Vinland-Karte
Die Vinland-Karte ist eine historische Weltkarte, die sehr wahrscheinlich nach 1920 gefälscht oder mindestens verfälscht wurde.
Sie nennt Bjarni und Leif als Entdecker Vinlands und damit Amerikas. Sie wäre die früheste Karte, die einen Küstenabschnitt Nordamerikas kartiert. Sie zeigt neben Afrika, Asien und Europa drei Inseln im Nordatlantik mit den Namen „Isoland Ibernica“ (Island), „Grouelanda“ (Grönland) und „Vinland“ mit dem Text „Vinilanda Insula a Byarno reperta et leipho sociis“ (in etwa: „Die Insel Vinland, von den Gefährten Bjarni und Leif entdeckt“) sowie einem weiteren Text, der ebenfalls einen „Leif“ erwähnt, der aber nicht mit Leif Eriksson identisch ist, sondern mit einem späteren Bischof gleichen Namens. Beide Texte entsprechen in ihrem Inhalt unumstrittenen historischen Gegebenheiten, die in isländischen Sagas und anderen Quellen überliefert sind.
Die Karte lässt sich nur bis ins Jahr 1957 zu einem Buchhändler aus Barcelona zurückverfolgen, der sie, zusammengebunden mit einer spätmittelalterlichen Abschrift der Historia Tartaorum zum Verkauf anbot. Die Historia Tartaorum ("Geschichte der Tataren") ist ein Bericht von der Missionsreise des Franziskaners Johannes de Plano Carpini zu den Mongolen in den Jahren 1245–1247. Lawrence Witten, ein Antiquar aus Connecticut, erwarb die Karte und das Buch für 3500 Dollar.
Ermöglicht durch die Stiftung von 250.000 Dollar eines zunächst anonymen Mäzens (Paul Mellon) gelangte die Karte 1959 an die Yale University. Die Yale University geht bis heute von der Echtheit der Karte aus und ließ 1995 fast unverändert und ohne auf die seither laut gewordene Kritik zu reagieren die Erstveröffentlichung der Karte von 1965 nachdrucken. Der Versicherungswert wurde 1995 mit 25 Millionen US-Dollar angesetzt.
Dass jenes fruchtbare Land, das die Wikinger im Westen entdeckten und Vinland nannten, auf dem nordamerikanischen Kontinent lag und die Wikinger somit Amerika, genauer Neufundland, erreichten, ist zwischenzeitlich archäologisch gesichert. Davon zeugen die 1978 zum UNESCO Weltkulturerbe erklärten Reste einer Wikingersiedlung auf Neufundland bei L'Anse aux Meadows. Die Vinlandkarte hat insofern keinen historischen Quellenwert. Alle Angaben, die sie enthält, sind bereits aus schriftlichen Quellen bekannt. Eben dies stützt den Verdacht, es könne sich um eine neuzeitliche Fälschung handeln.
Echt oder gefälscht?
Das Pergament der Karte ist zweifelsfrei echt. Die Radiokarbonuntersuchung datiert es auf ca. 1434. Anhand übereinstimmender Wurmlöcher ließen die Karte sowie die Historia Tartaorum sich als ursprüngliche Bestandteile eines Codex identifizieren, der hauptsächlich eine Teilabschrift des verbreiteten „Speculum historiale“ des Vinzenz von Beauvais enthielt (heute Yale, Beinecke Library MS 350). Damit klärte sich auch ein zuvor unverständliches Textfragment auf der Rückseite des Pergamentblattes, das in inkorrektem nachmittelalterlichem Latein die Karte als „delineatio prima pars secunda pars tertia partis speculi“ bezeichnet, was etwa „Karte, erster, zweiter und dritter Teil des Speculum“ heißen kann, ohne Kenntnis des Ursprungs des Pergaments aber keinen Sinn ergibt. Sowohl das „Speculum historiale“ wie der Reisebericht sind zweifelsfrei in der Mitte des 15. Jahrhunderts niedergeschrieben worden.
Seit 2004 ist ein zweiter Codex bekannt, der dieselbe Textzusammenstellung enthält (Zisterzienserkloster Luzern, um 1340) und möglicherweise die Vorlage für das Yale-Exemplar war. Eine Karte enthält das Luzerner Exemplar allerdings nicht. Auch nach paläographischen Kriterien stammen die Kartenlegenden der Vinland-Karte nicht von dem Schreiber, der die beiden Texte kopierte. Eine seriöse paläographische und kodikologische Untersuchung, wie sie schon 1966 gefordert wurde, ist von der besitzenden Bibliothek bis heute nicht veranlasst worden; es bestehen jedoch massive Zweifel daran, dass die Karte gleichzeitig mit den Texten auf das Pergament kam. So ist die humanistische Schreibung der ae-Ligatur ein Fremdkörper in der sonst humanistisch unbeeinflußten Bastardschrift.
Auch an der Kartenzeichnung selbst bestehen Zweifel. Die Legenden der Karte und ihr Rand wurden mit einer schwarzen, die Karte selbst mit einer bräunlichen Tinte gezeichnet. Die bräunliche Tinte enthält das Titandioxid Anatas. Elektronenmikroskopische Untersuchungen belegen, dass das Pigment nicht durch Pulverisierung, sondern durch Ausfällung entstand -- ein Verfahren, das erst seit 1923 angewandt wird. Nach Erkenntnissen von 1987 ist Anatas allerdings auch auf echten Dokumenten des 15. Jahrhunderts nachzuweisen, da es sich bei einer bestimmten Tintenrezeptur, der Eisengallustinte, aus natürlichen mineralischen Bestandteilen bilden kann. Im Juli 2002 stellte man unter Anwendung der Ramanspektroskopie jedoch fest, dass die Karte – im Gegensatz zu den authentischen Textpartien des Codex – nicht mit einer Eisengallustinte, sondern mit einer Tinte auf Kohlenstoffbasis hergestellt wurde. Damit scheint erwiesen zu sein, dass die Zeichnung der Karte nicht von vor 1923 stammen kann.
Auch Details der kartographischen Darstellung sprechen für die Unechtheit der Vinland-Karte. Die Karte bildet geographische Gegebenheiten ab, die den Seefahrern des 9. bis 15. Jahrhunderts noch nicht bekannt sein konnten. Besonders die Darstellung Grönlands als Insel ist anachronistisch, andere Karten zeigen Grönland noch Jahrhunderte später als nach Norden unbegrenzt. Die nördliche Erstreckung der Insel wurde erst im 19./20. Jahrhundert kartographisch erfasst. Während Island und Grönland sehr treffend wiedergegeben sind, zeigt Skandinavien die typisch mittelalterlichen Verzerrungen und Verschiebungen. Auch die zeichnerische Binnengliederung Vinlands mit zwei Buchten oder Fjorden ist höchst untypisch; sonst sind Inseln und Küstenlinien sehr undifferenziert wiedergegeben. Auch scheinen die drei Inseln außerhalb der ansonsten durch die Küstenlinien vorgegebenen Begrenzungen, einer ovalen Form, zu liegen. Sogar die moderne Ausrichtung der Karte (Orientierung nach Norden) wäre in der lateinischen Tradition vor dem 15. Jahrhundert ohne Beispiel.