Das Mpox-Virus könnte sich erneut international ausbreiten, warnen Forschende. Dieses Mal handele es sich jedoch um die gefährlichere Klade I, die in der Demokratischen Republik Kongo aktuell die Fallzahlen in die Höhe treibt. Zudem bereitet eine mutierte Variante Sorge.
Allein in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) wurden im Jahr 2024 bereits mehr als 9 000 Mpox-Fälle gemeldet, darunter mehr als 400 Todesfälle. Damit sei der Höhepunkt der Fallzahlen aus dem Jahr 2023 schon jetzt überschritten, berichtete Dr. Rosamund Lewis, Leiterin für Mpox bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei einer Pressekonferenz der Vereinten Nationen in Genf am 25. Juni (1). Es handelt sich bei dem Ausbruch um Mpox-Klade I. Sie ist für ihre höhere Virulenz und Sterblichkeit im Vergleich zu Klade II, die die Epidemie im Jahr 2022 zu verantworten hat, bekannt (Kasten). „Die Sterblichkeitsrate liegt in der DR Kongo bei fast 5 %“, sagte Lewis über den Klade-I-Ausbruch. Fast jede 5. infizierte Person sei zudem ein Kind, betonte die WHO-Expertin. Bei ihnen könne eine noch höhere Sterblichkeit (Case Fatality Rate, CFR) beobachtet werden.
Lange Zeit war das Virus der Klade I auf Zentralafrika beschränkt. Inzwischen häufen sich die Berichte einer Ausbreitung auf Nachbarländer und andere Regionen, die der WHO Anlass zur Sorge geben. Zudem zirkuliert seit September 2023 eine neue Variante der Klade I, die schon im April einige Forschende veranlasste, eine Warnung auszusprechen (2).
Jetzt könnte sich die Situation weiter zuspitzen: Das Risiko, dass sich Mpox noch weiter ausbreitet, auch über die Grenzen hinweg, sei erheblich, warnte Prof. Trudie Lang von der University of Oxford bei einer Pressekonferenz des britischen Science Media Centers (SMC-PK) Ende Juni. Leandre Murhula Masirika, Forschungskoordinator in der Demokratischen Republik Kongo ergänzte, dass es bezüglich Mpox keine Grenzkontrollen gebe und die Millionenstadt Goma einen internationalen Flughafen habe. Hinzu komme, dass nach der Regenzeit nun die Trockenzeit folge, in der die Menschen mobiler seien.
Adaptation an den Menschen
Erstmals wurde die neue Variante des Klade I Mpox-Virus (MPOXV) in der schwer erreichbaren Gesundheitszone Kamituga in der Provinz Süd-Kivu bei Sexarbeitenden per Genomsequenzierung identifiziert. Die WHO schreibt in ihrem Lagebericht vom 14. Juni, dass sich dieses Mpox-Cluster inzwischen ausgebreitet habe auf 19 von 34 Gesundheitszonen (3).
„Wir haben bereits mehr als 200 Mpox-Proben aus der Provinz Süd-Kivu sequenziert, die der mutierten Klade I entsprechen“, sagte Masirika auf Nachfrage des Deutschen Ärzteblatts (DÄ). Die neu sequenzierte Klade I weist vorwiegend Mutationen vom Typ APOBEC3 auf, was auf eine Anpassung des Virus an die Verbreitung unter Menschen hindeutet (3, 4, 5).
Die tatsächlichen Fallzahlen könnten weit darüber liegen, befürchtete Trudie Lang, die Professorin für Global Health Research und Direktorin des Global Health Networks ist. Denn asymptomatische Personen bleiben unerkannt. Ähnlich wie zu Beginn der COVID-Pandemie gebe es zum jetzigen Zeitpunkt noch viele unbekannte Infizierte, warnte Lang.
Neu für die mutierte Mpox-Klade I im Vergleich zur ursprünglichen Klade I ist, dass sie sich jetzt auch durch sexuellen Kontakt überträgt. Personen können sich wie schon zuvor auch über nichtsexuellen direkten Kontakt anstecken. Auch in Schulen, am Arbeitsplatz und zwischen Personen eines Haushalts wurden so bereits Transmissionen beobachtet, berichtete John Claude Udahemuka, Dozent an der University of Ruanda bei der SMC-PK.
In einem Preprint schlagen Forschende der University of Kinshasa in DR Kongo den Namen Mpox Ib vor - die ursprüngliche Klade I sollte folglich in Klade Ia umbenannt werden (6). Die WHO hat diese Nomenklatur noch nicht übernommen.
Risiko für Schwangere
Besorgt zeigten sich Udahemuka, Masirika und Lang aber nicht nur wegen des internationalen Flughafens, der Trockenzeit, der hohen CFR bei Kindern und der vermutlich hohen Dunkelziffer an Infizierten. Im Gegensatz zur Klade II habe die neue Klade eine „alarmierende“ Zahl von Fehlgeburten bei jungen Frauen verursacht, betonten die Forschenden bei der SMC-PK. Das Virus werde von der Mutter auf das Kind übertragen. Die genaue Zahl sei allerdings schwer zu ermitteln, räumte Masirika auf Nachfrage des DÄs ein: „Im Krankenhaus von Kamituga gab es etwa 10 bis 15 Fehlgeburten.“ Auch in Süd-Kivu wurden mehrere Fälle bei schwangeren Frauen gemeldet, sagte der Forschungskoordinator der DR Kongo.
Die Angaben zu häufigeren Aborten basieren auf Erfahrungsberichten, für die es noch keine verlässlichen Daten gebe, erläuterte Prof. Dr. med. Leif Erik Sander von der Charité Berlin im Interview mit dem DÄ (siehe nächste Seite). Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2022 konnte gerade mal 4 Fallberichte mit 7 hospitalisierten schwangere Frauen auswerten, die sich im 1. und 2. Schwangerschaftstrimester infiziert hatten (7). Sie stammten aus Nigeria und DR Kongo, wo das Virus endemisch ist. In 3 von 7 der Fälle kam es zu Fehlgeburten, 2 Feten überlebten die Geburt. Eine weitere Studie aus 2023 untersuchte 4 schwangere Frauen, die sich mit der Klade I infiziert hatten. Das führte zu 2 Fehlgeburten, einem totgeborenen Fetus mit bestätigter Infektion und Mpox-Syndrom und einer Lebendgeburt. Die beiden Autoren aus den USA schlussfolgern, dass es je nach Mpox-Klade Unterschiede im Risiko für negative perinatale Folgen zu geben scheint (8).
Appell zum Impfen
Man müsse jetzt das öffentliche Gesundheitsbewusstsein stärken, um Übertragungen zu minimieren, forderte Lang von der Universität Oxford. „Wirklich wichtig wäre eine Impfkampagne“, bestärkte auch Sander. Seit Kurzem liegt für die DR Kongo eine Notfallzulassung sowohl für die Impfung Jynneos von Bavarian Nordic als auch für LC16 von KM Biologics vor (9). Bei Jynneos handelt es sich um ein replikationsdefizientes MVA-Virus (modifiziertes Vaccinia-Virus Ankara) der 3. Generation. Dieser Impfstoff, der in Deutschland während des Mpox-Ausbruchs 2022 erfolgreich gegen Klade II eingesetzt wurde, helfe mutmaßlich beim aktuellen Klade-I-Ausbruch, sagte Sander dem DÄ. Er selbst habe mit seinem Team eine große, noch unveröffentlichte Studie zur Sicherheit und Wirksamkeit das MVA-Impfstoffs durchgeführt und könne bestätigen, dass der Impfstoff sehr sicher und gut verträglich sei (10).
Bedeutung für Deutschland
In Deutschland seien im Ausbruchsgeschehen seit Mai 2022 bislang nur Infektionen mit Klade IIb berichtet worden, keine mit Klade I, schreibt das Robert-Koch-Institut (RKI) auf seiner Webseite (11, 12, Stand 26. Juni). Man gehe aktuell nicht von einer erhöhten Gefährdung in Deutschland aus, beobachte die Situation aber weiter sehr genau und werde die Empfehlungen bei Bedarf anpassen. Die Diagnostik, Behandlung und auch die Indikation zur Impfung unterscheiden sich demnach zwischen Klade I und II nicht. Dies gelte auch für die weiteren Maßnahmen zum Infektionsschutz. ■
3 Fragen an ... Prof. Dr. med. Leif Erik Sander, Direktor der Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin, Charité – Universitätsmedizin Berlin
Wie unterscheidet sich die aktuelle Situation im Kongo von der Epidemie 2022?
Die Situation ist vor allem für die Menschen in der Demokratischen Republik Kongo (DRC) kritisch. Für Klade I waren bisher selbstlimitierende Infektionsketten von maximal 6 Generationen bekannt. Jetzt scheint es eine ausgeprägte Verbreitung zu geben – mit neuerdings auch sexueller Übertragung. Ein Großteil der über 9 000 Infektionen in der DRC allein im Jahr 2024 gehen auf die ursprüngliche Klade I zurück, die im Vergleich zur Klade II deutlich gefährlicher ist. Vor allem Kinder sind schwerer betroffen. Ob die nun in Süd-Kivu entdeckte mutierte Variante der Klade I ansteckender oder gefährlicher ist als die ursprüngliche Klade I, ist noch ungewiss. Die Case Fatality Ratio (CFR) ist noch nicht klar. Kolleginnen mit Kontakten vor Ort berichten, dass die CFR womöglich etwas niedriger als die bisher für Klade I berichtete CFR von 1–12 % ist. Allerdings fehlen noch belastbare Daten. Auch die Angaben zu häufigeren Aborten basieren auf Erfahrungsberichten, für die es noch keine verlässlichen Daten gibt. Dennoch müssen wir diese Berichte und den gesamten Ausbruch sehr ernst nehmen.
Wie schätzen Sie das Risiko einer Verbreitung der Klade I nach Europa ein?
Die Krankheit ist in der Millionenstadt Goma angekommen – eine instabile Grenzregion mit einem internationalen Flughafen. Auch in den Nachbarländern Burundi, Ruanda, Kamerun und in der Republik Kongo wurden Mpox-Fälle bestätigt. Eine überregionale Verbreitung ist somit wahrscheinlich und ich sehe ein reales Risiko, dass sich das Virus über kurz oder lang international verbreitet. Eine Impfkampagne in den betroffenen Regionen ist jetzt entscheidend für die Eindämmung des Ausbruchs und für den Schutz der lokalen Bevölkerung. Die kürzlich in DR Kongo erteilte Notfallzulassung für 2 Impfstoffe gegen Mpox ist daher ein sehr wichtiger Schritt. Jetzt muss die internationale Gemeinschaft zusammen mit der Regierung der DR Kongo ausreichende Mengen Impfstoff verfügbar machen. Wenn möglich sollten begleitend weitere Daten zur Sicherheit und Wirksamkeit erhoben werden. In der aktuellen Situation hielte ich aber placebokontrollierte Studien, wie von einigen Akteuren gefordert, für ethisch ebenso wenig vertretbar wie während des Ausbruchs der weniger gefährlichen Klade II im Sommer 2022.
Was ist aus medizinischer Sicht in Deutschland zu beachten?
Medizinisches Personal sollte bei Reiserückkehrern aus der DRC und auch Nachbarstaaten auf Zeichen einer Mpox-Infektion achten. Begründete Verdachtsfälle sollten isoliert werden und neben der herkömmlichen Diagnostik auch Proben an das Konsiliarlabor für Orthopocken am RKI geschickt werden. Dort lässt sich bestimmen, um welche Klade und Variante es sich handelt. Die höchste Viruskonzentration findet sich in den Haut- oder Schleimhautbläschen und im Schorf. Der direkte oder indirekte Kontakt mit diesen Läsionen birgt somit das höchste Übertragungsrisiko. Auch in Speichel oder anderen Körperflüssigkeiten lässt sich das Virus nachweisen, jedoch ist die Ansteckungsgefahr nicht ganz klar. Geltende Hygienemaßnahmen sollten beachtet werden.
1. | Pressekonferenz der Vereinten Nationen in Genf, 25. Juni 2024; https://www.unognewsroom.org/story/en/2240/un-geneva-press-briefing-25-june-2024 (last accessed on 3 july 2024). |
2. | Meyer R, Gross G: Mpox: Forscher warnen vor neuer Variante aus dem Kongo. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/150915/Mpox-Forscher-warnen-vor-neuer-Variante-aus-dem-Kongo (last accessed on 3 july 2024). |
3. | WHO Disease Outbreak News, 14.6.2024: Mpox – Democratic Republic of the Congo. https://www.who.int/emergencies/disease-outbreak-news/item/2024-DON522 (last accessed on 3 july 2024). |
4. | Masirika LM, Udahemuka JC,Ndishimye P et al.: Epidemiology, clinical characteristics, and transmission patterns of a novel Mpox (Monkeypox) outbreak in eastern Democratic Republic of the Congo (DRC): an observational, cross-sectional cohort study. medRxiv preprint DOI: https://doi.org/10.1101/2024.03.05.24303395 CrossRef PubMed Central |
5. | Masirika LM, Udahemuka JC, Schuele L et al.: Ongoing mpox outbreak in Kamituga, South Kivu province, associated with monkeypox virus of a novel Clade I sub-lineage, Democratic Republic of the Congo, 2024. Euro Surveill. 2024 Mar; 29 (11): 2400106. DOI: 10.2807/1560–7917.ES.2024.29.11.2400106 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
6. | Vakaniaki EH, Kaciat C, Kinganda-Lusamaki E et al.: Sustained Human Outbreak of a New MPXV Clade I Lineage in Eastern Democratic Republic of the Congo. medRxiv 2024; DOI: 10.1101/2024.04.12.24305195 CrossRef |
7. | D‘Antonio F, Pagani G, Buca D et al.: Monkeypox infection in pregnancy: a systematic review and metaanalysis. Am J Obstet Gynecol MFM. 2023 Jan; 5 (1): 100747. DOI: 10.1016/j.ajogmf.2022.100747 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
8. | Schwartz D, Pittman P: Mpox (Monkeypox) in Pregnancy: Viral Clade Differences and Their Associations with Varying Obstetrical and Fetal Outcomes. Viruses 2023 Jul 28; 15 (8): 1649. DOI: 10.3390/v15081649 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
9. | Rigby J, Rolley S: Kongo genehmigt Mpox-Impfstoffe zur Eindämmung des Ausbruchs. Marketscreener 2024. https://de.marketscreener.com/kurs/aktie/BAVARIAN-NORDIC-A-S-1412846/news/Kongo-genehmigt-Mpox-Impfstoffe-zur-Eindammung-des-Ausbruchs-47250061/ (last accessed on 3 july 2024). |
10. | EMA: Safety and Effectiveness of MVA-BN vaccination against MPXV infection in at-risk individuals in Germany (SEMVAc) (DRKS ID: DRKS00029638 (SEMVAc)). https://catalogues.ema.europa.eu/node/3542/administrative-details (last accessed on 3 july 2024). |
11. | RKI: Mpox in Deutschland, Stand 26.6.2024. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/A/Affenpocken/Ausbruch-2022-Situation-Deutschand.html?nn=2386228 (last accessed on 3 july 2024). |
12. | RKI: Antworten auf häufig gestellte Fragen zu Mpox, Stand 26.6.2024. https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Affenpocken/affenpocken_gesamt.html (last accessed on 3 july 2024). |
13. | Ladnyj ID, Ziegler P, Kima E: A human infection caused by monkeypox virus in Basankusu Territory, Democratic Republic of the Congo. Bull World Health Organ. 1972, 46 (5): 593–7. |
14. | Grabmeier-Pfistershammer K: Mpox – ein neuer Name für eine alte Krankheit oder doch alles anders? hautnah 2023, 22, 46–54, DOI: 10.1007/s12326–023–00553–6 CrossRef |
15. | ECDC: Outbreak of mpox caused by Monkeypox virus clade I in the Democratic Republic of the Congo. https://www.ecdc.europa.eu/en/news-events/outbreak-mpox-caused-monkeypox-virus-clade-i-democratic-republic-congo (last accessed on 3 july 2024). |
16. | Africa CDC Weekly Event Based Surveillance Report. https://africacdc.org/download/africa-cdc-weekly-event-based-surveillance-report-march-2024/ (last accessed on 3 july 2024). |
17. | Formenty P, Muntasir MO, Damon I, et al.: Human monkeypox outbreak caused by novel virus belonging to Congo Basin clade, Sudan, 2005. Emerg Infect Dis. 2010 Oct; 16 (10): 1539–45. DOI: 10.3201/eid1610.100713 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
18. | Likos AM, Sammons SA, Olson VA et al.: A tale of two clades: monkeypox viruses. J Gen Virol. 2005 Oct; 86 (Pt 10): 2661–72. DOI: 10.1099/vir.0.81215–0 CrossRef MEDLINE |
19. | Americo JL, Earl PL, Moss B: Virulence differences of mpox (monkeypox) virus clades I, IIa, and IIb.1 in a small animal model. Proc Natl Acad Sci U S A. 2023 Feb 21; 120 (8): e2220415120. DOI: 10.1073/pnas.2220415120 CrossRef MEDLINE PubMed Central |
20. | Ajmera K, Shah H, Chourasia P et al.: Current Evidence and Practice Guidelines of Systemic Complications of 2022 Mpox Outbreak: A Scoping Review. Cureus. 2023 Sep; 15 (9): e45754 CrossRef |
21. | Meyer R: Mpox: Studien bestätigen hohe Wirksamkeit der Impfung. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/143367/Mpox-Studien-bestaetigen-hohe-Wirksamkeit-der-Impfung (last accessed on 3 july 2024). |