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Katzendreckgestank-Affäre

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Als Katzendreckgestank-Affäre wird ein Grenzkonflikt bezeichnet, der seit Mitte der 1970er Jahre in den nordöstlichen Regionen Bayerns durch Geruchsbelästigungen ausgelöst wurde, die von Industrieanlagen in der Tschechoslowakei und der DDR westwärts in das Zonenrandgebiet der Bundesrepublik Deutschland herüberwehten. Der unangenehme Geruch, der in der öffentlichen Auseinandersetzung als „Katzendreckgestank“ bezeichnet wurde, führte auch zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei vielen Bewohnern im Dreiländereck, wobei nur von Seiten der Bundesrepublik kritisch über das Umweltproblem berichtet wurde.

Die Katzendreckgestank-Affäre wuchs sich in den 1980er Jahren zu einem „Konflikt von landesweiter, nationaler, interregionaler und sogar trans- und internationaler Dimension“[1] aus. Erst ab der zweiten Hälfte der 1980er Jahre wurden Maßnahmen zur Desodorierung ergriffen, die langfristig zu einer Verbesserung der Luftqualität führten. Dennoch traten gelegentliche Geruchsbelästigungen aus dem nordböhmischen Industrierevier im Erzgebirge auch noch in den letzten Jahren auf.

Begriff

Die erste Erwähnung des Begriffs „Katzendreck“ geht auf die Fernsehsendung „Jetzt red i“ vom 27. Juli 1977 mit Franz Schönhuber als Moderator zurück, in der ein Umweltaktivist den Satz: „Bei uns stinkt’s und uns stinkt es! […] Und zwar ganz ordinär nach Katzendreck“[2] äußerte. Die Stichworte „Katzendreck“ oder „Katzendreckgestank“ wurden bald darauf auch zur gängigen Bezeichnung sowohl in den Medien[3] als auch bei den mit der Angelegenheit befassten Behörden und Ämtern.[2]

Geruchsbelästigungen und gesundheitliche Folgen

Erste Meldungen über die Geruchsbelästigungen sind vom Oktober 1976 aus Oberfranken, der Oberpfalz, dem Sechsämterland und dem Fichtelgebirge überliefert, deren Intensität im Laufe des Jahres 1977 zunahm. In den folgenden Jahren waren besonders die Städte und Gemeinden Arzberg, Hof, Hohenberg an der Eger, Kirchenlamitz, Marktredwitz, Schirnding, Schönwald, Schwarzenbach an der Saale, Tirschenreuth, Töpen,Waldsassen und Wunsiedel. Räumlich erstreckten sich die Beschwerden in Bayern über ein Gebiet von etwa 100 mal 30 Kilometern, in dem rund 100.000 Menschen lebten.[4]

Die Beschwerden häuften sich besonders bei einer Wetterlage mit Wind aus östlicher Richtung, was darauf hindeutete, dass die Geruchsbelästigung aus der DDR oder der Tschechoslowakei stammte.[5] Die bundesdeutschen Behörden fanden zudem heraus, dass sich sowohl die Bevölkerung in der DDR als auch der Tschechoslowakei über die Geruchsbelästigungen beklagte,[5] zumal bei den vorherrschenden Westwinden die Emissionen häufiger in östlich gelegene Gebiete bis nach Polen geweht wurden.[6] In der DDR waren im Erzgebirge etwa 900.000 Menschen von massiven Geruchsbelästigungen betroffen, die auf einer Fläche von etwa 4000 km² lebten.[7]

Zwischen 1978 und 1979 wurden systematische Messungen und Erhebungen in der Bundesrepublik durchgeführt. Diese Messungen ergaben eine deutlich erhöhte Luftbelastung mit Schwefeldioxid.[8] Aber nicht nur die Schwefeldioxid-Emissionen, sondern besonders die Verbindung Mercaptane standen unter Verdacht, die Übelgerüche auszulösen.[3]

Die verursachenden Betriebe des Gestanks auf dem Gebiet der Tschechoslowakei konnten nicht eindeutig identifiziert werden.[9] Vermutet wurden ein Braunkohlekraftwerk in Tisová, das Hydrierwerk in Sokolov, in dem durch Verkokungsprozesse besonders viel Mercaptan freigesetzt wurde,[10] oder die Chemiewerke von Vřesová – alle etwa 40 km von der Grenze der Tschechoslowakei und der Bundesrepublik Deutschland gelegen.

 
Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal, Foto von 1978

Auf dem Gebiet der DDR konnte der Volkseigene Betrieb Zellstoff- und Papierfabrik Rosenthal in Blankenstein an der Saale, die sich in Sichtweite der innerdeutschen Grenze befand, als Verursacher erheblicher Emissionen ausgemacht werden.[11] Im Herbst 1979 wurden im nahegelegenen bayerischen Lichtenberg Verätzungen an Pferdenüstern festgestellt, die von der hohen Belastung mit Schwefeldioxid herrührten.[3] Außerdem emittierte die Fabrik auch große Mengen an Staub.[9]

Die betroffenen Bewohner in Nordbayern gaben gesundheitliche Beeinträchtigungen an, wobei die Symptome von Schlaflosigkeit, Luftmangel und Herzklopfen bis hin zu Entzündungen der Atemwege reichten. Weitere Beschwerden umfassten vegetative Störungen wie Abgeschlagenheit, missmutig-depressive Verstimmungen und ein Gefühl der Verzweiflung.[4] In einigen Fällen kam es sogar zu erheblichen physiologischen Reaktionen wie Erbrechen und Atembeschwerden.[11] Über die Belastungen in der Tschechoslowakei erhielt der Bundesnachrichtendienst (BND) 1983 Informationen, wonach dort eine dramatische Umweltsituation mit einer verheerenden Schwefeldioxidbilanz bestehe, die zu einer verringerten Lebenserwartung, einer erhöhten Häufigkeit von Hautkrebs und Atemwegserkrankungen führte.[9]

Außerdem wurde durch die Schadstoffemissionen die regionalen Wälder erheblich geschädigt, was seit 1981 unter dem Begriff Waldsterben firmierte.[3]

Diplomatischer Konflikt

Die Katzendreckgestank-Affäre entwickelte sich seit Ende der 1970er Jahre einem langjährigen diplomatischen Konflikt. Im März 1978 hatte das Auswärtige Amt die „geruchsintensiven Emissionen“ sowohl über die Botschaft in Prag als auch bei einem Treffen von Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher mit dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei Gustáv Husák erstmals zur Sprache gebracht. Allerdings bestritt die tschechoslowakische Seite lange, die Emissionen hätten dort ihren Ursprung. Wichtige bundesdeutsche Akteure in der sich über Jahre hinziehenden Auseinandersetzung und Verhandlungen waren außerdem die Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl sowie der bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß.[12]

In den 1980er Jahren, einer Zeit, in der das Waldsterben, Smog und saurer Regen verstärkt als gravierende Umweltprobleme wahrgenommen wurden, rückte die Katzendreckgestank-Affäre verstärkt in den Fokus der politischen Diskussion. Im März 1982 wurde das Problem auf Bundesebene prominent durch eine Kleine Anfrage einer Gruppe von 32 Bundestagsabgeordneten der Fraktion von CDU und CSU thematisiert.[11] Zu dieser Zeit steckten nationale und internationale Umweltschutzauflagen zur Luftreinhaltung auf allen beteiligten Seiten noch in den Anfängen und konnten nur unzureichend durchgesetzt werden.[11]

Der fortwährende zivilgesellschaftliche Druck von Umweltorganisationen gepaart mit der internationalen Dimension des Problems und der Einrichtung einer gemeinsamen Grenzkommission führten im Laufe der 1980er Jahre letztlich zu konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität und zur Minderung der Geruchsbelästigung.[13] 1987 wurde ein Umweltabkommen zwischen der BRD und der Tschechoslowakei geschlossen, das unter anderem auch eine intensivere Kooperation zwischen der BRD und der DDR beinhaltete. Die Papierfabrik Blankenstein wurde ab 1980 in mehreren Schritten modernisiert, sodass laut bayerischer Landesregierung die Schwefeldioxid-Emissionen seit 1984 spürbar zurückgegangen sind.[14] In den 1990er Jahren wurde das Werk umfassend saniert und produziert bis heute Zellstoff – inzwischen weitgehend ohne Geruchsemissionen. Bis in die letzten Jahre wird immer noch über Geruchsbelastungen im Erzgebirge berichtet, die weiterhin vermutlich aus dem nordböhmischen Industrierevier nach Sachsen herüberwehen.[15]

Forschungsstand

Die Katzendreckgestank-Affäre gilt als ein Beispiel für olfaktorische Phänomene der Vergangenheit und der Sinnesgeschichte.[5] Während aus der Antike bis in ins 19. Jahrhundert zahlreiche solcher Geruchskonflikte überliefert und sie dort ein „integraler Bestandteil der Stadt-, Medizin- und Kulturgeschichte“[1] sind, spielen sie in den Forschungen zur Zeitgeschichte bislang keine große Rolle. Im Gegensatz zu den verschiedenen Übelgerüchen im Zusammenhang der Industrialisierung im 19. Jahrhundert gilt das 20. Jahrhundert gemeinhin „als weitgehend geruchsneutral, ja sogar als das Säkulum einer wohlriechenden ‚Reodorierung‘“.[5] Die durch Industrie-Emissionen verursachte Katzendreckgestank-Affäre ist insofern ein Gegenbeispiel. Geruchskonflikte zeigten auch noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weitreichende Folgen.

Bodo Mrozek und Doubravka Olšáková haben 2023 einen einschlägigen Aufsatz veröffentlicht. Auch in der Monographie Zonenrandgebiet widmet sich Astrid M. Eckert im Kapitel „Es liegt was in der Luft“ ausführlich dem Grenzkonflikt zum „Katzendreckgestand“.[16]

Literatur

Podcast

Einzelnachweise

  1. a b Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: Die Katzendreckgestank-Affäre. In: VfZ 71 (2023), Heft 2, S. 311–349, hier S. 312.
  2. a b Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: Die Katzendreckgestank-Affäre. In: VfZ 71 (2023), Heft 2, S. 311–349, hier S. 311.
  3. a b c d Astrid M. Eckert: Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang. Berlin 2022, S. 200 f.
  4. a b Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: Die Katzendreckgestank-Affäre. In: VfZ 71 (2023), Heft 2, S. 311–349, hier S. 321 f.
  5. a b c d Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: Die Katzendreckgestank-Affäre. In: VfZ 71 (2023), Heft 2, S. 311–349, hier S. 313 ff.
  6. Astrid M. Eckert: Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang. Berlin 2022, S. 201.
  7. Tobias Huff: Natur und Industrie im Sozialismus. Eine Umweltgeschichte der DDR. Göttingen 2015, S. 220.
  8. Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: Die Katzendreckgestank-Affäre. In: VfZ 71 (2023), Heft 2, S. 311–349, hier S. 318 ff.
  9. a b c Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: Die Katzendreckgestank-Affäre. In: VfZ 71 (2023), Heft 2, S. 311–349, hier S. 337 f.
  10. Astrid M. Eckert: Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang. Berlin 2022, S. 202.
  11. a b c d Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: Die Katzendreckgestank-Affäre. In: VfZ 71 (2023), Heft 2, S. 311–349, hier S. 323 ff.
  12. Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: Die Katzendreckgestank-Affäre. In: VfZ 71 (2023), Heft 2, S. 311–349, hier S. 329–337.
  13. Bodo Mrozek, Doubravka Olšáková: Die Katzendreckgestank-Affäre. In: VfZ 71 (2023), Heft 2, S. 311–349, hier S. 327 f.
  14. Astrid M. Eckert: Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang. Berlin 2022, S. 206.
  15. Bernhard Honnigfort: Der rätselhafte Gestank im Erzgebirge. Online unter: Frankfurter Rundschau, 8. Januar 2019, abgerufen 15. September 2024.
  16. Astrid M. Eckert: Zonenrandgebiet. Westdeutschland und der Eiserne Vorhang. Berlin 2022, S. 200–214.