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ArchivDeutsches Ärzteblatt15/2024Notfallversorgung: Reform soll für deutliche Entlastung sorgen

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Notfallversorgung: Reform soll für deutliche Entlastung sorgen

Beerheide, Rebecca; Haserück, André

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Ziel der nun ins parlamentarische Verfahren gegebenen Notfallreform ist es, Hilfesuchende im Akut- und Notfall schneller in die passende Behandlung zu vermitteln und Notfalleinrichtungen effizienter zu nutzen. Die geplanten Umsetzungsvorgaben sorgen allerdings für viel Kritik.

Foto: picture alliance/dpa/Bernd Weißbrod
Foto: picture alliance/dpa/Bernd Weißbrod

Das Bundeskabinett beschloss vergangene Woche den Gesetzentwurf zur Reform der Notfallversorgung. Das Regelungspaket soll vor allem für eine bessere Patientensteuerung, aber auch einen Ausbau der Versorgungsangebote sorgen und so die Notaufnahmen entlasten. Eine solche Reform sei dringend notwendig und „überfällig“, sagte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Derzeit sei die Notfallversorgung regional qualitativ höchst unterschiedlich aufgestellt; zudem seien viele Notfallambulanzen überfüllt. Auch die Verzahnung zwischen Praxen und Krankenhäusern funktioniere nicht. „All dies wird systematisch mit einem großen Gesetz angegangen“, so Lauterbach.

Laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) würden aktuell zudem bereits Inhalte für eine Reform des Rettungsdienstes erarbeitet – diese sollen im parlamentarischen Verfahren noch Teil der Notfallreform werden. Eine Rettungsdienstreform solle schnellstmöglich in die Beratungen eingebracht werden, betonte Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen, im Rahmen der Vorstellung eines Rechtsgutachtens des ehemaligen Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Dr. jur. Udo Di Fabio. Dieser bemängelte, dass deutsche Rettungswesen befinde sich in einer „Systemkrise“, da es keine gleichen Qualitätsstandards oder ein funktionierendes digitales Rettungsdienstsystem gebe. Zudem gebe es erhebliche regionale Qualitätsunterschiede zwischen Stadt und Land. Durch diese Qualitätsunterschiede sieht Di Fabio das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit, einer Schutzpflicht des Staates, nicht erfüllt. Der Staat sei dazu verpflichtet, diesen Schutz mit einem funktionierenden Rettungsdienstsystem zur Verfügung zu stellen.

Das nun beschlossene Maßnahmenpaket umfasst die bereits bekannten Inhalte des teils scharf kritisierten Referentenentwurfs für ein Gesetz zur Reform der Notfallversorgung (Notfall Gesetz). Dies betrifft auch die Pläne, die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) zu verpflichten, durchgängig eine telemedizinische sowie eine aufsuchende Versorgung bereitzustellen. Zudem sollen künftig sogenannte Akutleitstellen der KVen die bisherigen Aufgaben der Terminservicestelle im Bereich der Akutfallvermittlung wahrnehmen und mit den Rettungsleitstellen in einem „Gesundheitsleitsystem“ vernetzt werden – inklusiver wechselseitiger digitaler Fallübergabe. Umgesetzt werden soll auch eine verpflichtende Beteiligung der KVen und ausgewählter Krankenhäuser an Integrierten Notfallzentren (INZ). Die Standorte sollen von den Selbstverwaltungspartnern nach bundeseinheitlichen Rahmenvorgaben im erweiterten Landesausschuss festgelegt werden. Bayerns Gesundheitsministerin Judith Gerlach (CSU) forderte von der Bundesregierung Nachbesserungen bei der Reform. „Für Flächenländer wie Bayern ist wichtig, dass die Regelungen der Notfallreform den Bogen beim verfügbaren Personal nicht überspannen. Personalvorgaben, die nicht umsetzbar sind, bringen niemandem etwas und würden nur die ambulante Versorgung in der Fläche zusätzlich gefährden.“

Knackpunkt ärztliches Personal

Die Bundesvorsitzenden des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Prof. Dr. med. Nicola Buhlinger-Göpfarth und Dr. med. Markus Beier, erklärten, niemand im Gesundheitswesen bestreite, dass es dringend eine Reform der Notfallversorgung brauche. Mit dem nun vom Kabinett beschlossenen Entwurf mache sich die Bundesregierung jedoch etwas vor. „Die Pläne mögen zwar gut gemeint sein, sind jedoch in dieser Form nicht umsetzbar und sollten daher im parlamentarischen Verfahren grundlegend angepasst werden.“ Die Bundesregierung verspreche Versorgungsangebote, ohne zu sagen, woher das Fachpersonal dafür kommen solle, so Buhlinger-Göpfarth und Beier. Die Hausarztpraxen könnten „jedenfalls definitiv keine Fachkräfte entbehren“. Zudem brauche man keine neuen Parallelstrukturen – sondern „ausgewählte, gut ausgestattete und effiziente Angebote“. So könne beispielsweise eine stärkere Steuerung der Versorgung durch Hausärztinnen und Hausärzte die Überforderung der Notaufnahmen eindämmen.

Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, begrüßte hingegen den Kabinettsbeschluss. Das NotfallGesetz enthalte viele richtige Ansatzpunkte, um die Versorgung zu verbessern. Elemente wie INZ als Anlauf- und Steuerungsstellen sowie ein Ersteinschätzungsverfahren fordere man bereits seit Längerem. Der GKV-Spitzenverband unterstützt zudem die vorgesehenen Anpassungen beim Sicherstellungsauftrag der KVen in der notdienstlichen Akutversorgung. Allerdings warnte auch der Kassenverband, ein Ausbau der Strukturen müsse mit Augenmaß erfolgen und dürfe die KVen nicht vor unlösbare Personalprobleme stellen.

Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass die Besetzung des Bereitschaftsdienstes nach dem Urteil des Bundessozialgerichts zu den Poolärzten schon heute herausfordernd für die KVen ist. Die Schaffung ausreichender ambulanter und stationärer Kapazitäten sei zwingende Voraussetzung für eine funktionierende Reform der Akut- und Notfallversorgung – hierfür müsse es entsprechende Rahmenbedingungen und Anreize geben. Bundesgesundheitsminister Lauterbach sagte dazu bei der Vorstellung des Kabinettsbeschlusses, man werde das nötige Personal zur Verfügung stellen. Dazu gebe es gute Vorschläge und man werde das „hinbekommen“. Man sei erfreut darüber, „dass Gesundheitsminister Karl Lauterbach weiß, woher das zusätzliche ärztliche Personal für seine Reform der Notfallversorgung kommt“, kommentierte dies der Vorstand der KV Niedersachsen. „Die KVN weiß nicht, woher wir dieses zusätzliche ärztliche Personal nehmen sollen. Schon jetzt fehlen in Niedersachsen über 500 Hausärzte“, sagte der stellvertretende KV-Vorstandsvorsitzende Thorsten Schmidt.

Belastungsgrenze erreicht

Man habe keine weiteren Ärztinnen und Ärzte in der Hinterhand – es müssten dieselben sein, die jetzt schon in den Praxen an der Belastungsgrenze arbeiten, ergänzte der KV-Vorstandsvorsitzende Mark Barjenbruch. Sollten die KVen tatsächlich per Gesetz verpflichtet werden, Ärztinnen und Ärzte in der Akutversorgung für Notdienstpraxen an Krankenhäusern, für telemedizinische Beratungen und für einen fahrenden Bereitschaftsdienst 24/7 einzuteilen, dann müssten im Gegenzug zwangsweise Praxen geschlossen werden.

Inhalte des Gesetzentwurfs

  • Akute Fälle werden künftig nicht mehr von den Terminservicestellen vermittelt, sondern von „Akutleitstellen“. Diese beurteilen die Behandlungsdringlichkeit anhand eines standardisierten Ersteinschätzungsverfahrens und vermitteln Hilfesuchende in die passende Behandlung – die KVen sollen flächendeckend rund um die Uhr telemedizinische und aufsuchende Notdienste zur medizinischen Erstversorgung zur Verfügung stellen.
  • Die Rufnummern 112 und 116117 arbeiten auf Initiative der Rettungsleitstellen künftig verbindlich zusammen und müssen sich digital vernetzen, sodass Patientendaten medienbruchfrei übermittelt werden können.
  • Als neue Struktur für Notfälle werden Integrierte Notfallzentren (INZ) im oder an Krankenhausstandorten flächendeckend etabliert. Krankenhäuser und KVen sollen dort verbindlich zusammenarbeiten.
  • Es ist eine verbindliche paritätische Finanzierung der Strukturen des Notdienstes zwischen KVen und Krankenkassen vorgesehen. Die privaten Krankenversicherungen müssen sich in Höhe von sieben Prozent des von der GKV bereitgestellten Betrags beteiligen.

Info

Mit Änderungsanträgen zum vom Bundeskabinett beschlossenen Notfallreformgesetz soll der Rettungsdienst Teil des Sozialgesetzbuches V gemacht werden und damit Qualitätsvorgaben vonseiten des Bundes vorgeschrieben werden können.

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