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Politik

RKI-Krisenstabsprotokolle: Momentaufnahmen der Coronapandemie

Mittwoch, 24. Juli 2024

Die RKI-Protokolle sind gestern ungeschwärzt veröffentlicht worden. /Screenshot DÄ

Berlin – Die fast 4.000 Seiten umfassenden Protokolle des Coronakrisenstabs am Robert-Koch-Institut (RKI) sind gestern ungeschwärzt veröffentlicht worden. Eine erste Betrachtung zeigt: Es sind Momentaufnahmen, die die unübersichtliche Lage während der Pandemie mit sich häufig verändernden Situationen widerspie­geln und die viel Spielraum für Interpretationen lassen.

Das liegt auch an dem Protokollstil mit etlichen sehr knappen Formulierungen und so manchen sprachlichen Fehlern: Der Kontext und die Bezüge mancher Aussagen sind für Außenstehende oft nicht zweifelsfrei nach­vollziehbar.

Eine Art Fazit oder Aufarbeitung der Pandemiezeit enthalten die Dokumente aus den Jahren 2020 bis 2023 nicht. Ersichtlich wird aber, dass das RKI wohl an einigen Punkten mit politischer Einflussnahme oder derarti­gen Versuchen zu kämpfen hatte.

Mit den Protokollen komme die Komplexität des Geschehens an die Öffentlichkeit, sagte der Medizinstatis­tiker Gerd Antes in einem Beitrag der tagesschau.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) schrieb in einem Beitrag auf der Plattform X (früher Twitter), das RKI habe ohnehin mit seiner Zustimmung vorgehabt, „die RKI-Files des Coronakrisenstabs zu veröffentlichen“. Nun geschehe es ohne den vorherigen Schutz der Rechte Dritter, auch von Mitarbeitern. „Zu verbergen gibt es trotzdem nichts“, betonte er.

Wie die Protokolle öffentlich wurden

Ein Teil der Protokolle war bereits vor einigen Monaten veröffentlicht worden, der Online­blog Multipolar hatte die Freigabe der Dokumente nach eigenen Angaben gerichtlich erstritten. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete.

Ende Mai gab das RKI selbst schließlich die Dokumente aus der Zeit Januar 2020 bis April 2021 an die Öffentlichkeit, die aber immer noch geschwärzte Stellen enthielten. Das RKI verwies auf den Schutz perso­nenbezogener Daten sowie Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Dritter.

Die umfassenden Protokolle und Zusatzmaterialien dazu sind gestern von der freien Journalistin Aya Veláz­quez auf der Seite rki-transparenzbericht.de zum Download bereitgestellt worden. Zur Quelle des Materials schrieb sie auf dem Portal X (früher Twitter): „Ein/e Whistleblower/in, ein/e ehemalige Mitarbeiter/in des Robert-Koch-Instituts, ist auf mich zugekommen und hat mir den Datensatz zugespielt.“

Velázquez gab eine Pressekonferenz unter anderem mit Stefan Homburg, Professor für Öffentliche Finanzen der Leibniz Universität Hannover i.R., der während der Coronapandemie mehrfach Debatten ausgelöst hatte.

Kritik an Ausdruck „Pandemie der Ungeimpften“

Für viele Diskussionen in sozialen Netzwerken sorgte nun die in den Protokollen enthaltene Kritik am Begriff „Pandemie der Ungeimpften“ (Sitzung vom 5. November 2021).

Davon werde in den Medien gesprochen, heißt es darin. „Aus fachlicher Sicht nicht korrekt, Gesamtbevölke­rung trägt bei. Soll das in Kommunikation aufgegriffen werden?“ Und weiter: „Sagt Minister bei jeder Presse­konferenz, vermutlich bewusst, kann eher nicht korrigiert werden.“ Damals war Jens Spahn (CDU) noch Bun­des­gesundheitsminister.

Im Protokoll heißt es kurz dahinter aber auch: „Normalerweise wäre es kein Problem, wenn Personen mild oder asymptomatisch infiziert werden. Die hohe Anzahl Ungeimpfter ist das Problem.“

Der Virologe Martin Stürmer wird in einem Beitrag auf tagesschau.de mit den Worten zitiert: „Die Formulie­rung ‚Pandemie der Ungeimpften‘ ist etwas überspitzt, weil sie suggeriert, dass sich nur Ungeimpfte anste­cken.“

Das stimme so nicht. „Es haben sich ja auch immer wieder Geimpfte angesteckt. Natürlich nicht in dem Aus­maß wie Ungeimpfte, aber es hat natürlich den falschen Eindruck erweckt, dass die Ungeimpften die absolu­ten Pandemietreiber sind.“

Wer sich zu dem Zeitpunkt angesteckt habe und vor allem auch schwer krank geworden sei, sei überwiegend ungeimpft gewesen, sagt Stürmer. Der Bericht verweist zudem darauf, dass damals die neue Delta-Variante aufgekommen war.

Die Kritik am Begriff „Pandemie der Ungeimpften“ ist keineswegs neu, sie wurde damals schon öffentlich vorgebracht. Unter anderem der Virologe Christian Drosten von der Charité in Berlin hatte in einem Interview von November 2021 gesagt: „Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: die Pande­mie der Ungeimpften. Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, wir haben eine Pandemie. Und wir haben Menschen, die noch sehr gefährdet sind, die älteren Ungeimpften.“

Von Weisungen und Ministeriumsvorbehalt

Einige weitere Textstellen werfen Fragen nach der Unabhängigkeit von Entscheidungen des RKI auf, insbe­son­dere, wenn es um das Bundesgesundheitsministerium (BMG) geht, zu dessen nachgeordnetem Geschäfts­be­reich das RKI gehört.

Im September 2021 wird ein RKI-Mitarbeiter mit Äußerungen zu einer ministeriellen Weisung vor Veröffentli­chung einer Aktualisierung eines Papiers zum Kontaktnachverfolgungsmanagement wiedergegeben: „Diese beinhaltete die Berücksichtigung der AG-Tests für die Freitestung auch schon nach 5 Tagen.“

Der neue Passus sorge für Irritation aufseiten der Länder, steht im Protokoll. Und weiter: „Eine derartige Ein­flussnahme seitens des BMG in RKI-Dokumente ist ungewöhnlich. [...] Die wissenschaftliche Unabhängigkeit des RKI von der Politik ist insofern eingeschränkt.“

An einer weiteren Stelle heißt es: „RKI-Ideen sollten intensiver einfließen was nicht so einfach ist, BKAmt (Anm. d. Redaktion: Bundeskanzleramt) fragt zwar direkt an, aber RKI muss mit BMG-Vorbehalt antworten“.

Anfang 2021 wird über ein Konzept zu Eindämmungsmaßnahmen festgehalten: „Stufenplan soll in Abstimm­ung mit dem BMG veröffentlicht werden, allerdings sollte die Einteilung in Stufen auf Basis der Evidenz (durch Studien usw.) erfolgen.“

Aufzeichnungen vom 13.12.2021, kurz nach Lauterbachs Start als Bundesgesundheitsminister, zum Thema Coronaexpertenrat der Bundesregierung deuten hingegen auf eine Akzeptanz unterschiedlicher Positionen hin: „Minister sieht kein Problem darin, wenn keine Übereinstimmung zwischen RKI und Expertenrat besteht, wissenschaftliche Diskussion mit inhaltlichem Streit ist möglich“.

Tagesgeschäft des Krisenstabs

Ausführlich geht es in den Protokollen um Daten und Sachstände zu verschiedenen Themen der Pandemie, über die das RKI auch öffentlich informierte: etwa die Entwicklung der Fallzahlen, aktuelle Ausbrüche, Test­kapazitäten und Todesfälle, die Verfügbarkeit von Impfstoffen, Studienergebnisse, internationale Entwick­lungen sowie Eindämmungsmaßnahmen.

Abgestimmt wurden auch Botschaften, die nach außen kommuniziert werden sollten. Es geht zudem um Ab­sprachen des RKI mit anderen Einrichtungen wie dem Bundesgesundheitsministerium und der Bundeszen­trale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Und es werden etliche Wissenslücken thematisiert und Fragen aufgeworfen.

An manchen Stellen wird explizit deutlich, dass es sich nicht um abschließende, selbsterklärende Betrach­tungen handelt. Eine Textstelle zur Frage der Öffnung von Kitas und Schulen aus dem Frühjahr 2020 etwa wird mit folgenden Worten ergänzt: „Für eine publizierbare Stellungnahme wäre weitere Arbeit notwendig um sicher zu stellen, dass alle vorhandenen Publikationen berücksichtigt wurden.“

Frühe Skepsis mit Blick auf Astrazeneca-Impfstoff

RKI-intern heißt es schon in einem Protokoll von Anfang Januar 2021, der Astrazeneca-Impfstoff sei „kein Selbstläufer“ wie die anderen Impfstoffe, da er „weniger perfekt“ sei. „Einsatz muss diskutiert werden.“

Anfang Februar 2021 wird zu dem Thema festgehalten, die Kommunikation des BMG „sollte jedoch etwas gebremst werden, da bei diesem Impfstoff durchaus gewisse Unterschiede vorliegen“. Näher ausgeführt wird nicht, welche Unterschiede gemeint sind.

Spahn hatte sich im Mai 2021 selbst mit Astrazeneca impfen lassen, und auch für Mitarbeitende am RKI wurde mit Stand Anfang April 2021 nur dieses Vakzin angeboten, wie aus den Protokollen hervorgeht.

RKI: Haben Datensätze weder geprüft noch verifiziert

Das RKI hatte gestern mitgeteilt, dass es die nun veröffentlichten Datensätze weder geprüft noch verifiziert habe. „Soweit in diesen Datensätzen personenbezogene Daten und Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Dritter rechtswidrig veröffentlicht und insbesondere Rechte Dritter verletzt werden, missbilligt das RKI dies ausdrücklich“. © ggr/aerzteblatt.de

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