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{{Dieser Artikel|behandelt den Pragmatismus als philosophische Strömung. Zu William James’ Vorlesungsreihe siehe [[Der Pragmatismus]].}}
[[Datei:Pragmatists-Peirce,James,Dewey,Mead.JPG|mini|Die Gründerväter des Pragmatismus von oben nach unten und von links nach rechts: [[Charles Sanders Peirce]], [[William James]], [[John Dewey]], [[George Herbert Mead]].]]
Der Ausdruck '''Pragmatismus''' (von {{grcS|πρᾶγμα|pragma}} „Handlung“, „Sache“) bezeichnet ''umgangssprachlich'' ein [[Sozialverhalten|Verhalten]], das sich nach bekannten situativen Gegebenheiten richtet, wodurch das praktische [[Handeln]] über die theoretische [[Vernunft]] gestellt wird.<ref Diegroup="Anm.">Mit ''philosophischepragmatischem TraditionHandeln'' Pragmatismuswird gelegentlich geht hingegenbeschönigend davonauch ausumschrieben, dass der Gehalt[[Der einerZweck Theorieheiligt vondie derenMittel|Zweck praktischendie KonsequenzenMittel her bestimmt werden soll ([[Pragmatische Maximeheiligt]]). Daher lehnen Pragmatisten unveränderliche Prinzipien ab.</ref>
 
Im Unterschied dazu geht die ''philosophische Tradition'' des Pragmatismus davon aus, dass der Gehalt einer Theorie oder eines Konzepts von deren praktischen Verwendungen und Konsequenzen her bestimmt werden soll ([[Pragmatische Maxime]]). Daher lehnen ''Pragmatisten'' unveränderliche Prinzipien ab.
 
== Überblick ==
Eingeführt wurde der Begriff „Pragmatismus“ im Jahr 1898 in Nordamerika in einer Vorlesung durch [[William James]], der dabei jedoch ausdrücklich [[Charles Sanders Peirce]] als den Begründer dieser Philosophie anführte und dazu auf dessen Veröffentlichungen aus dem Jahr 1878 verwies. Die Arbeiten von Peirce und James wurden im Anschluss von [[John Dewey]] und [[George Herbert Mead]] fortgeführt.
Die Ideen von Dewey und Mead bilden auch Grundlagen für die [[Chicagoer Schule (Soziologie)|''Chicago School of Sociology'']].<ref>Hans-Joachim Schubert, Harald Wenzel, Hans Joas und Wolfgang Knebel: ''Pragmatismus zur Einführung.'' Junius, Hamburg 2010, S. 10–11.</ref> Dem Pragmatismus zufolge sind es die praktischen Konsequenzen und Wirkungen einer [[lebenswelt]]lichen Handlung oder eines natürlichen Ereignisses, die die [[Bedeutung (Sprachphilosophie)|Bedeutung]] eines Gedankens bestimmen. Dabei ist das menschliche Wissen für die Pragmatisten grundsätzlich fehlbar ([[Fallibilismus]]). Entsprechend wird die [[Wahrheit]] einer [[Aussage]] oder [[Meinung]] (Überzeugung) aufgrund der erwarteten oder möglichen Ergebnisse einer Handlung bestimmt. Die menschliche Praxis wird als ein Fundament auch der [[Theoretische Philosophie|theoretischen Philosophie]] (also insb. der [[Erkenntnistheorie]] und [[Ontologie]]) verstanden, da vorausgesetzt wird, dass auch das theoretische Wissen der praktischen [[Arbeit (Philosophie)|Arbeit]]<ref>Vgl. Karl Marx: ''Das Kapital'' (Band I, 5. Kapitel); Dietz Verlag, Berlin 1972, S. 192.</ref> mit den Dingen entspringt und auf diese angewiesen bleibt. In den philosophischen Grundgedanken bestehen zwischen den Positionen der einzelnen Pragmatisten erhebliche Unterschiede, die die Gemeinsamkeiten eher in der pragmatischen [[Hermeneutik (Methode)|Methode]] als in einem einheitlichen theoretischen Gebäude sahen.
 
Zahlreiche Grundbegriffe der [[Philosophie#Allgemein|systematischen Philosophie]] wurden dieser pragmatischen Auffassung gemäß neu interpretiert, darunter der Begriff der Wahrheit; das Forschungsprogramm des Pragmatismus wurde auf verschiedene Problemzusammenhänge und praktische Kontexte angewendet, darunter auf die Demokratietheorie, die [[Pädagogik]] oder die Religion. Nachdem der Pragmatismus in den ersten Jahrzehnten des 20.&nbsp;Jahrhunderts weniger einflussreich war, verstehen sich seit den 1970er-Jahren einige Philosophen dezidiert in der Tradition des klassischen amerikanischen Pragmatismus, darunter [[Richard Rorty]], [[Hilary Putnam]] und [[Robert Brandom]] sowie mit stärkerem Bezug auf Peirce, [[Nicholas Rescher]]<ref>''Pragmatischer Idealismus oder idealistischer Pragmatismus? Interview mit Nicholas Rescher,.'' inIn: Nicholas Rescher: ''Rationalität, Wissenschaft und Praxis.'' Königshausen & Neumann, Würzburg 2002, S. 103–128.</ref> und [[Susan Haack]]. In den Sozialwissenschaften gilt [[Hans Joas]] als prominenter Vertreter des Neopragmatismus.
 
Peirce distanzierte sich jedoch in der Folge deutlich von den Entwicklungen der pragmatistischen Philosophie und nannte sein philosophisches Konzept fortan ''[[Pragmatizismus]]''. In einem Brief begründete er die Unterscheidung, dass unter Pragmatismus nunmehr die Philosophie von [[F. C. S. Schiller]], James, [[John Dewey]], [[Josiah Royce]] und anderen zu fassen sei. Vor allem wandte er sich gegen die [[Relativismus|relativistische]] [[Utilitarismus|Nützlichkeitsphilosophie]], die von vielen Pragmatisten als Grundprinzip der Wahrheit mit dem Pragmatismus gelehrt wurde (zum Beispiel Wahrheit als ''Cash Value'' bei William James<ref>Vgl. Claudine Tiercelin: ''Pragmatist Truth: Cash Value or Ideal Value? The Main Objections'', in: The Pragmatists and the Human Logic of Truth, Collège de France, Paris 2014, Kap. 2.</ref>). Durch die zusätzliche Silbe werde die Bedeutung genauer gekennzeichnet.<ref>„I proposed that the word ‚pragmatism‘ should hereafter be used somewhat loosely to signify affiliation with Schiller, James, Dewey, Royce, and the rest of us, while the particular doctrine which I invented the word to denote, which is your first kind of pragmatism, should be called "pragmaticism." The extra syllable will indicate the narrower meaning.“ (Letter to Calderoni, CP 8.205) Peirce, C.S., Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Vols. 1–6, [[Charles Hartshorne]] and Paul Weiss (eds.), Vols. 7–8, Arthur W. Burks (ed.), Harvard University Press, Cambridge, MA, 1931–1935, 1958. zitiert als CP n.m für Band n, Abschnitt m.</ref> Peirce wandte sich gegen „lockere Schreiber“, die von ihm eingeführte Begriffe außerhalb ihrer ursprünglichen theoretischen Zusammenhänge verwendeten. Im Hintergrund dieser Abgrenzung standen u.&nbsp;a. seine [[Wissenschaftsphilosophie|wissenschaftsphilosophischen]] Überzeugungen.<ref>Vgl. Robert Burch: [https://plato.stanford.edu/entries/peirce/#prag Charles Sanders Peirce], in: [[Stanford Encyclopedia of Philosophy]], 2021, bes. Abschnitt 4.</ref>
Durch die zusätzliche Silbe werde die Bedeutung genauer gekennzeichnet.<ref>„I proposed that the word ‚pragmatism‘ should hereafter be used somewhat loosely to signify affiliation with Schiller, James, Dewey, Royce, and the rest of us, while the particular doctrine which I invented the word to denote, which is your first kind of pragmatism, should be called "pragmaticism." The extra syllable will indicate the narrower meaning.“ (Letter to Calderoni, CP 8.205) Peirce, C.S., Collected Papers of Charles Sanders Peirce, Vols. 1–6, [[Charles Hartshorne]] and Paul Weiss (eds.), Vols. 7–8, Arthur W. Burks (ed.), Harvard University Press, Cambridge, MA, 1931–1935, 1958. zitiert als CP n.m für Band n, Abschnitt m.</ref> Dass Peirce infolge seine ursprüngliche Lehre jedoch als [[Pragmatizismus]] abgrenzen zu müssen meinte, war dessen Intention geschuldet, damit vielmehr auf die Bedeutung des Prinzips von Wissenschaft als geschlossenem System und die daraus folgende Rolle der Terminologie hinzuweisen. Er wandte sich ausdrücklich gegen jene „lockeren Schreiber“, die seine Begriffe außerhalb seines theoretischen Konzepts verwendeten.
 
== Entwicklung ==
=== Klassischer (angelsächsischer) Pragmatismus ===
[[Datei:Charles Sanders Peirce.jpg|mini|[[Charles Sanders Peirce]] (1839 – 1914)]]
Nach den Ansichten der Pragmatisten beziehen sich alle Urteile, Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe u.&nbsp;a. auf jeweils handelnde Menschen. Der Pragmatismus von Peirce war vor allem darauf gerichtet, eine Theorie der [[Bedeutung (Sprachphilosophie)|Bedeutung]]<ref>Richard Ormerod: ''The History and Ideas of Pragmatism.'' In: ''The Journal of the Operational Research Society.'' Band 57, Nr. 8 (August 2006), S. 892–909, hier S. 892.</ref> zu entwickeln. Als zentrale [[pragmatische Maxime]] kann Peirces Forderung gelten, Vorstellungen aller Art im Hinblick auf ihre möglichen praktischen Wirkungen zu beurteilen. Diese Forderung richtet sich vor allem gegen einen erkenntnistheoretischen Fundamentalismus und dessen Behauptung, durch Intuition oder Introspektion seien unmittelbare Erkenntnisse möglich. Ebenso lehnt Peirce eine [[Rationalismus|rationalistische]] Letztbegründung ab, die sich auf die Selbstgewissheit des Ichs beruft, als auch die [[Empirismus|empiristische]] Ansicht, dass Erkenntnis allein der Sinneswahrnehmung entstamme. Vielmehr liegt alles Erkannte schon immer im Bewusstsein symbolhaft vor und kann daher auch fehlgedeutet werden.
[[Datei:William James b1842c.jpg|mini|William James (1842)]]
Nach den Ansichten der Pragmatisten beziehen sich alle Urteile, Anschauungen, Vorstellungen, Begriffe u.&nbsp;a. auf jeweils handelnde Menschen. Der Pragmatismus von Peirce war vor allem darauf gerichtet, eine Theorie der [[Bedeutung (Sprachphilosophie)|Bedeutung]]<ref>Richard Ormerod: ''The History and Ideas of Pragmatism.'' In: ''The Journal of the Operational Research Society.'' Band 57, Nr. 8 (August 2006), S. 892–909, hier S. 892.</ref> zu entwickeln. Als zentrale [[pragmatische Maxime]] kann Peirces Forderung gelten, Vorstellungen aller Art im Hinblick auf ihre möglichen praktischen Wirkungen zu beurteilen. Diese Forderung richtet sich vor allem gegen einen erkenntnistheoretischen Fundamentalismus und dessen Behauptung, durch Intuition oder Introspektion seien unmittelbare Erkenntnisse möglich. Ebenso lehnt Peirce eine [[Rationalismus|rationalistische]] [[Letztbegründung]] ab, die sich auf die Selbstgewissheit des Ichs beruft, als auch die [[Empirismus|empiristische]] Ansicht, dass Erkenntnis allein der Sinneswahrnehmung entstamme. Vielmehr liegt alles Erkannte schon immer im Bewusstsein symbolhaft vor und kann daher auch fehlgedeutet werden.
 
Als Methode zur Wissensvermehrung schlägt Peirce vor, nur noch dasjenige als Wissen zu akzeptieren, das anhand von [[Experiment]]en [[Intersubjektivität|intersubjektiv]] nachprüfbar ist bzw. nachgeprüft wurde. Damit einher geht die Forderung, alles Wissen so zu formulieren, dass daraus unmittelbar klar wird, „was man tun muss“, um diese oder jene Aussage zu prüfen. Peirce geht weiterhin davon aus, dass eine Forschergemeinschaft im Laufe der Geschichte durch ständiges Gegenprüfen ihrer Ergebnisse schrittweise zu einem besseren Wissen über die Welt kommt.
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Peirce vertrat demnach eine „Konvergenztheorie der Wahrheit“, die in einem fiktiven unendlich entfernten Zeitpunkt in der Zukunft in eine Korrespondenz des Gedachten mit der Realität mündet. Bis dahin ist alle Erkenntnis fallibel. Für Peirce war zwar die Intersubjektivität eine Voraussetzung der Wahrheit. Die oftmals hergestellte Verbindung<ref>Karl-Otto Apel: ''Der Denkweg des Charles S. Peirce.'' Gerd Wartenberg: ''Logischer Sozialismus.'' Vittorio Hösle: ''Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie.''</ref> von Peirce mit einer [[Konsenstheorie der Wahrheit]] ist hier aber nicht zu erkennen.
[[Datei:John Dewey cph.3a51565.jpg|mini|[[John Dewey]] (1859–1952)]]
 
Dieses Konzept der Wahrheitsfindung wurde durch William James in Richtung Relevanz für das menschliche Handeln verschoben. Aufgrund verschiedener Missverständnisse, die seine Wahrheitskonzeption in die Nähe des [[Utilitarismus]] rückten, hat er hierzu einen gesonderten Aufsatz verfasst. James akzeptiert als Grundlage die Korrespondenztheorie der Wahrheit:
:„Wahrheit ist, wie jedes Wörterbuch Ihnen sagt, eine Eigenschaft gewisser Vorstellungen. Sie bedeutet soviel als ‚Übereinstimmung‘ mit der Wirklichkeit, ebenso wie Falschheit Nichtübereinstimmung mit der Wirklichkeit bedeutet.“<ref>William James: ''Der Wahrheitsbegriff des Pragmatismus.'' In Gunnar Skirbekk (Hrsg.): ''Wahrheitstheorien. Eine Auswahl aus den Diskussionen über Wahrheit im 20. Jahrhundert.'' Frankfurt am Main 1977, S. 35–58, hier S. 35–36; Original: ''Pragmatism’s Conception of Truth.'' In: ''The Journal of Philosophy, Psychology and Scientific Methods.'' Band 4, Nr. 6 (14. März 1907), S. 141–155.</ref>
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Ob etwas wahr ist, zeigt sich für James erst in der Praxis. Wahrheit ist ein Geschehen, in dem sich Vorstellungen in der Praxis bewähren<ref>Philipp Kitcher: ''Der andere Weg.'' In: Martin Hartmann, Jasper Liptow, Marcus Willaschek (Hrsg.): ''Die Gegenwart des Pragmatismus.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2013, S. 35–61.</ref> und welches mit bereits bewährten Erfahrungen konsistent ist. Wahr sind Ideen, die „funktionieren“ und [[Arbeit (Philosophie)|Arbeit]] sparen: „Ideas […] become true just in so far as they help us to get into satisfactory relations with other parts of our experience. […] Any idea is true for just so much, true in so far forth, ''true instrumentally''.“<ref>William James: ''Pragmatism: A New Name for some Old Ways of Thinking.'' Cambridge, MA 1975, S. 34.</ref>
 
Wahres Wissen ist also immer auch erfahrungsbasiert und verspricht die Befriedigung von [[Handlungsabsichten]]. In dieser Form wurde der Pragmatismus dann auch einem breiteren Publikum bekannt, was vor allem in Europa zu breiter Ablehnung geführt hat, weil der Pragmatismus mit einer reinen [[Utilitarismus|Nützlichkeitstheorie]] gleichgesetzt wurde.<ref>Siehe etwa [[Karl Vorländer]]: ''Geschichte der Philosophie.'' Band II: [http://www.textlog.de/6631.html „Pragmatismus“].</ref>
 
Weitere an den frühen Pragmatismus anknüpfende Strömungen sind der auf Dewey zurückgehende [[Instrumentalismus (Philosophie)|Instrumentalismus]], die eigene, eher skeptische Position von [[F.&nbsp;C.&nbsp;S. Schiller]], die dieser selbst [[Humanismus]] nannte, der [[Operationalismus]] [[Percy Williams Bridgman|Bridgmans]], sowie die [[Behaviorismus|behavioristische]] Psychologie, die ebenfalls introspektive Methoden ablehnt und sich allein auf das beobachtbare Verhalten ihrer Untersuchungsobjekte konzentriert. Insbesondere Dewey hat wichtige Beiträge zur praktischen Philosophie, vor allem zur Theorie der Erziehung und zur Demokratietheorie geleistet. [[Charles W. Morris]], ein Schüler von [[George Herbert Mead]], hat in Anlehnung an Peirce eine eigene Theorie der [[Semiotik]] entwickelt.
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== Pragmatismus und Rezeption in Deutschland ==
=== Immanuel Kant ===
In der deutschen Philosophie hat bereits Kant eine ''[[Anthropologie in pragmatischer Hinsicht]]'' verfasst.<ref>Kant: ''Anthropologie in pragmatischer Hinsicht'', Ausgabe der Preußischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 1900ff, AA VII, 199–</ref> Er trennt dabei das praktische Sollen vom Pragmatischen, das dem Sein zugehöre. Der moralische Imperativ sei eine Frage der reinen praktischen Vernunft; der pragmatische Imperativ falle hingegen in den Bereich der empirischen Naturlehre (vgl. MdS, A 12).
 
=== Frühe Rezeptionen ===
Als der angelsächsische Pragmatismus Deutschland erreichte, wurde im gewöhnlichen Sprachgebrauch das Wort „Pragmatismus“ häufig gleichbedeutend für „Praktikalismus“ oder „Tagwursterei“ verwendet, was auch auf die Rezeption der philosophischen Strömung abfärbte, bzw. diese vorbelastete. In Deutschland wurde er vor allem zunächst in der von James vertretenen Form bekannt, durch die Übersetzung der Essay-Sammlung ''Der Wille zum Glauben'' (''The Will to Believe,'' dt. 1899), es folgten 1906 Übersetzungen seiner Pragmatismusvorlesungen. 1911 erschienen F.&nbsp;C.&nbsp;S.&nbsp;Schillers Humanismus-Aufsätze.
 
== Deutsche Ausrichtung ==
=== Max Scheler ===
Als wichtigster Rezipient dieser Zeit gilt [[Max Scheler]], der seine Reaktion in ''Erkenntnis und Arbeit. Eine Studie über Wert und Grenzen des pragmatischen Motivs in der Erkenntnis der Welt'' festhielt. Auch sein Werk ''Die Wissensformen der Gesellschaft'' von 1926 steht noch unter diesem Einfluss. Scheler unterscheidet dort drei Wissensformen
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* ''Erlösungswissen'' als „Teilhabe am Höchsten“.
Zustimmend äußert sich Scheler über den Pragmatismus als philosophische Erhellung des ''Arbeitswissens'', wenn dieser die theoretischen Aussagen und Hypothesen der Wissenschaft in einen richtigen Zusammenhang mit dem handelnden Weltbezug setzt. Allerdings habe der Pragmatismus, so Scheler, den Fehler begangen, dieses Wissen ''als das einzig richtige'' auszuzeichnen; die extreme Dominanz des „Herrschafts-“ und „Leistungswissens“ sei zu kritisieren.
 
=== Arnold Gehlen ===
Unter dem Eindruck Max Schelers setzte sich [[Arnold Gehlen]] in seinem anthropologischen Hauptwerk ''Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung zur Welt'' mit dem Pragmatismus auseinander. Gehlen bezieht sich hierin positiv auf den pragmatischen Erkenntnisbegriff, laut dem der zu erkennende Gegenstand durch den Akt des Erkennens konstruiert wird oder genetisch entsteht.<ref name=":0">{{Literatur |Autor=Arnold Gehlen |Titel=Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt |Verlag=AULA-Verlag |Ort=Wiebelsheim |Datum=2009 |ISBN=978-3-494-015842 |Seiten=294–295}}</ref> Zwar sei dieser Erkenntnisbegriff bereits in der klassischen europäischen Philosophie, etwa bei [[Aristoteles]], [[Giambattista Vico|Vico]], [[Thomas Hobbes|Hobbes]], [[Immanuel Kant|Kant]], [[Friedrich Heinrich Jacobi|Jacobi]] und [[Novalis]], vorformuliert worden, wurde aber erst im Pragmatismus voll entwickelt. Gehlen verweist auf die Schriften James’ und Deweys, wenn er schreibt, "daß das Ziel des Denkens in der rationalen Sacherkenntnis nicht die Annäherung an eine schon bestehende Realität ist", sondern ein dynamisches Erkennen der möglichen Operationen, die man mit dem zu erkennenden Gegenstand ausführen kann.<ref name=":0" />
 
=== Max Horkheimer ===
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=== Gegenwärtiger Pragmatismus ===
DerzeitSchwerpunkte istgegenwärtiger derpragmatischer bzw. pragmatistischer Ansätze deutschein pragmatischeDeutschland bzw. pragmatistischeim Grundansatzdeutschen vorSprachraum allemverbinden sich mit den Begriffen der [[Lebenswelt]], undmit Themen der [[Medienphilosophie]] sowie mit der Diskussion über Wahrheitstheorien (insbesondere [[Konsenstheorie der Wahrheit|Konsens-]] und [[Kohärenztheorie]]) verbunden.
 
AlsZu zeitgenössischeden deutschezeitgenössischen Vertreterdeutschen Vertretern pragmatistischer Ansätze geltenzählen unter anderem [[UlrichHans Oevermann (Soziologe)|Ulrich OevermannJoas]],<ref>Kompakte Darstellung bei Thomas Kron: ''Die neo-pragmatistische Theorie von [[Hans Joas]]'', [[Julianin: Nida''Zeitgenössische soziologische Theorien. Zentrale Beiträge aus Deutschland'', VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien, Wiesbaden 2010, ISBN 978-Rümelin]]3-531-15604-0, [[GuntherS. Hellmann]]133–155.</ref> und [[Mike Sandbothe]], der insbesondere Themen der [[Medienphilosophie]] bearbeitet. [[Julian Nida-Rümelin]] schrieb:plädiert für einen "pragmatischen Humanismus" und geht davon aus, dass „Am Ende allen Begründens steht[...] die praktizierte Lebensform als Ganzes.“Ganzes“ steht<ref>Julian Nida-Rümelin: '' Vernunft und Freiheit.'' Textgrundlage für Vortrag und Kolloquium. In: Dieter Sturma (Hrsg.): ''Vernunft und Freiheit. Zur praktischen Philosophie von Julian Nida-Rümelin (Humanprojekt).'' 2012, S. 9 ff., insbesondere S. 11.</ref>. [[Ulrich Oevermann (Soziologe)|Ulrich Oevermann]] knüpft u.&nbsp;a. bei Mead und Peirce an, um eine „rekonstruktionslogisch“ vorgehende sozialwissenschaftliche Hermeneutik („[[Objektive Hermeneutik]]“) zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen. [[Gunther Hellmann]] wendet die pragmatistische Verbindung von [[Erkenntnistheorie]] und [[Handlungstheorie (Philosophie)|Handlungstheorie]] auf das Feld der [[Internationale Politik|internationalen Politik]] an.<ref>Vgl. Gunther Hellmann: ''Pragmatismus'', in: Carlo Masala, Frank Sauer, Andreas Wilhelm (Hrsg.): ''Handbuch der Internationalen Politik'', VS Verlag für Sozialwissenschaften / Springer Fachmedien, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-14352-1, S. 148–181.</ref>
 
Während im sogenannten [[Neopragmatismus]] u.&nbsp;a. Anregungen aus der [[Philosophie der normalen Sprache]] und der [[Diskursanalyse]] aufgenommen werden, gibt es auch Ansätze, die stärker erkenntniskritisch bzw. [[Transzendentalpragmatik|transzendentalpragmatisch]] angelegt sind.<ref>Vgl. den Überblicksversuch bei Marc Rölli: ''Pragmatismus – moderate und radikale Versionen'', in: Philosophische Rundschau 59/1 (2012), 26–49.</ref> [[Karl Czasny]] wartet z. B. mit Beiträgen zu einer „pragmatistischen Transzendentalphilosophie“ im Bereich der [[Subjekt (Philosophie)|Subjektphilosophie]] und [[Philosophie der Physik]] auf. [[Michael Hampe (Philosoph)|Michael Hampe]] knüpft entgegen weithin metaphysikkritischer Rezeptionen (z.&nbsp;B. bei [[Richard Rorty]] und über zumindest längere Phasen bei [[Hilary Putnam]]) an von ihm herausgearbeitete Aspekte des klassischen amerikanischen Pragmatismus (Peirce, Dewey, James, aber z.&nbsp;B. auch Whitehead) an, die den Erfahrungsbezug verbinden mit spekulativen und metaphysisch fundierten, insbesondere [[Prozessphilosophie|prozessmetaphysischen]] Konzepten.<ref>Vgl. Michael Hampe: ''Spekulation und Praxis. Studien zum Pragmatismus'', Frankfurt a. M. 2006; ''Die Funktion der Unmittelbarkeit und der philosophische Pragmatismus'', in: Josef Simon / [[Werner Stegmaier]] (Hrsg.): ''Fremde Vernunft. Zeichen und Interpretation IV'', Frankfurt a. M. 1998, 78–103; ''Vervollkommnung des Individuums und Endgültigkeit der Metaphysik. Richard Rortys Metaphysikkritik und die Philosophie des Pragmatismus'', in: [[Uwe Justus Wenzel]] (Hrsg.), Vom Ersten und Letzten. Positionen der Metaphysik in der Gegenwartsphilosophie, Frankfurt a. M. 1998, S. 153–176.</ref>
 
=== Pragmatik in der deutschen Rechtsphilosophie ===
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== Literatur ==
{{Philosophie-Bibliographie|Pragmatismus}}
 
{{Philosophie-Bibliographie|Pragmatismus}}
;Sammelbände
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* Russell B. Goodman (Hrsg.): ''Pragmatism: a Contemporary Reader.'' Routledge, London 1995.
* Michael G. Festl (Hrsg.): ''Handbuch Pragmatismus.'' Metzler, Stuttgart 2018.
* Felix Petersen, Martin Seeliger und Hauke Brunkhorst (Hrsg.). ''Pragmatistische Sozialforschung: Für eine praktische Wissenschaft gesellschaftlichen Fortschritts''. Metzler, Stuttgart 2021, {{DOI|10.1007/978-3-662-62172-1}}.
* Andreas Hetzel, Jens Kertscher, Marc Rölli (Hrsg.): ''Pragmatismus. Philosophie der Zukunft?'' Velbrück, Weilerswist 2008.
* Robert Lane, [[Susan Haack]] (Hrsg.): ''Pragmatism, Old & New: Selected Writings.'' Amherst, Prometheus Books, New York 2006.
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* Donald Davidson, Richard Rorty, Mike Sandbothe: ''Wozu Wahrheit? Eine Debatte.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-518-29291-4.
* Christopher Hookway: ''Truth, Rationality and Pragmatism.'' OUP, Oxford 2000.
* Michael Hampe: ''Erkenntnis und Praxis.'' Studien zum Pragmatismus,.'' Frankfurt am Main 2006.
* Hans Joas: ''Die Kreativität des Handelns.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-28848-2.
* Issac Levi: ''The Enterprise of Knowledge: an Essay on Knowledge, Credal Probability and Chance.'' MIT Press, Cambridge MA 1980.
* Joseph W. Long: ''Who'sWho’s a Pragmatist: Distinguishing Epistemic Pragmatism and Contextualism.'' In: ''The Journal of Speculative Philosophy.'' Band 16/, Nr. 1, 2002, S.&nbsp;39–49.
* Joseph Margolis: ''Pragmatism without Foundations: Reconciling Realism and Relativism (The Persistence of Reality).'' Blackwell, Oxford 1986.
* [[Helmut Pape]]: ''Der dramatische Reichtum der konkreten Welt. Der Ursprung des Pragmatismus im Denken von William James und Charles S. Peirce.'' Velbrück, Weilerswist 2002.
Zeile 118 ⟶ 131:
* Alexander Gröschner, Mike Sandbothe: ''Pragmatismus als Kulturpolitik. Beiträge zum Werk Richard Rortys.'' Suhrkamp, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-29581-6.
* [[Susan Haack]]: ''Pragmatism.'' In: Nicholas Bunnin & E. P. Tsui-James (Hrsg.): ''The Blackwell Companion to Philosophy.'' 2. Auflage. Blackwell 2002
* David L. Hildebrand: ''The Neopragmatist Turn.'' In: ''Southwest Philosophy Review.'' Band 19/, Nr. 1, 2003<!--Seitenzahl?--> ({{Webarchiv | url=http://davidhildebrand.org/articles/hildebrand_neopragmatist.pdf | wayback=20050308181347 | text=PDF}})
* David L. Hildebrand: ''Beyond Realism and Antirealism: John Dewey and the Neopragmatists.'' Vanderbilt, Memphis 2003.
* Hans Joas: ''Praktische Intersubjektivität. Die Entwicklung des Werkes von George Herbert Mead.'' Suhrkamp, Frankfurt am Main 2000 (mit neuem Vorwort, ursprünglich 1980), ISBN 3-518-28365-0.
* Joseph Margolis: ''The Unraveling of Scientism: American Philosophy at the End of the Twentieth Century.'' Cornell UP, Ithaca 2003.
* Joseph Margolis: ''Reinventing Pragmatism: American Philosophy at the End of the Twentieth Century.'' Cornell UP, Ithaca 2002.
* Douglas McDermid: ''The Varieties of Pragmatism: Truth, Realism, and Knowledge from James to Rorty.'' Continuum, London/ New York 2006.
* [[Louis Menand]]: ''The Metaphysical Club: a Story of Ideas in America.'' Farrar, Straus & Giroux, New York 2002.
* Klaus Peter Müller: ''Zur Kunst der pragmatischen Orientierung. Philosophische Essays.'' Tectum, Marburg 2007, ISBN 978-3-8288-9465-5.
* [[Ludwig Nagl]]: ''Pragmatismus.'' Campus, Frankfurt am Main/ New York 1998, ISBN 3-593-35978-2.
* Frithjof Nungesser: ''Die Sozialität des Handelns. Eine Aktualisierung der pragmatistischen Sozialtheorie.'' Campus, Frankfurt am Main/ New York 2021, ISBN 978-3593511283.
* Hans-Joachim Schubert, Hans Joas, Harald Wenzel: ''Pragmatismus zur Einführung.'' Junius, Hamburg 2010, ISBN 978-3-88506-682-8.
 
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* [http://www.catholic.org/encyclopedia/view.php?id=9564 Pragmatism] auf: Catholic Encyclopedia (engl.)
;Fachartikel
* [[Simon Blackburn]]: [http://digitalcommons.brockport.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1005&context=phil_ex Pragmatism in Philosophy: the Hidden Alternative], Philosophic Exchange, Vol.Band 41, [2013], IssNr. 1, Art. 1.
* David Boersema: [http://commons.pacificu.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1399&context=eip&sei-redir=1&referer=http%3A%2F%2Fscholar.google.de%2Fscholar%3Fstart%3D250%26q%3DPeirce%2BOntology%26hl%3Dde%26as_sdt%3D0%2C5#search=%22Peirce%20Ontology%22 Review of „The Pragmatism Reader: From Peirce through the Present“]
* Mats Bergman: [http://www.nordicom.gu.se/sites/default/files/kapitel-pdf/270_bergman.pdf The New Wave of Pragmatism in Communication Studies] (PDF; 347&nbsp;kB), Nordicom Review 29 (2008) 2, pp.&nbsp;135–153 (kritische Auseinandersetzung mit Russil und Sandbothe im Bereich der Medienphilosophie)
* Richard J. Bernstein: [http://www.sunypress.edu/pdf/61288.pdf The Pragmatic Century] (PDF; 262&nbsp;kB)
* Peter Godfrey-Smith: [http://petergodfreysmith.com/Quine_Pragmatism_PGS_2013_FD.pdf Quine and Pragmatism], erschienen in Blackwell Companion to Quine, hrsg. von Gilbert Harman und Ernest LePore
* [[Susan Haack]]: ''[http://www.newcriterion.com/articles.cfm/rortyism-haack-3261 Vulgar Rortyism]''. Review of Pragmatism: A Reader, editedhrsg. byvon [[Louis Menand]]
* [[Andreas Kemmerling]]: ''[http://www.philosophie.uni-hd.de/md/philsem/personal/ak_amerika.pdf Pragmatische Wahrheit. Was uns im Leben weiterbringt] (PDF; 2,6&nbsp;MB)'', in: [[Philipp Gassert]] u.&nbsp;a. (Hrsg.): ''Was Amerika ausmacht.'', Steiner, Stuttgart 2009, S. 161–175.
* Erkki Kilpinen: [http://www.nordprag.org/papers/Kilpinen%20-%20Pragmatism%20as%20a%20Philosophy%20of%20Action.pdf Pragmatism as a Philosophy of Action], (Paper presented at the First Nordic Pragmatism Conference, Helsinki, Finland, June 2008)
* Peter Reason: [http://www.peterreason.eu/Papers/Rorty.pdf Pragmatist Philosophy and Action Research: Readings and Conversation with Richard Rorty]
* [[Mike Sandbothe]]: ''[http://www.sandbothe.net/52.0.html Die pragmatische Wende des linguistic turn]'', in: Ders. (HgHrsg.): ''Die Renaissance des Pragmatismus. Aktuelle Verflechtungen zwischen analytischer und kontinentaler Philosophie, Weilerswist:.'' Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2000.
* Werner Ulrich: ''[http://www.wulrich.com/downloads/ulrich_2007e.pdf Philosophy for Professionals: Towards Critical Pragmatism] (PDF; 129&nbsp;kB)'', Journal of the Operational Research Society, 58, No. 8 (2007), pp.&nbsp;1109–1113
* [[Karl Vorländer]]: [http://www.textlog.de/6631.html Pragmatismus], Geschichte der Philosophie (1903)
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* John R. Shook: [http://media.bloomsbury.com/rep/files/ccph62.pdf Pragmatism: A Select Bibliography, 1940–2010] (PDF; 519&nbsp;kB)
 
== Anmerkung ==
<references group="Anm." />
== Einzelnachweise ==
<references responsive />