannis]''. In: Der Spiegel. Nr.&nbsp;49/1974. S.&nbsp;188.</ref> 1972 wurde auf massiven politischen und wirtschaftlichen Druck hin sogar die Verlagerung der Gastarbeiterprogramme zum [[Deutschlandfunk]] diskutiert. Die politischen Kommentare auf Spanisch und Griechisch wurden daraufhin eingestellt.<ref>''[http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-42842797.html Im Kreise herum]''. In: Der Spiegel. Nr.&nbsp;37/1972. S.&nbsp;70f., 71.</ref><ref>Pavlos Bakojannis: ''[http://www.zeit.de/1972/36/zensur-im-aether/komplettansicht Gastarbeiterprogramme: Zensur im Äther. Soll ein Grundrecht dem Druck fremder Diktaturen und einiger deutscher Firmen geopfert werden?]''. In: Die Zeit. Nr.&nbsp;36. 8.&nbsp;September 1972. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref><ref name="diezeit1974">Ludwig Maaßen: ''[http://www.zeit.de/1974/47/hoerer-mit-heimweh/komplettansicht Hörer mit Heimweh. Zehn Jahre ausländische Rundfunksendungen]''. In: Die Zeit. Nr.&nbsp;47. 15.&nbsp;November 1974. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref>


Studien hatten ergeben, dass die Reichweite unter der Zielgruppe zeitweilig hoch war; im Sendegebiet des WDR hörte etwa die Hälfte aller gebürtigen Türken die Sendungen von ''Köln Radyosu''. Mitte der 1970er Jahre schalteten viele die Sendungen, in denen es vor allem um praktische Lebenshilfe bis hin zum deutschen Arbeitsrecht und zur Sozialpolitik ging, mehrmals wöchentlich ein. Die Gewerkschaften lobten die Sendungen.<ref name="diezeit1974" /> In den 1990er Jahren war allerdings durch das Aufkommen des [[Satellitenrundfunk|Satellitendirektempfangs]] und die Verfügbarkeit ausländischer Sender im [[Kabelfernsehen]] sowie dem Vordringen des [[Privatfernsehen]]s ein Wendepunkt erreicht. 1996 schalteten nur noch etwa drei&nbsp;Prozent der nordrhein-westfälischen Türken regelmäßig die türkischen Sendungen des WDR ein.<ref>Josef Eckhardt: ''Nutzung und Bewertung von Radio- und Fernsehsendungen für Ausländer''. In: Media Perspektiven, Nr.&nbsp;8/1996, S.451–461. Zitiert nach: Jörg Becker: ''[http://www.profjoergbecker.de/Dokumente/autobiotexte/J-Becker%20dt.-%20türk.%20Medienrevolution.pdf Die deutsch-türkische Medienrevolution: Weitere sieben Meilensteine]''. Manuskript auf der privaten Homepage des Verfassers. Seite&nbsp;6 mit Endnote&nbsp;14.</ref> Durch die Zunahme des [[Hörfunkformat|Formatradios]] wurden die Sendungen immer mehr auf die [[Mittelwelle]]nsender abgedrängt, was ihre Akzeptanz weiter schwächte. Bei der Einstellung der Sendungen durch den Hessischen Rundfunk im Jahr 2010 waren die Einschaltquoten schließlich „nicht mehr messbar“.<ref name="tagesspiegel_2009">Ferda Ataman: ''[http://www.tagesspiegel.de/medien/multikulti-bedrohte-heimatstunden/1632676.html Bedrohte Heimatstunden]''. In: Der Tagesspiegel. 14.&nbsp;November 2009. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref> Bei einigen Anstalten wurden die Sendungen in die neu eingerichteten interkulturellen Programme [[Radio Multikulti]] (RBB) und [[Funkhaus Europa]] (WDR, [[Radio Bremen]]) integriert. Das gemeinsame Ausländerprogramm der ARD endete im Jahr&nbsp;2002.
Studien hatten ergeben, dass die Reichweite unter der Zielgruppe zeitweilig hoch war; im Sendegebiet des WDR hörte etwa die Hälfte aller gebürtigen Türken die Sendungen von ''Köln Radyosu''. Mitte der 1970er Jahre schalteten viele die Sendungen, in denen es vor allem um praktische Lebenshilfe bis hin zum deutschen Arbeitsrecht und zur Sozialpolitik ging, mehrmals wöchentlich ein. Die Gewerkschaften lobten die Sendungen.<ref name="diezeit1974" /> In den 1990er Jahren war allerdings durch das Aufkommen des [[Satellitenrundfunk|Satellitendirektempfangs]] und die Verfügbarkeit ausländischer Sender im [[Kabelfernsehen]] sowie dem Vordringen des [[Privatfernsehen]]s ein Wendepunkt erreicht. 1996 schalteten nur noch etwa drei&nbsp;Prozent der nordrhein-westfälischen Türken regelmäßig die türkischen Sendungen des WDR ein.<ref>Josef Eckhardt: ''Nutzung und Bewertung von Radio- und Fernsehsendungen für Ausländer''. In: Media Perspektiven, Nr.&nbsp;8/1996, S. 451–461. Zitiert nach: Jörg Becker: ''[http://www.profjoergbecker.de/Dokumente/autobiotexte/J-Becker%20dt.-%20türk.%20Medienrevolution.pdf Die deutsch-türkische Medienrevolution: Weitere sieben Meilensteine]''. Manuskript auf der privaten Homepage des Verfassers. Seite&nbsp;6 mit Endnote&nbsp;14.</ref> Durch die Zunahme des [[Hörfunkformat|Formatradios]] wurden die Sendungen immer mehr auf die [[Mittelwelle]]nsender abgedrängt, was ihre Akzeptanz weiter schwächte. Bei der Einstellung der Sendungen durch den Hessischen Rundfunk im Jahr 2010 waren die Einschaltquoten schließlich „nicht mehr messbar“.<ref name="tagesspiegel_2009">[[Ferda Ataman]]: ''[http://www.tagesspiegel.de/medien/multikulti-bedrohte-heimatstunden/1632676.html Bedrohte Heimatstunden]''. In: Der Tagesspiegel. 14.&nbsp;November 2009. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref> Bei einigen Anstalten wurden die Sendungen in die neu eingerichteten interkulturellen Programme [[Radio Multikulti]] (RBB) und [[Funkhaus Europa]] (WDR, [[Radio Bremen]]) integriert. Seit der Einstellung von Multikulti entstand Anfang 2017 das gemeinsame Programm [[COSMO (Radiosender)|Cosmo]], das seitdem von WDR, Radio Bremen und RBB betrieben wird. Das gemeinsame Ausländerprogramm der ARD endete im Jahr&nbsp;2002.


Diese Veränderungen trafen übrigens in diesem Zeitraum auch die Ausländerprogramme im deutschen Fernsehen. Die Sender reagierten mehrfach kurzfristig mit Reformen ihrer Formate. Größere Veränderungen fielen in die Zeit nach der [[Wende und friedliche Revolution in der DDR|Wende]] 1989/1990, in der es im Zuge der vorausgegangenen [[Asyldebatte]] zu einer Reihe von rassistischen Ausschreitungen und Straftaten gekommen war, so in [[Ausschreitungen von Hoyerswerda|Hoyerswerda]], [[Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen|Rostock-Lichtenhagen]] und in [[Mordanschlag von Mölln|Mölln]]. Dem sollte mit integrativen und multikulturellen Inhalten entgegengewirkt werden. Das [[Zweites Deutsches Fernsehen|ZDF]] änderte Konzept und Gestaltung seiner wöchentlichen Sendung „Nachbarn in Europa“ seit 1983 mehrmals und übernahm dabei Nachrichtenbeiträge von ausländischen Partnersendern direkt, seit 1992 hieß die Sendung „Nachbarn – Ein Magazin für Ausländer und Deutsche“. Das Format wurde 1998 aus dem Programm genommen. In der ARD gab es ebenfalls größere Reformen von der Sendung „Ihre Heimat – Unsere Heimat“ hin zu dem WDR-Magazin „Babylon“ und der Talkshow „Vetro – Café mit Weitblick“, die beide 2003 durch [[Cosmo TV|Cosmo&nbsp;TV]] ersetzt wurden.<ref>Sonja Weber-Menges: ''Haupttrends der Entwicklung von Ethnomedien in Deutschland''. In: Rainer Geißler, Horst Pöttker (Hrsg.): ''Integration durch Massenmedien. Medien und Migration im internationalen Vergleich/Mass media integration''. Medienumbrüche. Bd.&nbsp;17. Transcript Verlag. Bielefeld. 2006. ISBN 3-89942-503-0 S.&nbsp;124ff., 131–134, passim. Zitiert nach der [http://books.google.de/books?id=YP0nLzz3Q5UC Ausgabe bei Google Books]. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref>
Diese Veränderungen trafen übrigens in diesem Zeitraum auch die Ausländerprogramme im deutschen Fernsehen. Die Sender reagierten mehrfach kurzfristig mit Reformen ihrer Formate. Größere Veränderungen fielen in die Zeit nach der [[Wende und friedliche Revolution in der DDR|Wende]] 1989/1990, in der es im Zuge der vorausgegangenen [[Asyldebatte]] zu einer Reihe von rassistischen Ausschreitungen und Straftaten gekommen war, so in [[Ausschreitungen in Hoyerswerda|Hoyerswerda]], [[Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen|Rostock-Lichtenhagen]] und in [[Mordanschlag von Mölln|Mölln]]. Dem sollte mit integrativen und multikulturellen Inhalten entgegengewirkt werden. Das [[Zweites Deutsches Fernsehen|ZDF]] änderte Konzept und Gestaltung seiner wöchentlichen Sendung „Nachbarn in Europa“ seit 1983 mehrmals und übernahm dabei Nachrichtenbeiträge von ausländischen Partnersendern direkt, seit 1992 hieß die Sendung „Nachbarn – Ein Magazin für Ausländer und Deutsche“. Das Format wurde 1998 aus dem Programm genommen. In der ARD gab es ebenfalls größere Reformen von der Sendung „Ihre Heimat – Unsere Heimat“ hin zu dem WDR-Magazin „Babylon“ und der Talkshow „Vetro – Café mit Weitblick“, die beide 2003 durch [[Cosmo TV|Cosmo&nbsp;TV]] ersetzt wurden.<ref>Sonja Weber-Menges: ''Haupttrends der Entwicklung von Ethnomedien in Deutschland''. In: Rainer Geißler, Horst Pöttker (Hrsg.): ''Integration durch Massenmedien. Medien und Migration im internationalen Vergleich/Mass media integration''. Medienumbrüche. Bd.&nbsp;17. Transcript Verlag. Bielefeld. 2006. ISBN 3-89942-503-0, S.&nbsp;124ff., 131–134, passim. Zitiert nach der [http://books.google.de/books?id=YP0nLzz3Q5UC Ausgabe bei Google Books]. Abgerufen am 7.&nbsp;Dezember 2013.</ref>


=== Integration als „Querschnittsaufgabe“ seit 2003 ===
=== Integration als „Querschnittsaufgabe“ seit 2003 ===
[[File:EKT-2009-Bremen-Funkhaus-Europa-Bühne-01.jpg|thumb|Veranstaltung von ''Funkhaus Europa'' beim [[Deutscher Evangelischer Kirchentag 2009|Evangelischen Kirchentag]] in Bremen (2009)]]
[[Datei:EKT-2009-Bremen-Funkhaus-Europa-Bühne-01.jpg|mini|Veranstaltung von ''Funkhaus Europa'' beim [[Deutscher Evangelischer Kirchentag 2009|Evangelischen Kirchentag]] in Bremen (2009)]]
Seit 2003 liegt es bei den einzelnen Landesanstalten, welche Radiosendungen sie in Fremdsprachen anbieten. Typisch sind seitdem multikulturelle Redaktionen und Schwerpunktsendungen in den Informationswellen. Beispielsweise unterhält der [[Südwestrundfunk]] eine Redaktion ''SWR International'', die Beiträge zu allen Hörfunkprogrammen zuliefert und eigene Sendungen im Nachrichtenkanal [[SWRinfo]] hat.<ref>''[http://www.swr.de/international/de/ueberuns/-/id=2900638/qowynx/index.html SWR International. Die Fachredaktion für Migration und Integration. Das multikulti-Team im SWR]''. In: Website des SWR. 23. Juli 2008. Abgerufen am 7. Dezember 2013.</ref> Der [[Hessischer Rundfunk|HR]] produzierte bis zur Abschaltung seines Mittelwellensenders Ende&nbsp;2009 spanische und griechische Sendungen,<ref name="tagesspiegel_2009" /><ref>Kai Ludwig: ''[http://www.w4uvh.net/dxld9037.txt Hessischer Rundfunk shuts down 594&nbsp;kHz]''. In: Glenn Hauser: ''DX&nbsp;Listening Digest''. Nr.&nbsp;9-037, May 2, 2009. Abgerufen am 8.&nbsp;Dezember 2013.</ref><ref>Kai Ludwig: ''[http://www.w4uvh.net/dxld1001.txt As a reminder: The era of Frankfurt on mediumwave will end tonight.]'' 31.&nbsp;Dezember 2009. In: Glenn Hauser: ''DX&nbsp;Listening Digest. Nr.&nbsp;10-01, January 6, 2010''. Abgerufen am 8.&nbsp;Dezember 2013.</ref> während der WDR Beiträge auf Italienisch, Türkisch, Kurdisch, auf Arabisch (gemeinsam mit dem RBB) sowie in südslawischen Sprachen in den Austausch zwischen den ARD-Anstalten einbringt. Der [[Norddeutscher Rundfunk|Norddeutsche Rundfunk]] übernimmt zum Teil Sendungen aus dem Programm ''Funkhaus Europa''. Letzteres ist das umfangreichste fremdsprachige Angebot dieser Art in der ARD. Es wird seit 1998 vom WDR gemeinsam mit Radio Bremen produziert. Das vier Jahre zuvor vom RBB gestartete [[Radio Multikulti]] wurde Ende 2008 eingestellt; seitdem beteiligt sich auch der RBB an ''Funkhaus Europa'' und übernimmt das Programm für sein Sendegebiet.
Seit 2003 liegt es bei den einzelnen Landesanstalten, welche Radiosendungen sie in Fremdsprachen anbieten. Typisch sind seitdem multikulturelle Redaktionen und Schwerpunktsendungen in den Informationswellen. Beispielsweise unterhält der [[Südwestrundfunk]] eine Redaktion ''SWR International'', die Beiträge zu allen Hörfunkprogrammen zuliefert und eigene Sendungen im Nachrichtenkanal [[SWRinfo]] hat.<ref>''{{Webarchiv|url=http://www.swr.de/international/de/ueberuns/-/id=2900638/qowynx/index.html |wayback=20140126020650 |text=SWR International. Die Fachredaktion für Migration und Integration. Das multikulti-Team im SWR |archiv-bot=2022-10-06 14:07:09 InternetArchiveBot }}''. In: Website des SWR. 23. Juli 2008. Abgerufen am 7. Dezember 2013.</ref> Der [[Hessischer Rundfunk|HR]] produzierte bis zur Abschaltung seines Mittelwellensenders Ende&nbsp;2009 spanische und griechische Sendungen,<ref name="tagesspiegel_2009" /><ref>Kai Ludwig: ''[http://www.w4uvh.net/dxld9037.txt Hessischer Rundfunk shuts down 594&nbsp;kHz]''. In: Glenn Hauser: ''DX&nbsp;Listening Digest''. Nr.&nbsp;9-037, May 2, 2009. Abgerufen am 8.&nbsp;Dezember 2013.</ref><ref>Kai Ludwig: ''[http://www.w4uvh.net/dxld1001.txt As a reminder: The era of Frankfurt on mediumwave will end tonight.]'' 31.&nbsp;Dezember 2009. In: Glenn Hauser: ''DX&nbsp;Listening Digest. Nr.&nbsp;10-01, January 6, 2010''. Abgerufen am 8.&nbsp;Dezember 2013.</ref> während der WDR Beiträge auf Italienisch, Türkisch, Kurdisch, auf Arabisch (gemeinsam mit dem RBB) sowie in südslawischen Sprachen in den Austausch zwischen den ARD-Anstalten einbringt. Der [[Norddeutscher Rundfunk|Norddeutsche Rundfunk]] übernimmt zum Teil Sendungen aus dem Programm ''Funkhaus Europa''. Letzteres ist das umfangreichste fremdsprachige Angebot dieser Art in der ARD. Es wird seit 1998 vom WDR gemeinsam mit Radio Bremen produziert. Das vier Jahre zuvor vom RBB gestartete [[Radio Multikulti]] wurde Ende 2008 eingestellt; seitdem beteiligt sich auch der RBB an ''Funkhaus Europa'' und übernimmt das Programm für sein Sendegebiet. Seit 2015 wurde im Rahmen von ''Funkhaus Europa'' auch ein ''Refugee Radio'' produziert, das Nachrichten auf Englisch und Arabisch für die [[Flüchtlingskrise in Deutschland 2015/2016|Flüchtlinge in Deutschland]] bereitstellt.<ref>{{Internetquelle|titel = Refugee Radio|url = http://www.funkhauseuropa.de/sendungen/refugeeradio/index184.html|zugriff = 2016-01-18|werk = Funkhaus Europa |archiv-url = https://web.archive.org/web/20160118180742/http://www.funkhauseuropa.de/sendungen/refugeeradio/index184.html|archiv-datum = 2016-01-18 }}</ref>


Mit diesen Programmen, die sich seitdem nicht nur an ausländische Hörer, sondern auch an Deutsche richten und die rund um die Uhr senden, sollte auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagiert werden. Sie dienen daher der [[Integration (Soziologie)|Integration]] aller Bevölkerungsgruppen und [[Ethnie]]n. Dieses Ziel könne mit rein fremdsprachigen Sendungen nicht erreicht werden, sie „dienen nicht der Integration, weil sie deutsche Sprachkenntnisse nicht befördern“, hieß es etwa beim Hessischen Rundfunk 2010.<ref name="tagesspiegel_2009" /> Hintergrund war ein Beschluss der ARD-Intendanten aus dem Jahr 2006, die Integration zu einer „Querschnittsaufgabe“ zu machen, die sich im gesamten Programm niederschlagen soll. Außerdem sollten Migranten verstärkt als Moderatoren gewonnen werden, so dass sie „als selbstverständliche Akteure und Verantwortungsträger, als Experten und Diskussionsteilnehmer in Talkrunden und Fictionformaten auftreten – unabhängig von einem ausländerspezifischen Zusammenhang.“<ref>Gualtiero Zambonini, Erk Simon: ''[http://www.media-perspektiven.de/publikationen/fachzeitschrift/2008/artikel/kulturelle-vielfalt-und-integration-die-rolle-der-medien/ Kulturelle Vielfalt und Integration: Die Rolle der Medien]''. In: Media Perspektiven. Nr.&nbsp;3/2008. S.&nbsp;120–124, 122.</ref> Der Schwerpunkt liegt seitdem nicht mehr auf dem Hörfunk, sondern auf dem [[Fernsehen]].
Mit diesen Programmen, die sich seitdem nicht nur an ausländische Hörer, sondern auch an Deutsche richten und die rund um die Uhr senden, sollte auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagiert werden. Sie dienen daher der [[Integration (Soziologie)|Integration]] aller Bevölkerungsgruppen und [[Ethnie]]n. Dieses Ziel könne mit rein fremdsprachigen Sendungen nicht erreicht werden, sie „dienen nicht der Integration, weil sie deutsche Sprachkenntnisse nicht befördern“, hieß es etwa beim Hessischen Rundfunk 2010.<ref name="tagesspiegel_2009" /> Hintergrund war ein Beschluss der ARD-Intendanten aus dem Jahr 2006, die Integration zu einer „Querschnittsaufgabe“ zu machen, die sich im gesamten Programm niederschlagen soll. Außerdem sollten Migranten verstärkt als Moderatoren gewonnen werden, so dass sie „als selbstverständliche Akteure und Verantwortungsträger, als Experten und Diskussionsteilnehmer in Talkrunden und Fictionformaten auftreten – unabhängig von einem ausländerspezifischen Zusammenhang.“<ref>Gualtiero Zambonini, Erk Simon: ''[http://www.media-perspektiven.de/publikationen/fachzeitschrift/2008/artikel/kulturelle-vielfalt-und-integration-die-rolle-der-medien/ Kulturelle Vielfalt und Integration: Die Rolle der Medien]''. In: Media Perspektiven. Nr.&nbsp;3/2008. S.&nbsp;120–124, 122.</ref> Der Schwerpunkt liegt seitdem nicht mehr auf dem Hörfunk, sondern auf dem [[Fernsehen]].


Diesem Wechsel liegen eine Reihe von Untersuchungen aus der [[Medienwissenschaft|Medienforschung]] zugrunde. In der Studie „Migranten und Medien 2007“, die von ARD und ZDF durchgeführt worden war, hatte sich gezeigt, dass nur 47&nbsp;Prozent der Migranten und der Deutschen mit Migrationshintergrund ab dem Alter von 14&nbsp;Jahren täglich Radio hören, im Vergleich zu 84&nbsp;Prozent der deutschen Erwachsenen. Auch die Dauer der Radionutzung unterschied sich deutlich: Ausländer hörten durchschnittlich nur 102&nbsp;Minuten am Tag zu, bei den Deutschen lag die Nutzungsdauer bei 221&nbsp;Minuten. Für die Nutzung von Fernsehen und Internet bestehen dagegen keine [[Statistische Signifikanz|statistisch signifikanten]] Unterschiede. Die Radionutzung lag bei Personen türkischer Herkunft am niedrigsten (22&nbsp;Prozent Radiohörer), bei den Polen war sie mit 72&nbsp;Prozent am höchsten. Die Gründe für diese Unterschiede ist nicht untersucht worden, aus den Beobachtungen ergeben sich aber Hinweise: Etwa ein Viertel aller Migrantenhaushalte in der Studie hatte gar kein Radiogerät zur Verfügung. Für Nordrhein-Westfalen ergab sich ein Rückgang der Radionutzung, als die Einspeisung heimatsprachlicher Fernsehsender im analogen und im kostenpflichtigen Kabelnetz begann. Es bestehen aber auch traditionelle Gründe: Auch in den Herkunftsländern wird allgemein mehr ferngesehen, die Nutzung des Hörfunks ist weniger intensiv als hierzulande. Außerdem wird Musik aus den Heimatländern eher auf CDs, DVDs und über das Internet gehört als im Radio. Eine wichtige Rolle spiele auch die Haushaltsgröße, die bei Migrantenhaushalten im Durchschnitt doppelt so groß ist wie bei deutschen. Die Radionutzung sinkt mit der Personenzahl im Haushalt. Deutsche Sender wurden intensiver genutzt als heimatsprachliche Angebote, und zwar umso mehr, je höher der Bildungsabschluss war.<ref>Ekkehardt Oehmichen: ''[http://www.media-perspektiven.de/publikationen/fachzeitschrift/2007/artikel/radionutzung-von-migranten-1/f Radionutzung von Migranten]''. In: Media Perspektiven. Nr.&nbsp;9/2007. S.&nbsp;452–460, passim.</ref> Die Ergebnisse wurden in nachfolgenden Untersuchungen bestätigt. Die neueren Erhebungen unterscheiden sich von den älteren vor allem hinsichtlich der Differenziertheit, mit der die Bevölkerungsgruppen und ihre Gewohnheiten beschrieben werden.<ref>Zur [[Sinus-Milieus|Sinus-Studie]] „Migranten-Milieus in Deutschland 2008“: Walter Klingler, Albrecht Kutteroff: ''[http://www.media-perspektiven.de/publikationen/fachzeitschrift/2009/artikel/stellenwert-und-nutzung-der-medien-in-migrantenmilieus/ Stellenwert und Nutzung der Medien in Migrantenmilieus]''. In: Media Perspektiven. Nr.&nbsp;6/2009. S.&nbsp;297–308, 303ff.</ref><ref>Zur Studie „Migranten und Medien 2011“: Gerhard Kloppenburg, Lothar Mai: ''[http://www.media-perspektiven.de/publikationen/fachzeitschrift/2011/artikel/radionutzung-von-migranten/ Radionutzung von Migranten]''. In: Media Perspektiven. Nr.&nbsp;10/2011. S.&nbsp;471–478, passim.</ref>
Diesem Wechsel liegen eine Reihe von Untersuchungen aus der [[Medienwissenschaft|Medienforschung]] zugrunde. In der Studie „Migranten und Medien 2007“, die von ARD und ZDF durchgeführt worden war, hatte sich gezeigt, dass nur 47&nbsp;Prozent der Migranten und der Deutschen mit Migrationshintergrund ab dem Alter von 14&nbsp;Jahren täglich Radio hören, im Vergleich zu 84&nbsp;Prozent der deutschen Erwachsenen. Auch die Dauer der Radionutzung unterschied sich deutlich: Ausländer hörten durchschnittlich nur 102&nbsp;Minuten am Tag zu, bei den Deutschen lag die Nutzungsdauer bei 221&nbsp;Minuten. Für die Nutzung von Fernsehen und Internet bestehen dagegen keine [[Statistische Signifikanz|statistisch signifikanten]] Unterschiede. Die Radionutzung lag bei Personen türkischer Herkunft am niedrigsten (22&nbsp;Prozent Radiohörer), bei den Polen war sie mit 72&nbsp;Prozent am höchsten. Die Gründe für diese Unterschiede ist nicht untersucht worden, aus den Beobachtungen ergeben sich aber Hinweise: Etwa ein Viertel aller Migrantenhaushalte in der Studie hatte gar kein Radiogerät zur Verfügung. Für Nordrhein-Westfalen ergab sich ein Rückgang der Radionutzung, als die Einspeisung heimatsprachlicher Fernsehsender im analogen und im kostenpflichtigen Kabelnetz begann. Es bestehen aber auch traditionelle Gründe: Auch in den Herkunftsländern wird allgemein mehr ferngesehen, die Nutzung des Hörfunks ist weniger intensiv als hierzulande. Außerdem wird Musik aus den Heimatländern eher auf CDs, DVDs und über das Internet gehört als im Radio. Eine wichtige Rolle spiele auch die Haushaltsgröße, die bei Migrantenhaushalten im Durchschnitt doppelt so groß ist wie bei deutschen. Die Radionutzung sinkt mit der Personenzahl im Haushalt. Deutsche Sender wurden intensiver genutzt als heimatsprachliche Angebote, und zwar umso mehr, je höher der Bildungsabschluss war.<ref>Ekkehardt Oehmichen: ''[http://www.ard-werbung.de/media-perspektiven/publikationen/fachzeitschrift/2007/artikel/radionutzung-von-migranten-1/ Radionutzung von Migranten]''. In: Media Perspektiven. Nr.&nbsp;9/2007. S.&nbsp;452–460, passim.</ref> Die Ergebnisse wurden in nachfolgenden Untersuchungen bestätigt. Die neueren Erhebungen unterscheiden sich von den älteren vor allem hinsichtlich der Differenziertheit, mit der die Bevölkerungsgruppen und ihre Gewohnheiten beschrieben werden.<ref>Zur [[Sinus-Milieus|Sinus-Studie]] „Migranten-Milieus in Deutschland 2008“: Walter Klingler, Albrecht Kutteroff: ''[http://www.media-perspektiven.de/publikationen/fachzeitschrift/2009/artikel/stellenwert-und-nutzung-der-medien-in-migrantenmilieus/ Stellenwert und Nutzung der Medien in Migrantenmilieus]''. In: Media Perspektiven. Nr.&nbsp;6/2009. S.&nbsp;297–308, 303ff.</ref><ref>Zur Studie „Migranten und Medien 2011“: Gerhard Kloppenburg, Lothar Mai: ''[http://www.media-perspektiven.de/publikationen/fachzeitschrift/2011/artikel/radionutzung-von-migranten/ Radionutzung von Migranten]''. In: Media Perspektiven. Nr.&nbsp;10/2011. S.&nbsp;471–478, passim.</ref>

Seit 2015 gibt es von WDR und NDR die Radiosendung ''Refugee Radio'', ein Programm mit arabisch- und englischsprachigen Nachrichten für Flüchtlinge.<ref>{{Internetquelle|url=http://www.radioszene.de/83598/refugee-radio-ndr-funkhaus-europa-fluechtlinge.html|titel=Refugee Radio: WDR und NDR senden Nachrichten für Flüchtlinge|werk=radioszene.de|datum=2015-09-18|zugriff=2016-02-28}}</ref> Die Informationsangebote für die Zielgruppe auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi wurden seit 2016 in dem Internetangebot ''WDRforyou'' zusammengefasst. Kurznachrichten werden auch als Abonnement für den [[Facebook|Facebook Messenger]] angeboten.<ref>{{Internetquelle |url=https://www1.wdr.de/nachrichten/wdrforyou/index.html |titel=WDRforyou: Angebote für Flüchtlinge in vier Sprachen |datum=2016-02-15 |abruf=2021-01-03 |sprache=de}}</ref>

Zunehmend wird die Frage aufgegriffen, weshalb der Anteil von Journalisten und Moderatoren mit Migrationshintergrund oder mit [[Person of Color|nicht-weißer Hautfarbe]] im Rundfunk nicht deren Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. Eine Rolle dabei könnte die [[Berufsausbildung]] im [[Journalist|Journalismus]] spielen. Deren lange Dauer in Verbindung mit einer ungewissen beruflichen Zukunft bevorzugt die Angehörigen aus [[Mittelschicht|Mittelschichtfamilien]], die finanziell besser abgesichert sind, und [[Diskriminierung|benachteiligt]] somit mittelbar gesellschaftliche Aufsteiger, zu denen auch Personen mit Migrationshintergrund häufig immer noch gehören.<ref>{{Internetquelle |autor=Hadija Haruna-Oelker, Lorenz Rollhäuser |url=https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-oeffentlich-rechtlichen-und-die-migrationsgesellschaft.3682.de.html?dram:article_id=485130 |titel=Die Öffentlich-Rechtlichen und die Migrationsgesellschaft – Dekolonisiert euch! |werk=Deutschlandfunk Kultur |hrsg= |datum=2020-11-24 |abruf=2021-01-03 |sprache=de}}</ref>


== Literatur ==
== Literatur ==
* Mehmet Aktan: ''Das Medienangebot für die ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland untersucht am Beispiel türkischsprachiger Zeitungen und Hörfunksendungen''. München, Univ., Diss., 1984.
* Mehmet Aktan: ''Das Medienangebot für die ausländischen Arbeitnehmer in der Bundesrepublik Deutschland untersucht am Beispiel türkischsprachiger Zeitungen und Hörfunksendungen''. München, Univ., Diss., 1984.
* Raphael Rauch: ''Muslime auf Sendung. Das „Türkische Geistliche Wort“ im ARD-„Ausländerprogramm“ und islamische Morgenandachten im RIAS''. In: [[Rundfunk und Geschichte]] 1–2/2015, 9–21.
* Raphael Rauch: [https://rundfunkundgeschichte.de/assets/RuG_2015_1-2.pdf ''Muslime auf Sendung. Das „Türkische Geistliche Wort“ im ARD-„Ausländerprogramm“ und islamische Morgenandachten im RIAS''.] In: [[Studienkreis Rundfunk und Geschichte|Rundfunk und Geschichte]] 1–2/2015, 9–21.
* Roberto Sala: ''[http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40208469/default.aspx „Gastarbeitersendungen“ und „Gastarbeiterzeitschriften“ in der Bundesrepublik (1960–1975) – ein Spiegel internationaler Spannungen]''. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 2&nbsp;(2005), H.&nbsp;3.
* Roberto Sala: ''[http://www.zeithistorische-forschungen.de/site/40208469/default.aspx „Gastarbeitersendungen“ und „Gastarbeiterzeitschriften“ in der Bundesrepublik (1960–1975) – ein Spiegel internationaler Spannungen]''. In: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 2&nbsp;(2005), H.&nbsp;3.
* Roberto Sala: ''Fremde Worte. Medien für „Gastarbeiter“ in der Bundesrepublik im Spannungsfeld von Außen- und Sozialpolitik''. Schöningh. Paderborn, 2011. ISBN 978-3-506-77106-3

== Radiofeature ==

* {{Internetquelle |autor=Hadija Haruna-Oelker, Lorenz Rollhäuser |url=https://www.deutschlandfunkkultur.de/die-oeffentlich-rechtlichen-und-die-migrationsgesellschaft.3682.de.html?dram:article_id=485130 |titel=Die Öffentlich-Rechtlichen und die Migrationsgesellschaft – Dekolonisiert euch! |werk=Deutschlandfunk Kultur |hrsg= |datum=2020-11-24 |abruf=2021-01-03 |sprache=de}}
* {{Internetquelle |autor=Esther Saoub |url=https://www.swr.de/swr2/wissen/die-gastarbeiterprogramme-der-ard-integration-durch-radio-swr2-wissen-2023-10-14-104.html |titel=Die Gastarbeiterprogramme der ARD – Integration durch Radio? |werk=SWR2 Wissen |hrsg=Südwestrundfunk |datum=2023-10-13 |sprache=de |abruf=2023-10-15 |kommentar=mit Manuskript}}
* {{Internetquelle |autor=Esther Saoub |url=https://www.deutschlandfunk.de/die-gastarbeiterprgramme-der-ard-einst-unersetzliche-informationsquelle-dlf-a4953e08-100.html |titel=Die „Gastarbeiterprgramme“ der ARD. Einst unersetzliche Informationsquelle |werk=Hintergrund |hrsg=Deutschlandfunk |datum=2023-10-15 |sprache=de |abruf=2023-10-15}}

== Weblinks ==
* [https://web.archive.org/web/20160215000000*/http://www.ard.de/home/radio/Radio_ohne_Grenzen/76034/index.html Radio ohne Grenzen] – Multikulturelle Angebote der ARD-Wellen (Archiv-Version von 2016)
* [https://web.archive.org/web/20171209100127/http://www.ard.de/home/die-ard/fakten/abc-der-ard/Auslaenderprogramm/463470/index.html Ausländerprogramm] – im ABC der ARD (Archiv-Version von 2017)


== Einzelnachweise ==
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Aktuelle Version vom 15. Oktober 2023, 19:36 Uhr

Italienische Zuwandererfamilie mit Radio (1962)

Das Ausländerprogramm der ARD besteht aus fremdsprachigen Hörfunksendungen und -programmen der ARD-Rundfunkanstalten, die sich ursprünglich seit den 1960er Jahren an Migranten in Deutschland richteten. Neben der allgemeinen Berichterstattung sollten die Sendungen dazu dienen, den Kontakt zum Heimatland zu halten, „als Orientierungshilfe für eine mögliche Rückkehr“.[1] Heute wird mit den diesbezüglichen Angeboten ein integratives Ziel verfolgt.

Das Ausländerprogramm ist nicht zu verwechseln mit dem Auslandsrundfunk, der von der Deutschen Welle und bis in die 1990er Jahre hinein teilweise auch vom Deutschlandfunk betrieben wurde. Diese deutsch- und fremdsprachigen Sendungen richteten sich stets an Hörer im Ausland.

Mit dem Einsetzen der Zuwanderung der sogenannten Gastarbeiter in die Bundesrepublik Deutschland nahmen die ARD-Anstalten Hörfunksendungen in den Muttersprachen der Zuwanderer in ihr Programm auf.[2] Die älteste Sendung dieser Art ist die Mezz’Ora Italiana, die vom Saarländischen Rundfunk zuerst am 21. Oktober 1961 in italienischer Sprache ausgestrahlt wurde. Heute ist sie am Wochenende im Programm Antenne Saar zu hören. Außer dem SR produzierten auch der Bayerische Rundfunk und der Westdeutsche Rundfunk Sendungen in Fremdsprachen. Die erste türkische Sendung von Köln Radyosu war am 2. November 1964.

Das gemeinsame „Gastarbeiterprogramm“ 1964–2002

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Seit 1964 gab es ein tägliches Gastarbeiterprogramm, das vom BR und vom WDR produziert und von allen anderen Anstalten, außer dem MDR und dem ORB, ganz oder teilweise am Abend und am Wochenende übernommen wurde. Seit 1999 beteiligte sich auch der Sender Freies Berlin an der Produktion. Zu Anfang wurde über die damals neu eingeführten dritten Hörfunkprogramme gesendet. Die Sendungen begannen um 19 Uhr und dauerten bis etwa 22 Uhr. Gesendet wurde auf Italienisch, auf Griechisch und Türkisch sowie in den jugoslawischen Sprachen in unterschiedlicher Länge. Anfangs waren die Italienischsendungen des WDR nur eine Viertelstunde lang, später wurden die Ausgaben in allen Sprachen auf jeweils 45, später 40 Minuten verlängert.

Die Sendungen standen in Konkurrenz zu den osteuropäischen Programmen für Arbeitsmigranten, die von Radio Berlin International, Radio Prag, Radio Warschau und Radio Budapest ausgestrahlt wurden. Diese waren zudem für die meisten Betroffenen leichter zu empfangen, weil sie auf Mittelwelle ausgestrahlt wurden und die meisten über kein UKW-Radio verfügten. Die Mittelwelle sollte nicht mit den für westdeutsche Hörer „uninteressanten“ fremdsprachigen Programmen „blockiert“ werden, deshalb wurden sie auf den neuen UKW-Frequenzen gesendet.[3]

Die Sendungen waren über Deutschland hinaus auch für die jeweiligen Heimatländer oft eine wichtige Informationsquelle und führten mitunter auch zu diplomatischen Verwicklungen, so etwa die spanischen Programme während der Zeit Francos[4] oder die griechischen Sendungen während der dortigen Diktatur.[5] 1972 wurde auf massiven politischen und wirtschaftlichen Druck hin sogar die Verlagerung der Gastarbeiterprogramme zum Deutschlandfunk diskutiert. Die politischen Kommentare auf Spanisch und Griechisch wurden daraufhin eingestellt.[6][7][8]

Studien hatten ergeben, dass die Reichweite unter der Zielgruppe zeitweilig hoch war; im Sendegebiet des WDR hörte etwa die Hälfte aller gebürtigen Türken die Sendungen von Köln Radyosu. Mitte der 1970er Jahre schalteten viele die Sendungen, in denen es vor allem um praktische Lebenshilfe bis hin zum deutschen Arbeitsrecht und zur Sozialpolitik ging, mehrmals wöchentlich ein. Die Gewerkschaften lobten die Sendungen.[8] In den 1990er Jahren war allerdings durch das Aufkommen des Satellitendirektempfangs und die Verfügbarkeit ausländischer Sender im Kabelfernsehen sowie dem Vordringen des Privatfernsehens ein Wendepunkt erreicht. 1996 schalteten nur noch etwa drei Prozent der nordrhein-westfälischen Türken regelmäßig die türkischen Sendungen des WDR ein.[9] Durch die Zunahme des Formatradios wurden die Sendungen immer mehr auf die Mittelwellensender abgedrängt, was ihre Akzeptanz weiter schwächte. Bei der Einstellung der Sendungen durch den Hessischen Rundfunk im Jahr 2010 waren die Einschaltquoten schließlich „nicht mehr messbar“.[10] Bei einigen Anstalten wurden die Sendungen in die neu eingerichteten interkulturellen Programme Radio Multikulti (RBB) und Funkhaus Europa (WDR, Radio Bremen) integriert. Seit der Einstellung von Multikulti entstand Anfang 2017 das gemeinsame Programm Cosmo, das seitdem von WDR, Radio Bremen und RBB betrieben wird. Das gemeinsame Ausländerprogramm der ARD endete im Jahr 2002.

Diese Veränderungen trafen übrigens in diesem Zeitraum auch die Ausländerprogramme im deutschen Fernsehen. Die Sender reagierten mehrfach kurzfristig mit Reformen ihrer Formate. Größere Veränderungen fielen in die Zeit nach der Wende 1989/1990, in der es im Zuge der vorausgegangenen Asyldebatte zu einer Reihe von rassistischen Ausschreitungen und Straftaten gekommen war, so in Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und in Mölln. Dem sollte mit integrativen und multikulturellen Inhalten entgegengewirkt werden. Das ZDF änderte Konzept und Gestaltung seiner wöchentlichen Sendung „Nachbarn in Europa“ seit 1983 mehrmals und übernahm dabei Nachrichtenbeiträge von ausländischen Partnersendern direkt, seit 1992 hieß die Sendung „Nachbarn – Ein Magazin für Ausländer und Deutsche“. Das Format wurde 1998 aus dem Programm genommen. In der ARD gab es ebenfalls größere Reformen von der Sendung „Ihre Heimat – Unsere Heimat“ hin zu dem WDR-Magazin „Babylon“ und der Talkshow „Vetro – Café mit Weitblick“, die beide 2003 durch Cosmo TV ersetzt wurden.[11]

Integration als „Querschnittsaufgabe“ seit 2003

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Veranstaltung von Funkhaus Europa beim Evangelischen Kirchentag in Bremen (2009)

Seit 2003 liegt es bei den einzelnen Landesanstalten, welche Radiosendungen sie in Fremdsprachen anbieten. Typisch sind seitdem multikulturelle Redaktionen und Schwerpunktsendungen in den Informationswellen. Beispielsweise unterhält der Südwestrundfunk eine Redaktion SWR International, die Beiträge zu allen Hörfunkprogrammen zuliefert und eigene Sendungen im Nachrichtenkanal SWRinfo hat.[12] Der HR produzierte bis zur Abschaltung seines Mittelwellensenders Ende 2009 spanische und griechische Sendungen,[10][13][14] während der WDR Beiträge auf Italienisch, Türkisch, Kurdisch, auf Arabisch (gemeinsam mit dem RBB) sowie in südslawischen Sprachen in den Austausch zwischen den ARD-Anstalten einbringt. Der Norddeutsche Rundfunk übernimmt zum Teil Sendungen aus dem Programm Funkhaus Europa. Letzteres ist das umfangreichste fremdsprachige Angebot dieser Art in der ARD. Es wird seit 1998 vom WDR gemeinsam mit Radio Bremen produziert. Das vier Jahre zuvor vom RBB gestartete Radio Multikulti wurde Ende 2008 eingestellt; seitdem beteiligt sich auch der RBB an Funkhaus Europa und übernimmt das Programm für sein Sendegebiet. Seit 2015 wurde im Rahmen von Funkhaus Europa auch ein Refugee Radio produziert, das Nachrichten auf Englisch und Arabisch für die Flüchtlinge in Deutschland bereitstellt.[15]

Mit diesen Programmen, die sich seitdem nicht nur an ausländische Hörer, sondern auch an Deutsche richten und die rund um die Uhr senden, sollte auf die Veränderungen in der Gesellschaft reagiert werden. Sie dienen daher der Integration aller Bevölkerungsgruppen und Ethnien. Dieses Ziel könne mit rein fremdsprachigen Sendungen nicht erreicht werden, sie „dienen nicht der Integration, weil sie deutsche Sprachkenntnisse nicht befördern“, hieß es etwa beim Hessischen Rundfunk 2010.[10] Hintergrund war ein Beschluss der ARD-Intendanten aus dem Jahr 2006, die Integration zu einer „Querschnittsaufgabe“ zu machen, die sich im gesamten Programm niederschlagen soll. Außerdem sollten Migranten verstärkt als Moderatoren gewonnen werden, so dass sie „als selbstverständliche Akteure und Verantwortungsträger, als Experten und Diskussionsteilnehmer in Talkrunden und Fictionformaten auftreten – unabhängig von einem ausländerspezifischen Zusammenhang.“[16] Der Schwerpunkt liegt seitdem nicht mehr auf dem Hörfunk, sondern auf dem Fernsehen.

Diesem Wechsel liegen eine Reihe von Untersuchungen aus der Medienforschung zugrunde. In der Studie „Migranten und Medien 2007“, die von ARD und ZDF durchgeführt worden war, hatte sich gezeigt, dass nur 47 Prozent der Migranten und der Deutschen mit Migrationshintergrund ab dem Alter von 14 Jahren täglich Radio hören, im Vergleich zu 84 Prozent der deutschen Erwachsenen. Auch die Dauer der Radionutzung unterschied sich deutlich: Ausländer hörten durchschnittlich nur 102 Minuten am Tag zu, bei den Deutschen lag die Nutzungsdauer bei 221 Minuten. Für die Nutzung von Fernsehen und Internet bestehen dagegen keine statistisch signifikanten Unterschiede. Die Radionutzung lag bei Personen türkischer Herkunft am niedrigsten (22 Prozent Radiohörer), bei den Polen war sie mit 72 Prozent am höchsten. Die Gründe für diese Unterschiede ist nicht untersucht worden, aus den Beobachtungen ergeben sich aber Hinweise: Etwa ein Viertel aller Migrantenhaushalte in der Studie hatte gar kein Radiogerät zur Verfügung. Für Nordrhein-Westfalen ergab sich ein Rückgang der Radionutzung, als die Einspeisung heimatsprachlicher Fernsehsender im analogen und im kostenpflichtigen Kabelnetz begann. Es bestehen aber auch traditionelle Gründe: Auch in den Herkunftsländern wird allgemein mehr ferngesehen, die Nutzung des Hörfunks ist weniger intensiv als hierzulande. Außerdem wird Musik aus den Heimatländern eher auf CDs, DVDs und über das Internet gehört als im Radio. Eine wichtige Rolle spiele auch die Haushaltsgröße, die bei Migrantenhaushalten im Durchschnitt doppelt so groß ist wie bei deutschen. Die Radionutzung sinkt mit der Personenzahl im Haushalt. Deutsche Sender wurden intensiver genutzt als heimatsprachliche Angebote, und zwar umso mehr, je höher der Bildungsabschluss war.[17] Die Ergebnisse wurden in nachfolgenden Untersuchungen bestätigt. Die neueren Erhebungen unterscheiden sich von den älteren vor allem hinsichtlich der Differenziertheit, mit der die Bevölkerungsgruppen und ihre Gewohnheiten beschrieben werden.[18][19]

Seit 2015 gibt es von WDR und NDR die Radiosendung Refugee Radio, ein Programm mit arabisch- und englischsprachigen Nachrichten für Flüchtlinge.[20] Die Informationsangebote für die Zielgruppe auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi wurden seit 2016 in dem Internetangebot WDRforyou zusammengefasst. Kurznachrichten werden auch als Abonnement für den Facebook Messenger angeboten.[21]

Zunehmend wird die Frage aufgegriffen, weshalb der Anteil von Journalisten und Moderatoren mit Migrationshintergrund oder mit nicht-weißer Hautfarbe im Rundfunk nicht deren Anteil an der Gesamtbevölkerung entspricht. Eine Rolle dabei könnte die Berufsausbildung im Journalismus spielen. Deren lange Dauer in Verbindung mit einer ungewissen beruflichen Zukunft bevorzugt die Angehörigen aus Mittelschichtfamilien, die finanziell besser abgesichert sind, und benachteiligt somit mittelbar gesellschaftliche Aufsteiger, zu denen auch Personen mit Migrationshintergrund häufig immer noch gehören.[22]

Einzelnachweise

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  1. Gualtiero Zambonini: Medien und Integration. Der ARD-Weg: Vom „Gastarbeiter“-Programm zur Querschnittsaufgabe. In: ARD-Jahrbuch 09. S. 87–94, 88. 2009. Abgerufen am 7. Dezember 2013.
  2. Soweit nicht anders angegeben, folgt die Schilderung der Geschichte dem ABC der ARD: Ausländerprogramm. In: ABC der ARD. 23. Februar 2012. Abgerufen am 7. Dezember 2013. Außerdem: Gualtiero Zambonini: Medien und Integration. Der ARD-Weg: Vom „Gastarbeiter“-Programm zur Querschnittsaufgabe. In: ARD-Jahrbuch 09. S. 87–94, passim. 2009, ISSN 0066-5746.
  3. Abends das Lied aus der Heimat. Gastarbeiter in der Bundesrepublik lauschen Radio Prag. In: Die Zeit. Nr. 2. 7. Januar 1966. Abgerufen am 7. Dezember 2013.
  4. Otto Köhler: Radio Cohn-Bendit. In: Der Spiegel. Nr. 17/1969, S. 202.
  5. Aufwand für Veröffentlichungen. In: Der Spiegel. Nr. 45/1976. S. 161–182, 166: „In Deutschland wohnte die Masse der griechischen Gastarbeiter, die in der Mehrheit juntafeindlich waren. Aus Deutschland kam Kritik, die den Obristen auch zu Hause weh tat: der Griechische Dienst der Deutschen Welle, den Millionen Griechen hörten wie Deutsche während des Krieges die BBC, die griechischen Gastarbeitersendungen des Bayerischen Rundfunks und die Fernseh-Abende für Ausländer des Dritten WDR-Programms, beeinflußt von den Regime-Gegnern Pavlos Bakojannis und Basil Mathiopoulos.“ – Pavlos Bakojannis war der Leiter der griechischen Gastarbeitersendungen beim Bayerischen Rundfunk: Berufliches: Pavlos Bakojannis. In: Der Spiegel. Nr. 49/1974. S. 188.
  6. Im Kreise herum. In: Der Spiegel. Nr. 37/1972. S. 70f., 71.
  7. Pavlos Bakojannis: Gastarbeiterprogramme: Zensur im Äther. Soll ein Grundrecht dem Druck fremder Diktaturen und einiger deutscher Firmen geopfert werden?. In: Die Zeit. Nr. 36. 8. September 1972. Abgerufen am 7. Dezember 2013.
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  12. SWR International. Die Fachredaktion für Migration und Integration. Das multikulti-Team im SWR (Memento des Originals vom 26. Januar 2014 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.swr.de. In: Website des SWR. 23. Juli 2008. Abgerufen am 7. Dezember 2013.
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  17. Ekkehardt Oehmichen: Radionutzung von Migranten. In: Media Perspektiven. Nr. 9/2007. S. 452–460, passim.
  18. Zur Sinus-Studie „Migranten-Milieus in Deutschland 2008“: Walter Klingler, Albrecht Kutteroff: Stellenwert und Nutzung der Medien in Migrantenmilieus. In: Media Perspektiven. Nr. 6/2009. S. 297–308, 303ff.
  19. Zur Studie „Migranten und Medien 2011“: Gerhard Kloppenburg, Lothar Mai: Radionutzung von Migranten. In: Media Perspektiven. Nr. 10/2011. S. 471–478, passim.
  20. Refugee Radio: WDR und NDR senden Nachrichten für Flüchtlinge. In: radioszene.de. 18. September 2015, abgerufen am 28. Februar 2016.
  21. WDRforyou: Angebote für Flüchtlinge in vier Sprachen. 15. Februar 2016, abgerufen am 3. Januar 2021.
  22. Hadija Haruna-Oelker, Lorenz Rollhäuser: Die Öffentlich-Rechtlichen und die Migrationsgesellschaft – Dekolonisiert euch! In: Deutschlandfunk Kultur. 24. November 2020, abgerufen am 3. Januar 2021.