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Dieter Wellershoff“ – Bearbeiten

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„Wie die meisten Schriftsteller seiner ‚skeptisch‘ genannten Generation ist auch Wellershoff durch den Zweiten Weltkrieg geprägt. Doch anders als Böll, den er als Lektor betreute, leitete er daraus nie die Verpflichtung zum mahnenden Fingerzeig ab. Wellershoff wollte – ähnlich wie die Vertreter des Nouveau Roman – lieber zeigen, was ist, als zu erklären, wie es sein sollte. ‚Literatur war für mich weder ein Transportmittel für moralische Erziehungsziele oder politische Ideen noch das dazugehörige Gegenteil eines exklusiven, von der Realität abgekoppelten Sprach- und Formenspiels‘.“<ref>Gisa Funk: ''Das doppelt belichtete Leben.'' In: ''FAZ'', 29. Oktober 2007, S. 34.</ref> Jede Ideologie ist Wellershoff nach dem Massenwahnsinn des Nationalsozialismus zutiefst verdächtig und alles Moralisieren auch. Der vorurteilsfreie individuelle Blick auf die Lebenswirklichkeit zählt, das Schreiben als Existenzform, um die Welt in ihrer Fremdheit zu erkunden und dabei seinen Platz in ihr zu suchen. Kunst als verspielter Selbstzweck oder transzendente Sinnstiftung hat da keinen Platz.
„Wie die meisten Schriftsteller seiner ‚skeptisch‘ genannten Generation ist auch Wellershoff durch den Zweiten Weltkrieg geprägt. Doch anders als Böll, den er als Lektor betreute, leitete er daraus nie die Verpflichtung zum mahnenden Fingerzeig ab. Wellershoff wollte – ähnlich wie die Vertreter des Nouveau Roman – lieber zeigen, was ist, als zu erklären, wie es sein sollte. ‚Literatur war für mich weder ein Transportmittel für moralische Erziehungsziele oder politische Ideen noch das dazugehörige Gegenteil eines exklusiven, von der Realität abgekoppelten Sprach- und Formenspiels‘.“<ref>Gisa Funk: ''Das doppelt belichtete Leben.'' In: ''FAZ'', 29. Oktober 2007, S. 34.</ref> Jede Ideologie ist Wellershoff nach dem Massenwahnsinn des Nationalsozialismus zutiefst verdächtig und alles Moralisieren auch. Der vorurteilsfreie individuelle Blick auf die Lebenswirklichkeit zählt, das Schreiben als Existenzform, um die Welt in ihrer Fremdheit zu erkunden und dabei seinen Platz in ihr zu suchen. Kunst als verspielter Selbstzweck oder transzendente Sinnstiftung hat da keinen Platz.


Alles kann in den Romanen und Erzählungen von Wellershoff passieren, eine Sexszene schlägt unvermittelt in einen Totschlag um, der Leser muss gefasst sein „Selbstmörder, Mörder, Leute, die beruflich scheitern, Projektemacher, die in die Falle ihrer eigenen Fantasie gehen, andere, die stecken bleiben in einem falschen Leben“ zu treffen, merkte Dirk Knipphals an. Er sieht bei Wellershoff eine „Lebensverliebtheit“: „Es gibt in seinen Büchern auch einen Sog der Verführung zum Leben hin, dazu, dieses Spiel auf Leben und Tod als Herausforderung und Abenteuer zu begreifen“<ref name="Knipphals" /> – vermutlich könnte man sogar noch einen draufsetzen und sagen, dieses Spiel „zu begrüßen“. Ein Indiz für die „Lebensverliebtheit“ seien „die vielen amourösen Verwicklungen, die seine Romane und Erzählungen durchziehen“. Der Kritiker [[Marcel Reich-Ranicki]] bewertete die amourösen Verwicklungen in dem Roman ''Der Liebeswunsch'' wie folgt: „Ich habe selten erlebt – in unserer zeitgenössischen Literatur, dass Liebe so vergegenwärtigt wird“.<ref>[https://www.amazon.de/Liebeswunsch-Roman-Dieter-Wellershoff/dp/3462029398 Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett, ohne Datumsangabe]</ref>
Alles kann in den Romanen und Erzählungen von Wellershoff passieren, eine Sexszene schlägt unvermittelt in einen Totschlag um, der Leser muss gefasst sein „Selbstmörder, Mörder, Leute, die beruflich scheitern, Projektemacher, die in die Falle ihrer eigenen Fantasie gehen, andere, die stecken bleiben in einem falschen Leben“ zu treffen, merkte Dirk Knipphals an, der Wellershoff gleichzeitig eine „Lebensverliebtheit“ bescheinigt und feststellt: „Es gibt in seinen Büchern auch einen Sog der Verführung zum Leben hin, dazu, dieses Spiel auf Leben und Tod als Herausforderung und Abenteuer zu begreifen“<ref name="Knipphals" /> – vermutlich könnte man sogar noch einen draufsetzen und sagen, dieses Spiel 'zu begrüßen'. Als ein Indiz für die „Lebensverliebtheit“ sieht er "die vielen amourösen Verwicklungen, die seine Romane und Erzählungen durchziehen". Der Kritiker [[Marcel Reich-Ranicki]] bewertete die amourösen Verwicklungen in dem Roman ''Der Liebeswunsch'' wie folgt: „Ich habe selten erlebt – in unserer zeitgenössischen Literatur, dass Liebe so vergegenwärtigt wird“.<ref>[https://www.amazon.de/Liebeswunsch-Roman-Dieter-Wellershoff/dp/3462029398 Marcel Reich-Ranicki im Literarischen Quartett, ohne Datumsangabe]</ref>


Aber bei Wellershoff kann sich keine seiner Figuren „des Erreichten je sicher sein, es gibt bei ihm immer Punkte, die ihre Liebe und sogar ihr Leben von innen her bedrohen.“<ref name="Knipphals" /> In einer bemerkenswerten Parallelisierung der Kriegserfahrung Wellershoffs und der Geschichten, die er schreibt, führte Knipphals aus: „Man meint die Granate, die den 19-jährigen Wellershoff im Oktober 1944 bei einem sinnlosen Gegenangriff auf die russischen Stellungen schwer verletzte … in allen seinen Büchern noch pfeifen zu hören. Sie kann gleichsam ständig einschlagen, selbst noch … während eines ganz harmlosen Partygesprächs, eine Bemerkung genügt da manchmal, um eine ganze Ehe und damit ein ganzes Leben zu zerstören. … Wellershoff selbst hat das einmal als den 'vulkanischen' Gehalt seiner Bücher bezeichnet.“<ref name="Knipphals" />
Aber bei Wellershoff kann sich keine seiner Figuren „des Erreichten je sicher sein, es gibt bei ihm immer Punkte, die ihre Liebe und sogar ihr Leben von innen her bedrohen.“<ref name="Knipphals" /> In einer bemerkenswerten Parallelisierung der Kriegserfahrung Wellershoffs und der Geschichten, die er schreibt, führte Knipphals aus: „Man meint die Granate, die den 19-jährigen Wellershoff im Oktober 1944 bei einem sinnlosen Gegenangriff auf die russischen Stellungen schwer verletzte … in allen seinen Büchern noch pfeifen zu hören. Sie kann gleichsam ständig einschlagen, selbst noch … während eines ganz harmlosen Partygesprächs, eine Bemerkung genügt da manchmal, um eine ganze Ehe und damit ein ganzes Leben zu zerstören. … Wellershoff selbst hat das einmal als den 'vulkanischen' Gehalt seiner Bücher bezeichnet.“<ref name="Knipphals" />
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[[Datei:Wellershoff-Gesamtausgabe von 1996 und 2011.jpg|mini|Die neunbändige Wellershoff-Gesamtausgabe von 1996/2011 umfasst fast 8000 Seiten – ohne die Bücher, die er danach noch geschrieben hat.]]Im Folgenden untersuchen Joke und Petra Frerichs das literarische Werk unter dem Motto „Leben braucht keine Begründung“: Dieter Wellershoff zeigt am Beispiel der Lebenswege seiner Protagonisten ein ganzes Spektrum an Lebensmöglichkeiten auf; vor allem aber: wie prekär die gesellschaftlichen Verhältnisse sind, in denen sie agieren. Da ist das praktische Leben, der Alltag, der Anpassung und Einsicht in das Notwendige erzwingt; da sind die Tugenden, die man durch Erziehung, Sozialisation und Gewohnheit erwirbt. Und da ist die Welt der Gefühle, der Liebe, der Sexualität, für die in den gewohnten Alltagsabläufen oft nicht genügend Zeit bleibt, so dass die Phantasien, Träume oder Sehnsüchte als ungelebtes Leben zurückkehren. Wellershoff zeigt, wie sie ihre Wirkung entfalten und beginnen, ein Eigenleben zu führen; wie sie als Verdrängtes und Unbewusstes fortleben und durch unvorhersehbare Ereignisse aktualisiert werden; inwieweit sie als menschliche Regungen Realität erlangen oder umgebogen werden und in Pathologien oder Aggressionen münden. In Wellershoffs Werken werden mögliche und widersprüchliche Handlungsoptionen aufgezeigt und als virtuelle Lebensentwürfe durchgespielt. Dadurch erweitert sich der Horizont unserer Wahrnehmungen und Einsichten. Man könnte von einem Grundthema Wellershoffs sprechen, dem er in allen möglichen Verzweigungen und Konstellationen nachspürt.
[[Datei:Wellershoff-Gesamtausgabe von 1996 und 2011.jpg|mini|Die neunbändige Wellershoff-Gesamtausgabe von 1996/2011 umfasst fast 8000 Seiten – ohne die Bücher, die er danach noch geschrieben hat.]]Im Folgenden untersuchen Joke und Petra Frerichs das literarische Werk unter dem Motto „Leben braucht keine Begründung“: Dieter Wellershoff zeigt am Beispiel der Lebenswege seiner Protagonisten ein ganzes Spektrum an Lebensmöglichkeiten auf; vor allem aber: wie prekär die gesellschaftlichen Verhältnisse sind, in denen sie agieren. Da ist das praktische Leben, der Alltag, der Anpassung und Einsicht in das Notwendige erzwingt; da sind die Tugenden, die man durch Erziehung, Sozialisation und Gewohnheit erwirbt. Und da ist die Welt der Gefühle, der Liebe, der Sexualität, für die in den gewohnten Alltagsabläufen oft nicht genügend Zeit bleibt, so dass die Phantasien, Träume oder Sehnsüchte als ungelebtes Leben zurückkehren. Wellershoff zeigt, wie sie ihre Wirkung entfalten und beginnen, ein Eigenleben zu führen; wie sie als Verdrängtes und Unbewusstes fortleben und durch unvorhersehbare Ereignisse aktualisiert werden; inwieweit sie als menschliche Regungen Realität erlangen oder umgebogen werden und in Pathologien oder Aggressionen münden. In Wellershoffs Werken werden mögliche und widersprüchliche Handlungsoptionen aufgezeigt und als virtuelle Lebensentwürfe durchgespielt. Dadurch erweitert sich der Horizont unserer Wahrnehmungen und Einsichten. Man könnte von einem Grundthema Wellershoffs sprechen, dem er in allen möglichen Verzweigungen und Konstellationen nachspürt.


Gesellschaftliche und individuelle Krisen sind für Wellershoff der Normalfall. Krisensituationen enthalten dadurch einen besonderen Erkenntniswert, weil sie Erfahrungserweiterungen ermöglichen; gleichzeitig zeugen sie von den Gefährdungen, denen unser Dasein ausgesetzt ist. Ob sie zum Ausbruch kommen, ist eine Frage oft zufälliger Ereignisse und Konstellationen. Kontingenz wäre der passende Begriff, um die Grundsituation des Menschen in der modernen Gesellschaft zu charakterisieren: Es gibt immer mehr Möglichkeiten, als sich realisieren lassen. Die Menschen müssen eine Wahl treffen, und oft durchschauen sie die Umstände, unter denen sie handeln, nicht. Seine Figuren gehen oft in die Falle ihrer eigenen Phantasien, von Illusionen und Leidenschaften angetrieben, und häufig spielt der Zufall die entscheidende Rolle.
Gesellschaftliche und individuelle Krisen sind für Wellershoff der Normalfall. Krisensituationen enthalten dadurch einen besonderen Erkenntniswert, weil sie Erfahrungserweiterungen ermöglichen; aber gleichzeitig zeugen sie von den Gefährdungen, denen unser Dasein ausgesetzt ist. Ob sie zum Ausbruch kommen, ist eine Frage oft zufälliger Ereignisse und Konstellationen. Kontingenz wäre der passende Begriff, um die Grundsituation des Menschen in der modernen Gesellschaft zu charakterisieren: Es gibt immer mehr Möglichkeiten, als sich realisieren lassen. Die Menschen müssen eine Wahl treffen, und oft durchschauen sie die Umstände, unter denen sie handeln, nicht. Seine Figuren gehen oft in die Falle ihrer eigenen Phantasien, von Illusionen und Leidenschaften angetrieben, und häufig spielt der Zufall die entscheidende Rolle.


Wellershoff sieht in der Literatur ein Medium der Erweiterung und Vertiefung der Wahrnehmung unseres Lebens. In immer neuen Variationen spielt er die fragilen Lebenssituationen durch, denen seine Protagonisten ausgesetzt sind. Ihr Alltagsleben ist von Routinen, Gleichförmigkeit, Apathie, Wiederholung und Langeweile geprägt und sie versuchen, diesem Gehäuse der Hörigkeit (Weber) zu entkommen. Aber die meisten scheitern bei dem Versuch, aus ihrem Alltag auszubrechen. Wellershoff führt uns die Möglichkeit alternativer Lebenskonzepte vor und auch die Gründe für das Scheitern seiner Figuren: Gerade die moderne Gesellschaft mit ihren Freiheitsversprechen und Konsumangeboten weckt ein Übermaß an Ansprüchen und Wünschen, vor denen die Menschen in Phantasie- und Traumwelten flüchten, weil ihnen sehr oft die Mittel fehlen, ihre Sehnsüchte nach einem geglückten Leben zu verwirklichen. Dann enden sie wieder da, wo sie begannen: im Schutzraum der alltäglichen Gewohnheiten und Routinen, die ihnen immerhin ein Mindestmaß an Sicherheit und Vertrautheit bieten.<ref>Abschnitt nach Joke und Petra Frerichs. Petra ist Abschnittsautor (s. Literatur)</ref>
Wellershoff sieht in der Literatur ein Medium der Erweiterung und Vertiefung der Wahrnehmung unseres Lebens. In immer neuen Variationen spielt er die fragilen Lebenssituationen durch, denen seine Protagonisten ausgesetzt sind. Ihr Alltagsleben ist von Routinen, Gleichförmigkeit, Apathie, Wiederholung und Langeweile geprägt und sie versuchen, diesem Gehäuse der Hörigkeit (Weber) zu entkommen. Aber die meisten scheitern bei dem Versuch, aus ihrem Alltag auszubrechen. Wellershoff führt uns die Möglichkeit alternativer Lebenskonzepte vor, aber gleichzeitig auch die Gründe für das Scheitern seiner Figuren: Gerade die moderne Gesellschaft mit ihren Freiheitsversprechen und Konsumangeboten weckt ein Übermaß an Ansprüchen und Wünschen, vor denen die Menschen in Phantasie- und Traumwelten flüchten, weil ihnen sehr oft die Mittel fehlen, ihre Sehnsüchte nach einem geglückten Leben zu verwirklichen. Dann enden sie wieder da, wo sie begannen: im Schutzraum der alltäglichen Gewohnheiten und Routinen, die ihnen immerhin ein Mindestmaß an Sicherheit und Vertrautheit bieten.<ref>Abschnitt nach Joke und Petra Frerichs. Petra ist Abschnittsautor (s. Literatur)</ref>


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