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{{Redundanztext
|3=Kalkanwendungen
|4=Calciumhydroxid#Verwendung
|5=Calciumcarbonat#Verwendung|6=Kalkstein#Wirtschaftliche Verwendung|2=April 2023|1=[[Benutzer:KaiKemmann| Kai Kemmann]] <small>([[Benutzer Diskussion:KaiKemmann|Diskussion]]) - [[Wikipedia:Unterschriftenliste_für_eine_liberale_Löschpraxis|Verbessern statt löschen]] -</small> 12:40, 7. Apr. 2023 (CEST)}}
 
{{Infobox Chemikalie
| Strukturformel = [[Datei:Kristallstruktur Cadmiumiodid.png|200px|Kristallstruktur von Calciumhydroxid]]
| Kristallstruktur = Ja
| Strukturhinweis = {{Farbe|#C0C0C0|Kreis=1}} [[Calcium|Ca]]<sup>2+</sup> {{0}} {{Farbe|#FF00FF|Kreis=1}} [[Hydroxid|OH]]<sup>−</sup>
| Name = Calciumhydroxid lenia isch dumm
| Suchfunktion = CaH2O2 Ca(OH)2
| Andere Namen = * Calciumdihydroxid
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}}
 
'''Calciumhydroxid''' oder '''Kalziumhydroxid''' (auch: '''gelöschter Kalk''', '''Löschkalk''', '''(Weiß)Kalkhydrat''', '''Hydratkalk''') ist das [[Hydroxide|Hydroxid]] des [[Calcium]]s.
 
== Vorkommen ==
[[Datei:Portlandite, Ettringite - Mineralogisches Museum Bonn.jpg|links|mini|[[Portlandit]]]]
Calciumhydroxid kommt in der Natur auch als [[Mineral]] [[Portlandit]] vor.
{{Absatz|links}}
 
== Gewinnung und Darstellung ==
 
{{Anker|Kalklöschen}}Calciumhydroxid entsteht unter starker Wärmeentwicklung ([[exotherme Reaktion]]) beim Versetzen von [[Calciumoxid]] mit Wasser.<ref name="brauer">[[Georg Brauer]] (Hrsg.), unter Mitarbeit von [[Marianne Baudler]] u.&nbsp;a.: ''Handbuch der Präparativen Anorganischen Chemie.'' 3., umgearbeitete Auflage. Band II. Ferdinand Enke, Stuttgart 1978, ISBN 3-432-87813-3, S. 926.</ref> Diesen Vorgang nennt man auch ''Kalklöschen''. Die Wärmeentwicklung ist so stark, dass das Wasser zum Teil auch verdampft (umgangssprachlich als „Rauchen“ bezeichnet).
 
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Einen Überblick über die Umwandlungsprozesse zwischen verschiedenen Calciumverbindungen ''([[technischer Kalkkreislauf]])'' gibt folgendes Schaubild:
 
[[Datei:Kalkkreislauf.svg|500px|links|miniatur|[[Technischer Kalkkreislauf]] mit den drei beteiligten chemischen Stoffen]]
{{Absatz|links}}
Weiterhin ist die Darstellung durch Reaktion von wässrigen Calciumsalzlösungen mit Alkalilaugen möglich (zum Beispiel [[Calciumnitrat]] mit [[Kaliumhydroxid]]).<ref name="brauer" />
:<math>\mathrm{Ca(NO_3)_2 \cdot 4 H_2O + 2 \ KOH \longrightarrow \ Ca(OH)_2 + 2 \ KNO_3 + 4 \ H_2O}</math>
 
[[Calciumhydrid]] oder Calcium selbst reagiert mit Wasser heftig unter Bildung von Calciumhydroxid und [[Wasserstoff]].<ref>Roland Pfestorf, Heinz Kadner: ''Chemie: Ein Lehrbuch für Fachhochschulen.'' ISBN 978-3-817117838171-1783-3, S. 368.</ref>
:<math>\mathrm{CaH_2 + 2 \ H_2O \longrightarrow \ Ca(OH)_2 + 2 \ H_2}</math>
 
== Eigenschaften ==
 
[[Datei:Calcium hydroxide.jpg|mini|Calciumhydroxid]]
 
Calciumhydroxid ist ein farbloses Pulver, das sich nur wenig in Wasser löst. Die Löslichkeit ist temperaturabhängig und sinkt bei steigender Temperatur: 1860&nbsp;mg/l bei 0&nbsp;°C; 1650&nbsp;mg/l bei 20&nbsp;°C und 770&nbsp;mg/l bei 100&nbsp;°C.<ref>''Taschenbuch Chemische Substanzen'', 3. Auflage. Harri Deutsch, Frankfurt a. M., 2007.</ref> Bei 580&nbsp;°C zersetzt es sich, wobei Calciumoxid und Wasser entstehen.<ref name="GESTIS" /> Calciumhydroxid besteht aus [[Trigonales Kristallsystem|trigonalen]] Kristallen mit dem [[Polytypie|Polytyp]] 2H der Kristallstruktur vom [[Cadmiumiodid]]-Typ ({{Raumgruppe|P-3m1|lang}}, a = 3,584, c = 4,896&nbsp;[[Ångström (Einheit)|Å]]).<ref name="brauer" />
 
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== Verwendung ==
{{Hauptartikel|Kalkanwendungen}}
=== Bauwesen ===
{{Hauptartikel|Baukalk}}
Der Haupteinsatzzweck von Calciumhydroxid ist die Zubereitung von [[Mörtel]] im Bauwesen.<ref name="GESTIS" /> Es findet dort unter dem Namen Weißkalkhydrat Verwendung (DIN 1060). [[Kalkputz]]e bestehen aus Mischungen von Calciumhydroxid und Sand. Letzterer kann auch in Form von gemahlenem [[Kalkstein]] beigefügt werden.
Auch wird Calciumhydroxid vermehrt [[Asphalt]]mischgut zur Verbesserung der Haltbarkeit der fertigen Asphaltschicht zugesetzt.<ref>Beitrag aus asphalt 4/2010 auf schaeferkalk.de: [http://www.schaeferkalk.de/fileadmin/bilder/Aktuelles/2010-04_Kalkhydrat_im_Asphalt_-_Simon.pdf ''Kalkhydrat im Asphalt''], abgerufen am 28. Februar 2017.</ref>
 
Beim Aushärten von [[Portlandzement]] entsteht Calciumhydroxid. Portlandzement wird überwiegend zur Herstellung von [[Stahlbeton]] verwendet. Die alkalische Wirkung des Calciumhydroxids im Beton verhindert solange das Rosten des [[Bewehrungsstahl|Bewehrungsstahls]]s, bis es durch Aufnahme von Kohlenstoffdioxid oder [[Kohlensäure]] (oder„Karbonatisierung“) auchoder andere saure Bestandteile des Regenwassers beispielsweise) neutralisiert wird.
 
Kalk wird zur [[Baugrund#Baugrundverbesserung|Verbesserung der Tragfähigkeit von Baugrund]] eingesetzt. Ein Boden mit zu hohem Wassergehalt und daraus resultierender geringer Tragfähigkeit, und schlechter Verdichtbarkeit kann durch das Untermischen von 2–4 % MA[[Massenanteil]] Kalk verbessert werden. Der Kalk bindet einen Teil des Wassers und verbessert so unter anderem die Plastizität, diewodurch Verdichtbarkeit und die Tragfähigkeit. Deshalb ist die Bodenverbesserung mit Kalk ein Verfahren zur sofort erreichbaren Verbesserung dersich Einbaufähigkeit und ErleichterungPlastizität der Ausführung vonunmittelbar Bauarbeitenverbessern.
In Verbindung mit Natron- und Schmier[[seife]] wird gelöschter [[Muschelkalk]] zu [[Tadelakt]] verarbeitet, einem [[Hydrophobie|hydrophoben]] Kalkputz für [[Nassraum|Nassräume]].
 
AuchCalciumhydroxid wird Calciumhydroxid vermehrt [[Asphalt]]mischgut zur Verbesserung der Haltbarkeit der fertigen Asphaltschicht zugesetzt.<ref>Beitrag aus asphalt 4/2010 auf schaeferkalk.de: [{{Webarchiv|url=http://www.schaeferkalk.de/fileadmin/bilder/Aktuelles/2010-04_Kalkhydrat_im_Asphalt_-_Simon.pdf |wayback=20170301180548 |text=''Kalkhydrat im Asphalt''] }}, abgerufen am 28. Februar 2017.</ref>
Kalk wird zur Verbesserung der Tragfähigkeit von Baugrund eingesetzt. Ein Boden mit zu hohem Wassergehalt und daraus resultierender geringer Tragfähigkeit, schlechter Verdichtbarkeit kann durch das Untermischen von 2–4 % MA Kalk verbessert werden. Der Kalk bindet einen Teil des Wassers und verbessert so unter anderem die Plastizität, die Verdichtbarkeit und die Tragfähigkeit. Deshalb ist die Bodenverbesserung mit Kalk ein Verfahren zur sofort erreichbaren Verbesserung der Einbaufähigkeit und Erleichterung der Ausführung von Bauarbeiten.
 
===Landwirtschaft undLandwirtschaft Lebensmittel===
DieAufgrund der [[Antisepsis|antiseptischeantiseptischen]], ätzendeätzenden Wirkung, dieunterdrückt gelöschter Kalk das Wachstum von Krankheitserregern und [[Schimmelpilz]]en. behindert,Löschkalk ist der Grund, warumwurde früher gelöschter Kalk zum [[Desinfektion|Desinfizieren]] von Ställen (das „Kalken“ der Ställe) benutzt wurde.
 
EineCalciumhydroxid weitere Verwendung findet Calciumhydroxiddient als [[Pflanzenschutzmittel]] im [[Obstbau]]. Hier wird es zum, Beispielinsbesondere als [[Fungizid]] (ein Mittel gegen Pilzbefall, etwa [[Baumkrebs]]) eingesetzt.
 
[[Weißanstrich]]{{Anker|Weißanstrich}} auf die Rinde von Bäumen und Sträuchern wird in der [[Baumpflege]] gegen [[Sonnenbrandschäden]] sowie unter Umständen gegen Moosbewuchs, Algen, Flechten, Pilzbefall und andere Krankheiten angewendet. Der Auftrag erfolgt idealerweise zwischen Oktober und Januar durch Spritzen oder Streichen, direkt auf den Stamm des Baumes oder Strauches.
 
=== Lebensmittel-Zusatzstoff ===
In der Lebensmittelindustrie wird es als [[Säureregulator]] Lebensmitteln zugesetzt und ist in der [[Europäische Union|EU]] als [[Lebensmittelzusatzstoff]] der Bezeichnung ''E&nbsp;526'' ohne Höchstmengenbeschränkung (''quantum satis'') für Lebensmittel allgemein zugelassen.
 
Bei der [[Nixtamalisation]] wird Mais in einer Calciumhydroxid-Lösung gekocht, um das enthaltene gebundene [[Niacin]] aufzuschließen, wodurchund es für den Körper verwertbar wirdzu machen, sowie Geschmack und Backeigenschaften zu verbessern. Auch wird der Mais dadurch zum Calcium-Lieferanten.<ref>{{Internetquelle |url=https://cookingissues.com/2011/03/09/mesoamerican-miracle-megapost-tortillas-and-nixtamalization/ |titel=Mesoamerican Miracle Megapost: Tortillas and Nixtamalization – Cooking Issues |sprache=en-US |abruf=2022-11-02}}</ref>
Eine weitere Verwendung findet Calciumhydroxid als [[Pflanzenschutzmittel]] im [[Obstbau]]. Hier wird es zum Beispiel als [[Fungizid]] (ein Mittel gegen Pilzbefall, etwa [[Baumkrebs]]) eingesetzt.
 
=== Chemie und Industrie ===
[[Weißanstrich]]{{Anker|Weißanstrich}} auf die Rinde von Bäumen und Sträuchern wird in der [[Baumpflege]] gegen [[Sonnenbrandschäden]] sowie unter Umständen gegen Moosbewuchs, Algen, Flechten, Pilzbefall und andere Krankheiten angewendet. Der Auftrag erfolgt idealerweise zwischen Oktober und Januar durch Spritzen oder Streichen, direkt auf den Stamm des Baumes oder Strauches.
 
===Chemie und Industrie===
Gelöschter Kalk wird alternativ zu [[Kalkstein]] in der [[Rauchgasentschwefelung]] eingesetzt, da es mit [[Schwefelsäure]] [[Calciumsulfat]] (Gips) bildet. Die Einsatzmenge ist hierbei etwa 1,8-fach geringer als für Kalkstein. Der entstehende [[Gips]] hat einen [[Weißgrad]] von 80 % und kann kommerziell weiterverwendet werden. Durch seine hohe Reaktivität werden geringere Verbrauchmengen benötigt. Nachteil ist der gegenüber Kalkstein höhere Preis.
 
''[[Kalkwasser]]'' ist die (nahezu) gesättigte [[Lösung (Chemie)|Lösung]] von Calciumhydroxid und dient als klare Flüssigkeit zum [[Nachweis (Chemie)|Nachweis]] von [[Kohlenstoffdioxid]] durch Bildung von [[Calciumcarbonat]], welches [[Fällungsreaktion|ausfällt]] und die Lösung trübt.
 
[[Suspension (Chemie)|Suspensionen]] in Wasser sind:
* ''[[Fettkalk]]'' (''Sumpfkalk''): eine cremig-steife Masse; traditionelles Baustoff:Bindemittel für [[Kalkputz]] und [[Kalkmörtel]]
* ''[[Kalkmilch]]'': eine weißliche, milchartige Flüssigkeit, die sich zu [[Sumpfkalk]] und [[Kalkwasser]] entmischt; Bindemittel in [[Kalkfarbe]], [[Neutralisation (Chemie)|Neutralisation]] von Säuren, [[Entcarbonisierung]], [[Rauchgasentschwefelung]]
 
Calciumhydroxid dient als Zwischenprodukt zur Herstellung von [[Chlorkalk]] und [[Natronlauge]] aus [[Natriumcarbonat|Soda]].<ref name="GESTIS" />
 
===Medizin undMedizin Lebensmittel===
WeiterhinCalciumhydroxid wird es als [[Medikament]] in der [[Zahnmedizin]] verwendet, vor allem zur Desinfektion von Wurzelkanälen und [[Kavitätenklassen|Kavitäten]] und zur Anregung der [[Dentin]]-Neubildung.
 
Es istfindet auch Anwendung als Bestandteil des [[Atemkalk]]s, welchesder in [[Narkose]]geräten- oderund Tauchgeräten[[Kreislauftauchgerät]]en mit Rückatmung zum Eliminieren von [[Kohlenstoffdioxid]] aus der Ausatemluftausgeatmeten Luft verwendeteingesetzt wird.
 
Bei der [[Nixtamalisation]] wird Mais in einer Calciumhydroxid-Lösung gekocht, um das enthaltene gebundene [[Niacin]] aufzuschließen, wodurch es für den Körper verwertbar wird, sowie Geschmack und Backeigenschaften zu verbessern. Auch wird der Mais dadurch zum Calcium-Lieferanten.<ref>{{Internetquelle |url=https://cookingissues.com/2011/03/09/mesoamerican-miracle-megapost-tortillas-and-nixtamalization/ |titel=Mesoamerican Miracle Megapost: Tortillas and Nixtamalization – Cooking Issues |sprache=en-US |abruf=2022-11-02}}</ref>
 
== Sicherheitshinweise ==
 
Gebrannter (ungelöschter) Kalk ([[Calciumoxid]], Branntkalk) und gelöschter Kalk sind reizend, Kontakt mit den Augen kann zu ernsten Augenschäden führen. Eine wässrige Calciumhydroxid-Lösung ist alkalisch und schwach ätzend. Ungelöschter Kalk kann unter Wasserzufuhr aufgrund Hitzeentwicklung Brände verursachen.
 
== Historisches ==
Für die [[exotherme Reaktion]] des Löschkalks wurden von der [[Antike]] bis in die [[Frühe Neuzeit]] unterschiedliche Erklärungen gefunden. Der [[Kirchenvater]] [[Augustinus von Hippo]] (354–430) sah das Phänomen in seinem „[[De civitate Dei|Gottesstaat]]“ (21, 4) als Art [[Gottesbeweis]] an.
 
Die [[exotherme Reaktion]] des Löschkalks galt von der [[Antike]] bis in die [[Frühe Neuzeit]] als eines der größten alltäglichen RätselVitruv und fand die unterschiedlichsten Erklärungen: Während der [[Kirchenvater]] [[Augustinus von Hippo]] (354–430) in seinem „[[De civitate Dei|Gottesstaat]]“ (21, 4) das Phänomen als eine Art [[Gottesbeweis]] ansieht, bemühten sich die [[Naturphilosophie|Naturphilosophen]] dasfanden Phänomenfolgende nach ihren jeweiligen Vorstellungen zu deuten.Deutungen:<ref>Felix Henke/Laura Thiemann, ''Vitruv über Stuck und Putz – die relevanten Passagen der ‚decem libri de architectura‘'', in: ''Firmitas et Splendor. Vitruv und die Techniken des Wanddekors'' ([https://www.arc.ed.tum.de/fileadmin/w00cgv/rkk/media_rkk/bilder/Vitruv/hauptseite/Vitruv_RKK_TUM_Online.pdf ''pdf-Datei'']), hrsg. von Erwin Emmerling, [[Andreas Grüner]] et al., München 2014 (Studien aus dem Lehrstuhl für Restaurierung, [[Technische Universität München]], Fakultät für Architektur) ISBN 978-3-935643-62-7 ([https://www.arc.ed.tum.de/fileadmin/w00cgv/rkk/media_rkk/bilder/Vitruv/hauptseite/Vitruv_RKK_TUM_Online.pdf online]), S. 13–125, dort S. 55.</ref>
Als prominente Beispiele sind zu nennen:
 
=== Seneca der Jüngere und die Stoa ===
 
Entsprechend der [[Stoa|stoischen Kosmologie]] deutete der römische Philosoph [[Seneca|Seneca der Jüngere]] († 65 n. Chr.) das Kalklöschen entsprechend der [[Vier-Elemente-Lehre]] des [[Aristoteles]]. Das [[Calciumoxid]] ist für ihn nach dem Brennen eine Art „feuriger Stein“, welcher die Hitze an das ihn durchdringende Wasser abgibt.<ref>[[Thomas Reiser]]: ''Das Kalklöschen nach antiken und rinascimentalen Materietheorien. Anmerkungen zu Vitruv 2, 2 und 2, 5. Von Cesariano und Barbaro zur Fehde Scaligers mit Cardano'', in: ''Firmitas et Splendor'' (2014), S. 299–319, dort S. 303–304.</ref>
 
=== Vitruv und die antike Baustoffkunde ===
Der antike Baumeister [[Vitruv]] formuliert im 2. Buch seiner um 30 vor Chr. verfassten „Zehn Bücher über Architektur“ eine dem Verständnis seiner Zeit entsprechende [[Baustoffkunde]]. Dort bemüht er sich im 2. und 5. Abschnitt auch um eine schlüssige Erklärung des Kalklöschens. Hierfür verbindet er die griechische [[Atomistik]] eines [[Demokrit]] und [[Epikur]] mit den geometrischen Materiemodellen eines [[Pythagoras]] zu einer gänzlich eigenen Materietheorie: Für Vitruv besteht die Welt sowohl aus „[[Atomistik|Atomen]]“ und [[Vakuum]] (nach Demokrit/Epikur) als auch aus vier Elementen, die jedoch (nach Pythagoras) geometrische Körper sind. Daher sind für ihn die „Atome“ mit den [[Pythagoreischer Körper|Pythagoreischen Körpern]] identisch und bewegen sich im leeren Raum. Beim Kalkbrennen verlassen den als Gitterstruktur aus [[Pythagoreischer Körper|Pythagoreischen Körpern]] gedachten Kalkstein die „Wasser- und Luftatome“, so dass „Löcher“ entstehen. Vitruv erklärt so den Gewichtsverlust beim Brennen. „Feueratome“ dagegen werden eingelagert. Beim Löschen dringen „Wasseratome“ durch die „Löcher“ in den Kalkbrocken ein und das eingelagerte „Feuer“ entweicht. Da das Material an sich unverändert bleibt, geschieht die Haftung des Sandes im Mörtel allein durch die so entstandenen Poren. Während diese Erklärung für die reine Baupraxis ausreichte, gab die Inkompatibilität der von [[Vitruv]] kombinierten Systeme – die [[Atomistik]] kennt keine geometrisch unterschiedlichen, bausteinartigen „Atomkörper“ – gerade den sich auf ihn berufenden Architekturtheoretikern der Renaissance, wie [[Cesare Cesariano]] und [[Daniele Barbaro]], zusätzliche Rätsel auf.<ref>Felix Henke/Laura Thiemann, ''Vitruv über Stuck und Putz – die relevanten Passagen der ‚decem libri de architectura‘'', in: ''Firmitas et Splendor. Vitruv und die Techniken des Wanddekors'' ([https://www.arc.ed.tum.de/fileadmin/w00cgv/rkk/media_rkk/bilder/Vitruv/hauptseite/Vitruv_RKK_TUM_Online.pdf ''pdf-Datei'']), hrsg. von [[Erwin Emmerling]], [[Andreas Grüner]] et al., München 2014 (Studien aus dem Lehrstuhl für Restaurierung, [[Technische Universität München]], Fakultät für Architektur) ISBN 978-3-935643-62-7, S. 13–125, dort S. 57–59</ref><ref>[[Thomas Reiser]]: ''Das Kalklöschen nach antiken und rinascimentalen Materietheorien. Anmerkungen zu Vitruv 2, 2 und 2, 5. Von Cesariano und Barbaro zur Fehde Scaligers mit Cardano'', in: ''Firmitas et Splendor'' (2014), S. 299–319, dort S. 306–312.</ref>
 
Der antike Baumeister [[Vitruv]] formuliert im 2. Buch seiner um 30 vor Chr. verfassten „Zehn Bücher über Architektur“ eine dem Verständnis seiner Zeit entsprechende [[Baustoffkunde]]. Dort bemüht er sich im 2. und 5. Abschnitt auch um eine schlüssige Erklärung des Kalklöschens. Hierfür verbindet er die griechische [[Atomistik]] eines [[Demokrit]] und [[Epikur]] mit den geometrischen Materiemodellen eines [[Pythagoras]] zu einer gänzlich eigenen Materietheorie: Für Vitruv besteht die Welt sowohl aus „[[Atomistik|Atomen]]“ und [[Vakuum]] (nach Demokrit/Epikur) als auch aus vier Elementen, die jedoch (nach Pythagoras) geometrische Körper sind. Daher sind für ihn die „Atome“ mit den [[Pythagoreischer Körper|Pythagoreischen Körpern]] identisch und bewegen sich im leeren Raum.
Beim Kalkbrennen verlassen den als Gitterstruktur aus [[Pythagoreischer Körper|Pythagoreischen Körpern]] gedachten Kalkstein die „Wasser- und Luftatome“, so dass „Löcher“ entstehen. [[Vitruv]] erklärt so den Gewichtsverlust beim Brennen. „Feueratome“ dagegen werden eingelagert. Beim Löschen dringen „Wasseratome“ durch die „Löcher“ in den Kalkbrocken ein und das eingelagerte „Feuer“ entweicht. Da das Material an sich unverändert bleibt, geschieht die Haftung des Sandes im Mörtel allein durch die so entstandenen Poren.
Während diese Erklärung für die reine Baupraxis ausreichte, gab die Inkompatibilität der von [[Vitruv]] kombinierten Systeme – die [[Atomistik]] kennt keine geometrisch unterschiedlichen, bausteinartigen „Atomkörper“ – gerade den sich auf ihn berufenden Architekturtheoretikern der Renaissance, wie [[Cesare Cesariano]] und [[Daniele Barbaro]], zusätzliche Rätsel auf.<ref>Felix Henke/Laura Thiemann, ''Vitruv über Stuck und Putz – die relevanten Passagen der ‚decem libri de architectura‘'', in: ''Firmitas et Splendor. Vitruv und die Techniken des Wanddekors'', hrsg. von [[Erwin Emmerling]], [[Andreas Grüner]] et al., München 2014 (Studien aus dem Lehrstuhl für Restaurierung, [[Technische Universität München]], Fakultät für Architektur) ISBN 978-3-935643-62-7, S. 13–125, dort S. 57–59</ref><ref>[[Thomas Reiser]]: ''Das Kalklöschen nach antiken und rinascimentalen Materietheorien. Anmerkungen zu Vitruv 2, 2 und 2, 5. Von Cesariano und Barbaro zur Fehde Scaligers mit Cardano'', in: ''Firmitas et Splendor'' (2014), S. 299–319, dort S. 306–312.</ref>
 
=== Scaliger und Cardano ===
 
Im 16. Jahrhundert führen zwei der größten [[Universalgelehrter|Universalgelehrten]] ihrer Zeit, [[Julius Caesar Scaliger]] und [[Gerolamo Cardano]], über mehrere Jahre und Buchpublikationen hinweg, eine Fehde über die exakte Beschaffenheit der Welt. Während Gerolamo Cardano die Materie als unendliches Kontinuum ansah, das lediglich von Ort zu Ort in seiner „Dichte“ variierte, vertrat [[Julius Caesar Scaliger|Scaliger]] die Ansicht, das „[[Vakuum]]“ sei für den Kosmos bestimmend und die Ursache aller Bewegung. In seinem gegen den Widersacher gerichteten Hauptwerk ''De subtilitate ad Cardanum'' (1557) legt Scaliger dieses MaterieverständinisMaterieverständnis einleitend (''Exercitatio, 5,8–9'') an nichts anderem dar als am „Rätsel des Löschkalks“: Da beim Kalklöschen der Kalkbrocken Wasser in sich aufnimmt, können seine Poren nur „Vakuum“ enthalten, da „Luft“ nicht vor diesem nach oben entweichen könne, da sie sofort an andere „Luft“ stieße und so blockiert würde.<ref>[[Thomas Reiser]]: ''Das Kalklöschen nach antiken und rinascimentalen Materietheorien. Anmerkungen zu Vitruv 2, 2 und 2, 5. Von Cesariano und Barbaro zur Fehde Scaligers mit Cardano'', in: ''Firmitas et Splendor'' (2014), S. 299–319, dort S. 314–317.</ref>
 
== Sicherheitshinweise ==
Gelöschter Kalk (Calciumhydroxid) ist reizend, der Kontakt mit den Augen kann zu ernsten Augenschäden führen.<ref name="GESTIS" /> Eine wässrige Lösung von gelöschtem Kalk ist [[alkalisch]] und schwach ätzend.<ref name="GESTIS" />
 
== Einzelnachweise ==