Als '''Katzendreckgestank-Affäre''' wird ein Grenzkonflikt bezeichnet, der seit Mitte der 1970er Jahre in den nordöstlichen Regionen [[Bayern|Bayerns]]s durch [[Gestank|Geruchsbelästigungen]] ausgelöst wurde, die von Industrieanlagen in der [[Tschechoslowakei]] und der [[Deutsche Demokratische Republik|DDR]] westwärts in diedas [[Zonenrandgebiet]] der [[Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (bis 1990)|Bundesrepublik Deutschland]] herüberwehten. Der unangenehme Geruch, der in der öffentlichen Auseinandersetzung als „Katzendreckgestank“ bezeichnet wurde, führte auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei vielen Bewohnern im [[Dreiländereck (Bayern, Sachsen, Tschechien)|Dreiländereck]], wobei nur von Seiten der Bundesrepublik kritisch über das Umweltproblem berichtet wurde.
Die Katzendreckgestank-Affäre wuchs sich in den 1980er Jahren zu einem „Konflikt von landesweiter, nationaler, interregionaler und sogar trans- und internationaler Dimension“<ref name="Mrozek312">Bodo Mrozek,, Doubravka Olšáková: ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989''. In: [[''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte|VfZ]] 71.'' (2023)Band 71, Heft 2, 2023, S. 311–349, hier S. 312.</ref> aus. Erst ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurden Maßnahmen zur [[Desodorierung]] ergriffen, die langfristig zu einer Verbesserung der Luftqualität führten. Dennoch traten gelegentliche Geruchsbelästigungen aus dem nordböhmischen Industrierevier im [[Erzgebirge]] auch noch [[Geruchsbelastung im Erzgebirge und Vogtland|in den letzten Jahren]] auf.
== Begriff ==
Die erste Erwähnung des Begriffs „Katzendreck“ geht auf die Fernsehsendung „[[Jetzt red i]]“ vom 27. Juli 1977 mit [[Franz Schönhuber]] als Moderator zurück, in der ein Umweltaktivist den Satz: „Bei uns stinkt’s und uns stinkt es! […] Und zwar ganz ordinär nach Katzendreck“<ref name="Mrozek311">Bodo Mrozek,, Doubravka Olšáková: ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989''. In: [[''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte|VfZ]] 71.'' (2023)Band 71, Heft 2, 2023, S. 311–349, hier S. 311.</ref> äußerte. Die Stichworte „Katzendreck“ oder „Katzendreckgestank“ wurden bald darauf auch zur gängigen Bezeichnung sowohl in den Medien<ref name="Eckert200">Astrid M. Eckert: ''Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang''. Berlin 2022, S. 200 f.</ref> als auch bei den mit der Angelegenheit befassten Behörden und Ämtern.<ref name="Mrozek311" />
== Geruchsbelästigungen und gesundheitliche Folgen ==
Erste Meldungen über die Geruchsbelästigungen sind vom Oktober 1976 aus [[Oberfranken]], der [[Oberpfalz]], dem [[Sechsämterland]] und dem [[Fichtelgebirge]] überliefert, deren Intensität im Laufe des Jahres 1977 zunahm. In den folgenden Jahren waren besonders die Städte und Gemeinden [[Arzberg (Oberfranken)|Arzberg]], [[Hof (Saale)|Hof]], [[Hohenberg an der Eger]], [[Kirchenlamitz]], [[Marktredwitz]], [[Schirnding]], [[Schönwald (Bayern)|Schönwald]], [[Schwarzenbach an der Saale]], [[Tirschenreuth]], [[Töpen]], [[Waldsassen]] und [[Wunsiedel]] betroffen. Räumlich erstreckten sich die Beschwerden in Bayern über ein Gebiet von etwa 100 mal 30 Kilometern, in dem rund 100.000 Menschen lebten.<ref name="Mrozek321">Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989''. In: [[''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte|VfZ]] 71.'' (2023)Band 71, Heft 2, 2023, S. 311–349, hier S. 321 f.</ref>
Die Beschwerden häuften sich besonders bei einer Wetterlage mit Wind aus östlicher Richtung, was darauf hindeutete, dass die Geruchsbelästigung aus der DDR oder der Tschechoslowakei stammte.<ref name="Mrozek313" /> Die bundesdeutschen Behörden fanden zudem heraus, dass sich sowohl die Bevölkerung in der DDR alsund auchebenso in der Tschechoslowakei über die Geruchsbelästigungen beklagte,<ref name="Mrozek313" /> zumal bei den vorherrschenden Westwinden die Emissionen häufiger in östlich gelegene Gebiete bis nach Polen geweht wurden.<ref>Astrid M. Eckert: ''Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang''. Berlin 2022, S. 201.</ref> In der DDR waren im [[Erzgebirge]] etwa 900.000 Menschen von massiven Geruchsbelästigungen betroffen, die auf einer Fläche von etwa 4000 km² lebten.<ref>Tobias Huff: ''Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR''. Göttingen 2015, S. 220.</ref>
Zwischen 1978 und 1979 wurden systematische Messungen und Erhebungen in der Bundesrepublik durchgeführt. Diese Messungen ergaben eine deutlich erhöhte Luftbelastung mit Schwefeldioxid.<ref>Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989''. In: [[''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte|VfZ]] 71.'' (2023)Band 71, Heft 2, 2023, S. 311–349, hier S. 318 ff.</ref> Aber nicht nur die Schwefeldioxid-Emissionen, sondern besonders die VerbindungVerbindungsklasse der [[Thiole|Mercaptane]] standenstand unter Verdacht, die Übelgerüche auszulösen.<ref name="Eckert200" />
Die verursachenden Betriebe des Gestanks auf dem Gebiet der Tschechoslowakei konnten nicht eindeutig identifiziert werden.<ref name="Mrozek337">Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989''. In: [[''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte|VfZ]] 71.'' (2023)Band 71, Heft 2, 2023, S. 311–349, hier S. 337 f.</ref> Vermutet wurden ein Braunkohlekraftwerk in [[Tisová (Nejdek)|Tisová]], das [[Hydrierwerk]] in [[Sokolov]], in dem durch Verkokungsprozesse besonders viel MercaptanMercaptane freigesetzt wurdewurden,<ref>Astrid M. Eckert: ''Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang''. Berlin 2022, S. 202.</ref> oder die Chemiewerke von [[Vřesová]] – alle etwa 40 km von der Grenze der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik Deutschland gelegen.
[[Datei:Bundesarchiv Bild 183-T1222-014, Blankenstein, Biologische Abwasserreinigungsanlage.jpg|mini|[[Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal]], Foto von 1978]]
Auf dem Gebiet der DDR konnte der [[Volkseigener Betrieb|Volkseigene Betrieb]] [[Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal]] in [[Blankenstein (Rosenthal am Rennsteig)|Blankenstein an der Saale]], dieder sich in Sichtweite der [[Innerdeutsche Grenze|innerdeutschen Grenze]] befand, als Verursacher erheblicher Emissionen ausgemacht werden.<ref name="Mrozek323">Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989''. In: [[''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte|VfZ]] .'' Band 71 (2023), Heft 2, 2023, S. 311–349, hier S. 323 ff.</ref> Im Herbst 1979 wurden im nahegelegenen bayerischen [[Lichtenberg (Oberfranken)|Lichtenberg]] Verätzungen an Pferdenüstern festgestellt, die von der hohen Belastung mit Schwefeldioxid herrührten.<ref name="Eckert200" /> Außerdem emittierte die Fabrik auch große Mengen an Staub.<ref name="Mrozek337" />
Die betroffenen Bewohner in Nordbayern gaben gesundheitliche Beeinträchtigungen an, wobei die Symptome von Schlaflosigkeit, Luftmangel und Herzklopfen bis hin zu Entzündungen der Atemwege reichten. Weitere Beschwerden umfassten vegetative Störungen wie Abgeschlagenheit, missmutig-depressive Verstimmungen und ein Gefühl der Verzweiflung.<ref name="Mrozek321" /> In einigen Fällen kam es sogar zu erheblichen physiologischen Reaktionen wie Erbrechen und Atembeschwerden.<ref name="Mrozek323" /> Über die Belastungen in der Tschechoslowakei erhielt der Bundesnachrichtendienst (BND) 1983 Informationen, wonach dort eine dramatische Umweltsituation mit einer verheerenden Schwefeldioxidbilanz bestehe, die zu einer verringerten Lebenserwartung, einer erhöhten Häufigkeit von Hautkrebs und Atemwegserkrankungen führte.<ref name="Mrozek337" />
Außerdem wurdewurden durch die Schadstoffemissionen die regionalen Wälder erheblich geschädigt, was seit 1981 untermit dem Begriff [[Waldsterben]] firmiertebezeichnet wurde.<ref name="Eckert200" />
== Diplomatischer Konflikt ==
Die Katzendreckgestank-Affäre entwickelte sich seit Ende der 1970er Jahre zu einem langjährigen diplomatischen Konflikt. Im März 1978 hatte das [[Auswärtiges Amt|Auswärtige Amt]] die „geruchsintensiven Emissionen“ sowohl über die Botschaft in Prag als auch bei einem Treffen von Bundesaußenminister [[Hans-Dietrich Genscher]] mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei [[Gustáv Husák]] erstmals zur Sprache gebracht. Allerdings bestritt die tschechoslowakische Seite lange, die Emissionen hätten dort ihren Ursprung. Wichtige bundesdeutsche Akteure in der sich über Jahre hinziehenden Auseinandersetzung und Verhandlungen waren außerdem die Bundeskanzler [[Helmut Schmidt]] und [[Helmut Kohl]] sowie der bayerische Ministerpräsident [[Franz Josef Strauß]].<ref>Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989''. In: [[''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte|VfZ]] 71.'' (2023)Band 71, Heft 2, 2023, S. 311–349, hier S. 329–337.</ref>
In den 1980er Jahren, einer Zeit, in der das [[Waldsterben]], [[Smog]] und [[saurer Regen]] verstärkt als gravierende Umweltprobleme wahrgenommen wurden, rückte die Katzendreckgestank-Affäre verstärkt in den FokusBlickpunkt der politischen Diskussion. Im März 1982 wurde das Problem auf Bundesebene prominent durch eine Kleine Anfrage einer Gruppe von 32 Bundestagsabgeordneten der Fraktion von CDU und CSU thematisiert.<ref name="Mrozek323" /> Zu dieser Zeit steckten [[Luftreinhaltung#Internationale Maßnahmen|nationale und internationale Umweltschutzauflagen zur Luftreinhaltung]] auf allen beteiligten Seiten noch in den Anfängen und konnten nur unzureichend durchgesetzt werden.<ref name="Mrozek323" />
Der fortwährende zivilgesellschaftliche Druck von Umweltorganisationen gepaart mit der internationalen Dimension des Problems und der Einrichtung einer gemeinsamen Grenzkommission führten im Laufe der 1980er Jahre letztlich zu konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität und zur Minderung der Geruchsbelästigung.<ref>Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989''. In: [[''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte|VfZ]] 71.'' (2023)Band 71, Heft 2, 2023, S. 311–349, hier S. 327 f.</ref> 1987 wurde ein Umweltabkommen zwischen der BRDBundesrepublik Deutschland und der Tschechoslowakei geschlossen, das unter anderem auch eine intensivere Kooperation zwischen der BRDBundesrepublik Deutschland und der DDR beinhaltete. Die Papierfabrik Blankenstein wurde ab 1980 in mehreren Schritten modernisiert, sodass laut bayerischer Landesregierung die Schwefeldioxid-Emissionen seit 1984 spürbar zurückgegangen sind.<ref>Astrid M. Eckert: ''Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang''. Berlin 2022, S. 206.</ref> In den 1990er Jahren wurde das Werk umfassend saniert und produziert bis heute Zellstoff – inzwischen weitgehend ohne Geruchsemissionen. Bis in2019 die letzten Jahre wirdwurde immer noch über [[Geruchsbelastung im Erzgebirge und Vogtland|Geruchsbelastungen]] im Erzgebirge berichtet, die weiterhin vermutlich aus dem nordböhmischen Industrierevier nach Sachsen herüberwehenherüberwehten.<ref>Bernhard Honnigfort: [https://www.fr.de/panorama/raetselhafte-gestank-erzgebirge-11060722.html ''Der rätselhafte Gestank im Erzgebirge'']. Online unterIn: ''[[Frankfurter Rundschau]]'', 8. Januar 2019, abgerufen 15. September 2024.</ref>
== Forschungsstand ==
Die Katzendreckgestank-Affäre gilt als ein Beispiel für [[Olfaktorische Wahrnehmung|olfaktorische Phänomene]] der Vergangenheit und der ''[[Sinnesgeschichte]]''.<ref name="Mrozek313" /> Während aus der Antike bis in insdas 19. Jahrhundert zahlreiche solcher Geruchskonflikte überliefert und sie dort ein „integraler Bestandteil der Stadt-, Medizin- und Kulturgeschichte“<ref name="Mrozek312"" /> sind, spielen sie in den Forschungen zur [[Zeitgeschichte]] bislang keine große Rolle. Im Gegensatz zu den verschiedenen Übelgerüchen im Zusammenhang der Industrialisierung im 19. Jahrhundert gilt das 20. Jahrhundert gemeinhin „als weitgehend geruchsneutral, ja sogar als das Säkulum einer wohlriechenden ‚Reodorierung‘“.<ref name="Mrozek313">Bodo Mrozek,, Doubravka Olšáková: ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989''. In: [[''Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte|VfZ]] 71.'' (2023)Band 71, Heft 2, 2023, S. 311–349, hier S. 313 ff.</ref> Die durch Industrie-Emissionen verursachte Katzendreckgestank-Affäre ist insofern ein Gegenbeispiel. Geruchskonflikte zeigten auch noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitreichende Folgen.
[[Bodo Mrozek]] und Doubravka Olšáková haben 2023 einen einschlägigen Aufsatz veröffentlicht. Auch in der Monographie ''Zonenrandgebiet'' widmet sich [[Astrid M. Eckert]] im Kapitel „Es liegt was in der Luft“ ausführlich dem Grenzkonflikt zum „Katzendreckgestand“„Katzendreckgestank“.<ref>Astrid M. Eckert: ''Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang''. Berlin 2022, S. 200-214200–214.</ref>
== Literatur ==
* [[Astrid M. Eckert]]: ''Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang''. Ch. Links Verlag, Berlin 2022., ISBN 978-3-96289-151-0
* Tobias Huff: ''Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR''. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2015, ISBN 978-3-525-31717-4
* [[Bodo Mrozek]], Doubravka Olšáková: [https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/vfzg-2023-0016/pdf?licenseType=free ''Die Katzendreckgestank-Affäre. Grenzüberschreitende Geruchskonflikte zwischen der Bundesrepublik, der ČSSR und der DDR 1976 bis 1989'']. In: ''[[Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte]],.'' Band 71 (2023), Heft 2, 2023, S. 311–349 ([https://www.degruyter.com/document/doi/10.1515/vfzg-2023-0016/pdf?licenseType=free online]).
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