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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875)


Zähigkeit des Widerstandes dieser Sprache und an ihrer Verjüngung durch Luther ist jener schnöde Plan zu Schanden geworden. Doch auch der Mithülfe nordischer Germanen schulden wir Dank dafür. Von ihnen kam uns im dreißigjährigen Kriege die Rettung aus der äußersten Noth und von ihnen ist uns ein Hauptstück des heiligen Erbschatzes erhalten worden, den unsere Erbfeindin in Deutschland bis auf dürftige Ueberbleibsel vertilgt hatte, und ohne diese Rettung unseres Zendavesta würden unsere großen Dioskuren Wilhelm und Jakob Grimm und ihr Jünger Uhland unser Bewußtsein von der Größe und Hoheit der germanischen Vergangenheit nimmer so siegreich haben herstellen können, als es geschehen ist. In wie weit Rom die eifrigst geplante Ausrottung und Umfälschung auch der germanischen Helden- und Göttersage durchzusetzen vermocht hat, das werden wir sehen am Epos unseres Mittelalters.

In der Zeit nicht abgrenzbar von dieser indischen und theilweise schon zugleich mit ihr verläuft die Epoche, welche ich nach der Analogie der Erlebnisse als die persische unseres Epos bezeichne. Denn im Untergange sowohl, als in der Wiedergeburt haben die Schicksale des persischen und die des germanischen Epos die auffälligste Aehnlichkeit. Wie das persische zuerst durch die griechische Eroberung unter Alexander, dann durch die Araber und den Islam, so ist das germanische zuerst durch die römische Cultur und Hierarchie unter verrätherischer Hülfe des fränkischen Sachsenschlächters Karl, des sogenannten Großen, verfolgt, seiner gebildeten Gönner und Pfleger beraubt und dadurch zum Bänkelsang heruntergewürdigt, dann aber ebenfalls durch einen Ausfluß des Islam im Innersten verwandelt und verfälscht worden. Denn wir werden sehen, wie der Islam, wenn er auch die germanischen Völker nicht mit dem Schwerte zu besiegen vermochte, sie gleichwohl mit einer von ihm geweckten neuen Empfindungsweise und Lebensauffassung, der sogenannten Romantik, angesteckt und geistig unterjocht hat.

Wie ferner die zweite Erneuerung des persischen Reiches mit der Erneuerung des persischen Epos durch Firdusi gleichzeitig und gegenseitig fördernd eingetreten ist, so ward auch die Wiedergeburt unseres Epos, wenn auch der Zeit nach ein wenig voraufschreitend, erst möglich, als dem Scharfblickenden die baldige Auferstehung des deutschen Reiches unzweifelhaft geworden war und der Epiker selbst die zwei Jahrzehnte vor ihrem Eintritte mit aller Bestimmtheit vorhersagen konnte.

Wie endlich Firdusi’s Dichtung zwar durchweg beruht auf der Weltanschauung und den sittlichen Ideen der edeln Parsenreligion Zoroaster’s, darum aber die Religion Muhamed’s keineswegs verwirft noch es versäumt, die Darstellung auch zu durchleuchten mit dem Zuwachse an reineren Vorstellungen vom Göttlichen und Edelmenschlichen, den unbestreitbar auch der Islam gefruchtet hatte: gerade so durfte und mußte auch die Erneuerung unserer großen Nationalsage von den Wölfungen und Nibelungen einerseits zwar die der persischen verwandte, nicht minder tiefsinnige und zuchtgewaltige alte Naturreligion der Germanen erheben zur symbolischen Trägerin der neuen, jetzt in unserem Volke lebendigen Religion; denn mit ihrem Glauben an eine göttliche Bestimmung des Menschen und mit ihren sittlichen Forderungen ist diese neue ganz und gar wieder die alte, mit dem einzigen Unterschiede, daß sie ausgeht von erkannten Naturgesetzen wo sich die alte noch mit phantastisch und bildlich ausgedrückten, aber vielfach doch schon richtigen Ahnungen dieser Gesetze begnügen mußte. Andererseits aber durfte dabei das erneuerte Epos ebenso wenig, als das des Firdusi, den Erziehungsgewinn wegwerfen oder auch nur verleugnend bemänteln, den auch wir inzwischen einer Religion von semitischer Herkunft schuldig geworden waren.

Diese letzte Epoche, von welcher ich zum Schlusse meiner Darstellung insoweit handeln werde, als es sich bei meiner Betheiligung an ihr für mich geziemt, bezeichne ich als die persisch-griechische, weil ihre Leistung, spät und unter ähnlichen Bedingungen wie die des Firdusi zu Stande gekommen, doch nicht sein Werk zum Vorbilde nehmen durfte. Denn sie war erst möglich geworden durch die von der Arbeit mehrerer Generationen vorbereitete Wiederentdeckung des homerischen Kunstgesetzes, und sie durfte nach unserer Wiedererziehung durch die griechische Literatur und den deutschen Hellenen Goethe, auch keinem anderen Muster nachstreben, als eben dem homerischen.

Das sind die Hauptstationen unserer nun zu unternehmenden Wanderung durch das Gebiet des germanischen Epos. Treten wir sie an mit der Betrachtung seiner ältesten Reste aus der Zeit unseres Heidenthums.

Tacitus sagt von unsern Vorfahren: „In uralten Liedern, welche zugleich allein ihre Ueberlieferungen und Jahrbücher bilden, feiern sie den Gott Thuisko, den Erdentsprossenen, und dessen Sohn Mannus als Stammväter und Stifter der Nation.“ Damit ist eine in Gesängen mündlich überlieferte Sagengeschichte mit mythischem Anfange deutlich bezeugt. Daß diese Gesänge mit ihrem Inhalte hinreichten bis in die Nähe der Lebenszeit des römischen Geschichtsschreibers, das beweist die fernere Angabe, daß die Germanen damals noch von Arminius gesungen.

Auch die angelsächsischen Geschlechtstafeln, mit Odin anhebend und fortgesetzt bis zu den geschichtlich bekannten Königen, beweisen das einstige Vorhandensein einer solchen Liederchronik. Bei den Franken waren noch im neunten Jahrhundert die vulgaria carmina, Volkslieder, bekannt, welche die Vorfahren Karl’s des Großen verherrlichten. Karl selbst ließ diese carmina poëtica gentilia, das ist heidnische „Liederdichtungen“, sammeln. Vielleicht gehörte zu denselben das Lied von Hildebrant und Hadubrant, von dem uns ein Bruchstück erhalten ist. Daß ein großer Theil der Eddalieder Nachbildungen, ja zum Theil wohl Uebersetzungen aus dieser Sammlung einschließt, ist kaum noch zu bezweifeln. Noch der Sohn Karl’s, Ludwig der Fromme, hatte diese Lieder in seiner Jugend auswendig gelernt. Als er aber im Alter unter dem Einflusse der Geistlichen stand, mochte er sie weder lesen noch hören. Die gothische Geschichte des Jordanes (in Folge des Schreibfehlers in einer Handschrift ist er mehr bekannt unter dem Namen Jornandes) ist großentheils nur Auszug aus dem mündlich überlieferten gothischen Epos. Ebenso ist die dänische Geschichte des Saxo Grammaticus zum Theil eingestandene Uebersetzung einer poetischen Mythologie und Sagengeschichte und beweist also, daß eine solche noch um das Jahr 1150 vorhanden gewesen ist.

Die christliche Kirche vermochte die angestammte Religion nicht zu besiegen, ohne zuvor das Epos aus dem Wege geräumt zu haben. Die Gedächtnißinhaber der mythischen und historischen Gesänge verdankten den Einfluß und die Ehre ihres Standes wesentlich auch dem gleichzeitigen Besitze der alten Opferhymnen, Gebete, Heil- und Zaubersprüche. Diese wurden von den Bischöfen und Geistlichen auf’s Strengste verpönt. Bald wurde die Verfolgung auf den ganzen Sängerstand ausgedehnt. Man trachtete den gesammten Erbschatz als die Wurzel des Heidenthums auszurotten. Ja, man ging, wie schon oben bemerkt, eine Zeitlang ernstlich damit um, dem Volke die lateinische Sprache aufzudrängen; denn man erkannte mit großen Scharfblicke, daß die germanischen Sprachen der neuen Religion ein fast unüberwindliches Hinderniß in den Weg legten, weil sie bis in ihr feinstes Gefäser von heidnischen Vorstellungen durchdrungen waren, wie das namentlich unsere deutsche Sprache bis auf den heutigen Tag fast unvermindert geblieben ist. Hierin aber mußte die Kirche nachgeben. Ja, sie sah sich genöthigt, einen großen Theil des Heidenthums selbst in kirchlicher Vermummung zu erhalten, um dadurch über die Gemüther einige Macht zu gewinnen. Ihre Feste zur Sitte durchzusetzen fand sie kein anderes Mittel als die Wahl der altheidnischen Festtage und die Uebertragung der Götter- und Heldensagen auf ihre Heiligen. So ist z. B. die Legende vom heiligen Georg, dem Erleger des Lintwurms, die verchristlichte Sigfridsage, und wer im Gesetze dieser Verwandlung den Schlüssel besitzt, dem thun sich viele der katholischen Heiligengeschichten auf als reiche Fundkammern für unsere Sage und Mythologie.

Zwar kein Verbot, keine Drohung vermochte die alten Gesänge ganz zu beseitigen, wie denn ihr Inhalt noch heutigen Tages in unseren Märchen fortlebt. Aber ihre Inhaber geriethen in Mißachtung. Von den Fürstenhöfen und aus den Kreisen des Adels verdrängt zu den niederen Ständen, mußte die alte epische Kunst selbst desto mehr herunterkommen, je niedriger die Bildungsstufe der Hörer war, bei denen sie noch Zutritt zu hoffen hatte. Der edle Styl des alten Heldengesanges artete aus in den rohen Ton der Bänkelsängerei. Vieles wurde vergessen, vieles entstellt durch trübe Beimischung, durch den Wunsch, die Gruselsucht der Menge mit den tollsten Unmöglichkeiten und haarsträubenden Schauergeschichten zu befriedigen. Die heidnischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1875). Leipzig: Ernst Keil, 1875, Seite 475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1875)_475.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)