[go: nahoru, domu]

Zum Inhalt springen

Seite:Die Gartenlaube (1855) 210.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855)

rütteln und darüber hinwegzuspringen oder wenigstens zu sehen und Wasser hinüber zu spritzen suchen, bis sie ihr Obercommandeur, der Mond, der sich fortwährend damit beschäftigt, Oceane in Ebbe und Fluth hin und her zu schaukeln, zurücktreibt, damit sie die Arriere-Garde für die Fluth auf der andern Seite bilden. Also die auferstandenen Southamptoner haben dem Meere Land abgenommen, während es hier ebben mußte, um auf der andern Erdhalbkugel zu fluthen.

Die großen Ocean-Dampfer brauchten nach ihren anstrengenden Reisen Herbergen und Ruhestätten, die ihnen das Meer nicht gönnen wollte. So baute man an den reizenden Gestaden hin Docks und neuerdings Fluth-Docks. Man schloß zunächst 210 Morgen Landes seewärts gegen das Meer durch 1200 Yards lange Bollwerke ab. Von diesen Bollwerken gehen die Weltmeerdampfer ab, nachdem sie innerhalb derselben in vier großen, ruhigen Wasserbetten (Docks) neue Kräfte gesammelt haben. Aber die Ungeheuer bedürfen einer dicken, gesunden, heilen Haut, um ihrer innern Kraft froh zu werden. Deshalb lassen sie sich gern vor der langen Reise von Außen und Unten besehen, ob das tückische Meer keine Achillesfersen ausfindig machen könne. Zu diesem Zwecke muß man die Meeresfestungen auf’s Trockne bringen und gleichsam über sich hin in die Luft halten, ob auch der Himmel nicht durchscheine. Dies vermögen aber Menschenarme, selbst mit Flaschenzügen nicht, weder mit mechanischen, noch den vom Schenkwirth besorgten. So benutzte man die Mondsucht des Meeres, um die Schiffe in die Fluth-Docks hineinzutragen, das Wasser mit der Ebbe dann ablaufen zu lassen und ihm die Thore zu schließen, so daß es während der nächsten Fluth in ohnmächtiger Wuth draußen fluthen und fluchen muß, bis man so gefällig ist, ihm die Thore wieder zu öffnen, aber blos, damit es als gehorsamer Diener das Schiff wieder auf die Schultern nehme und säuberlich hinaustrage. Solcher Fluth-Docks hat man bereits mehrere gebaut, das jetzige aber, welches von zwei großen Dampfschiff-Compagnien construirt und hier in seiner dem Meere zugewandten Hälfte durch Abbildung anschaulich gemacht wird, übertrifft alle bisherigen Wasserbauten an Größe und praktischer Fügung. Es hat eine Länge von 430 Fuß und eine Breite von 88 in der Mitte. Die Fluththore, welche das Meere ausschließen, bilden geöffnet einen Eingang von 80 Fuß Breite. In dieser bedeutenden Ausdehnung halten sie, geschlossen, den Druck des ganzen Oceans zurück, und verziehen keine Miene, so häuserhoch sich der Herr, dem bekanntlich drei Viertheile der ganzen Erdoberfläche gehören, auch an ihnen in die Höhe bäumt und sich die verzweifeltste Mühe giebt, sie aus den Angeln zu heben und sich das Bischen geraubte Land wieder zu nehmen.

In diesem neuen Fluth-Dock werden die größten Meeresdampfungeheuer, wie der Himalaya und selbst der Wellington, ein bequemes, trockenes Bett finden, obgleich sie sich mit ihrem Kiele auf die lange harte Kante von Eisen-Quadraten, die wir in der Mitte angedeutet finden, legen müssen. Aber sie sind in dieser Beziehung nicht verwöhnt und schlafen hier besser, als wir zwischen Daunen. Leer sieht das Bett aus wie ein fünf Stockwerk tiefes ungeheures Grab, wie eine Mulde, eine Wanne, thurmhohe Riesen darin zu baden. Von seinen Rändern oben genießt man die herrlichsten, großartigsten Naturscenen, zwischen denen Industrie und Handel in athemloser, tausendarmiger Kunst und Kraft sich hin und her bewegen. Die großen, dampfenden Boten, die fortwährend aus fernen Welttheilen heranbrausen und abgehen, erweitern die Seele über die Erde hin und erwecken stolze Ahnungen von der Welttheile verbindenden, Völker bildenden und versöhnenden Kulturgewalt des erdumgürtenden Verkehrs und Handels – in der Zukunft, die unsere Kinder und Enkel als schöne Wirklichkeit begrüßen wird.




Schweizerische Charakterbilder.
Heinrich Druey.
Gew. Mitglied der schweizerischen Bundesregierung und Präsident der Eidgenossenschaft.

Die Schweiz hat letzter Tage einen ihrer ausgezeichnetsten und edelsten Söhne und vielleicht den genialsten ihrer Staatsmänner durch den Tod verloren. Möge es einem seiner Compatrioten, der vielfach Gelegenheit gehabt, diesen merkwürdigen Mann in seinem öffentlichen Wirken sowohl als im Privatleben zu beobachten, vergönnt sein, in diesen Blättern dem Geschiedenen einige Worte des Andenkens niederzulegen.

Heinrich Druey wurde geboren in dem freundlichen waadtländischen Grenzdorfe Pfauen (franz. Faoug), den 13. April 1799. Er entstammte einer jener wackern, wohlhabenden Bauernfamilien, welche in der Schweiz, man möchte fast sagen, die Stelle des Adels vertreten, die den eigentlichen Kern des Landes ausmachen und deren schönste Zierden tiefer religiöser Sinn, reger Fleiß und vor allem das sorgfältig genährte Hochgefühl der Unabhängigkeit bilden. Diese Jugendeindrücke, welche Druey aus dem älterlichen Hause mit sich in das bewegte Leben hinaus genommen, die Erinnerungen an die reizenden Gelände des Murtensees, dessen hellblauer Spiegel sein heimatliches Dorf und den klassischen Boden, wo der mächtige Burgunderherzog sein Heer und sein Leben durch die schweizerische Tapferkeit einbüßte, begrenzt, haben sich nie aus dem Gemüthe des zu poetischen Träumereien geneigten Mannes verwischt. Mit großer Zärtlichkeit verehrte er stets seine schlichten Aeltern und namentlich seine Mutter, die bis zur Vergötterung an ihrem später im Vaterlande so berühmt gewordenen Sohne hing. Von Pfauen aus besuchte der Knabe die Schule des auf den Trümmern der mächtigen alten Römerstadt Aventicum stehenden kleinen Städtchen Vifflisburg, später eine Privaterziehungsanstalt in Bern und schließlich die Akademie in Lausanne, auf welcher vorzüglich in der damaligen Zeit ein reges, wissenschaftliches Leben herrschte. Mehrere später zu ausgezeichnetem Rufe gelangte Schweizer gehörten dort zu Druey’s Comilitonen und Freunden, worunter namentlich die Gebrüder Vuillemin, von Pforten, Favre und Briathe hier genannt zu werden verdienen.

Tüchtig vorgebildet zog er im Jahre 1819 nach dem Lande seiner Wünsche und der tiefen Denker, nach Deutschland, um dort vorläufig an der Universität Tübingen die Jurisprudenz zu studiren. Von dort begab er sich nach Heidelberg, wo er sich die persönliche Freundschaft des berühmten Geschichtschreibers Professor Dr. Schlossererwarb. Damals hatte Hegel’s Ruf seinen Glanzpunkt erreicht. Dieser zog den wissensdurstigen jungen Waadtländer weg von den freundlichen Ufern des Rheins nach Berlin, wo er mit glühendem Eifer alle sprachlichen Hindernisse überwindend sich dem Studium der Hegel’schen Philosophie hingab, zu deren Anhängern er später immer zählte. In Savigny’s Vorlesungen bereicherte er zugleich den Schatz seines juristischen Wissens. Hier wurde er wieder mit mehrern wissenschaftlich berühmten Persönlichkeit, namentlich mit dem geistreichen Professor Gans bekannt. Seine Studien in Deutschland beschloß er in Göttingen.

Deutsche Wissenschaft hatte nun der feurige junge Waadtländer an vier Universitäten mit unermüdlichem Eifer studirt, und dazu auch deutsches Volk und deutsche Sitten in vielen kleinern und größern Kreisen kennen gelernt, und nie hat sich das Andenken an diese schöne Zeit aus dem Gedächtnisse des Mannes verwischt, aus dessen ganzem Wesen später französische Leichtigkeit und deutsche Gründlichkeit, deutscher Tiefsinn und französisches Feuer in wunderbarer Mischung hervorleuchteten.

Von Deutschland begab sich Druey zu Fortsetzung einer juristischen und staatswissenschaftlichen Studien nach Paris. Auch hier verschafften die glänzenden Geistesgaben des jungen Schweizers ihm die Bekanntschaft und freundschaftliche Achtung mancher berühmten Persönlichkeit. Guizot, Barrot, Mignet, Thiers zählten zu seinen vertrautern Bekannten, und ersterer würdigte seine Kenntnisse so gut, daß er später mehrere Versuche machte den talentvollen Waadtländer für den französischen Staatsdienst zu gewinnen.

Druey vollendete seine Bildung in England und lebte sechs Monate in London in dem Hause des Redacteurs des „Morning

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1855). Leipzig: Ernst Keil, 1855, Seite 210. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1855)_210.jpg&oldid=- (Version vom 18.4.2023)