Als Nukleare Astrophysik wird der Übergangsbereich zwischen Kernphysik und Astrophysik bezeichnet. Forschungsthema sind Phänomene und Wechselwirkungen in Zusammenhang mit
- Energieerzeugung (Nukleosynthese) im Innern von Sternen
- Vorgängen in Riesensternen (u.a. Schalenbrennen, Veränderliche Sterne
- Supernovae und Theorien des Sternkollaps (Neutronensterne, Schwarze Löcher)
- Kosmologie, Entstehung der ersten Elemente nach dem Urknall.
Traditionell wird die Astrophysik einerseits nach dem Spektralbereich der eintreffenden Strahlung eingeteilt (Radio- und Infrarotastronomie, Spektroskopie, UV-, Röntgen- und Gammaastronomie, andrerseits nach den untersuchten Himmelsobjekten (v.a. Planetologie, Sonnenphysik, Stellarphysik und Sternentwicklung, interstellare Materie, Galaxienforschung und Kosmologie). Demgegenüber hat die nukleare Astrophysik eine mehr integrative Vorgangsweise und ist keine vorwiegend beobachtende Wissenschaft, sondern hat auch stark theoretische Elemente sowie experimentelle Methoden in Verbindung mit der Kernphysik.
Nukleosynthese in Sternen
Zu diesem grundlegenden Prozess der Energieerzeugung in allen sonnenähnlichen und schwereren Sternen forscht die nukleare Astrophysik vor allem in folgenden Bereichen:
- Arten der Nukleosynthese in der Astrophysik
- Standardwerte für die in der Astrophysik verwendeten Kernreaktionsraten
- Hauptreihensterne und das Verhältnis der zwei Fusionsprozesse Proton-Proton-Zyklus und Kohlenstoff-Stickstoff-Zyklus
- Kern-Wirkungsquerschnitte in Sternen, Helium-Fusionsreaktionen
- Neutrinos und Hochenergiephysik
- solares Neutrinoproblem
- Theorie der Riesenstern-Stadien und des Schalenbrennens
- Bildung instabiler Elemente im Kern Roten Riesen (z.B. Technetium)
- AGB-Sterne und asymptotischer Riesenast
- Veränderliche Sterne, Kernprozesse und Oszillationen
- Prozesse der schwachen Wechselwirkung bei der Sternentwicklung
Sternkollaps, kompakte Sterne
Die Bildung sehr kompakter Himmelskörper ist eine relativ neue Forschungsrichtung und befasst sich u.a. mit:
- Sternkollaps und Theorie kompakter Sterne mittels Zustandsgleichungen aus der Kernphysik
- Weiße Zwerge und Neutronensterne
- Simulationen des Gravitationskollaps,
- Röntgen-Burster, Collapsar-Modell für Gammastrahlen-Burster
- Jet-Entstehung, Kollaps rotierender Magnetare
- Entwicklung von Schwarzen Löchern
- Entstehung der Gammablitze
Theorie der Supernovae
Die Explosion im Endstadium sehr massereicher Sterne ist erst durch wenig Messdaten gestützt, weil die bisher beobachteten Supernovae bis auf zwei Ausnahmen für genaue Spektroskopie zu weit entfernt waren. Daher tragen vor allem astrophysikalische Theorien zu diesem Forschungsgebiet bei:
- Theoretische Modelle für Supernovae und Neutronensterne
- Nukleosynthese bei Supernovae
- die Entwicklung massereicher Sterne (8 bis 50 Sonnenmassen) im Vor-Supernova-Stadium
- die Rolle der Neutrinos bei der Erzeugung schwerer Elemente, Aufheizungsmechanismen
- Doppelsterne mit kompakten Sternen als Partnern
- Verschmelzung von Neutronensternen
- die Frage der Neutrino-Mischung in Supernovae
Kernphysik und Kosmologie
Bei der Erforschung der Anfänge des Universums sind derzeit die Fragen nach der Elemententstehung und sehr energiereicher Phänomene (Gravitationswelle, Gammablitze) der Galaxien-Entwicklung und der Großstruktur des Universums besonders aktuell:
- Entstehung der ersten Elemente nach dem Urknall
- insbesondere das primordiale Verhältnis von Wasserstoff zu Helium
- Häufigkeit von Lithium und anderer Elemente und Folgerungen für die Kosmologie
- Evolution chemischer Elemente in Galaxien
- Nachweis und Erforschung von Gravitationswellen und der Gammablitze
- elektromagnetische und Gravitationsstrahlung bei der Fusion zweier Neutronensterne
- Nukleosynthese in homogenen Urknallmodellen
- Modelle inhomogener Kosmologien
Verbindung von Astro- und Kernphysik
Die beiden Fachgebiete überschneiden sich zunehmend, beispielsweise bei
- Zustandsgleichungen für hochdichte Materie, auch jenseits der Dichte von Atomkernen
- Eigenschaften instabiler Kerne, Quark- und Kernmaterie hoher Dichte
- Monte-Carlo-Verfahren für das quantenmechanische Schalenmodell (Kernphysik)
- Modellierung von Wirkungsquerschnitten, z.B. für die Helium 3-Fusionsreaktion
- r-Prozess und neuartige Experimente beim Studium des Zerfalls von Kernen
Zur Kooperation von Kern- und Astrophysik trägt seit längerem auch das Projekt ISOLDE (Isotope Separator On Line DEvice) am Proton Synchrotron Booster des CERN in Genf bei. Es dient zur Erzeugung radioaktiver Ionenstrahlen und kann in speziell erhitzten Materialien radioaktive Nuklide von 70 chemischen Elementen erzeugen, vielfältig ionisieren und analysieren. Primär für Atomphysik, Material- und Biowissenschaften konzipiert, ist es auch für die nukleare Astrophysik nutzbar, etwa bei Halokernen.
Diese sehr instabilen Kerne nahe der drip line (‘Abtropfkante’) beim Spontan-Zerfall durch Emission von Neutronen (neutron drip line) bzw. Protonen (proton drip line) sind für das Verständnis des schnellen Protoneneinfangs) in der stellaren Nukleosynthese von Bedeutung. Durch ISOLDE wurden beispielsweise die relevanten Prozesse des Drei-Alpha-Prozesses und des r-Prozesses bei Massenzahlen von etwa 130 untersucht.[1] Durch Messungen an 7Be wird auch das Solaren Neutrinodefizit, weil das Beryllium-Isotop bei Protoneneinfang eine Quelle solarer Neutrinos ist.
Siehe auch
- Anwendung von Kernwaffen-Simulationen in der Astrophysik
- Häufigkeiten chemischer Elemente
- primordiale Nukleosynthese
- Protonenanlagerung
- Neon-, Silizium-, Sauerstoffbrennen
- Kosmische Strahlung
- Gammastrahlenastronomie
- Baryogenese
- Dunkle Materie und [WIMP]]s
Einzelnachweise
- ↑ E. Dreisigacker: r-Prozess auf den waiting-point gebracht: Neue Erkenntnisse zur Nukleosynthese. In: Physikalische Blätter. Band 42, Nr. 12, 1986, S. 412.