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Seite:Die Gartenlaube (1889) 840.jpg

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889)

meiner Mutter sah und nicht mehr von der Welt kannte, als diese ihr zu zeigen für gut fand. Nun ihr aber meine Liebe neue, ungeahnte Aussichten erschlossen hatte, an denen sie ermessen konnte, was ihr bevorstand, erwachten die angeborene Leidenschaft und der Stolz der Polin in ihr und empörten sich gegen den Zwang.

„Mach’ ein Ende!“ beschwor sie mich, wenn sie einen Augenblick Zeit gefunden hatte, sich von der Aufsicht, unter der sie mein Bruder hielt, frei zu machen, um in meine Arme zu eilen. „Flieh’ mit mir, verlange mich offen von ihm als Dein Weib, tödte mich, mach’ mit mir, was Du willst, nur so laß mich nicht länger leben!“

Und ich, der Titan, der Himmelsstürmer, der Feigling, ich versprach’s ihr und verschob die Ausführung des Entschlusses von einem Tag auf den andern.

Der Mutter Geburtstag kam so heran. Alle feierten ihn, die Familie, die Nachbarn, die zur Gratulation angefahren kamen, die Dienerschaft, für die der Tag ein besonderer Festtag war, nicht nur, weil sie insgesammt ihre Herrin liebten, sondern auch, weil er ihnen selbst eine Reihe herkömmlicher Vergünstigungen brachte, alle mit aufrichtigem Herzen, mit ungeheuchelter Freude. Nur ich vermochte es nicht und Mira. Denn was galten ihr, der Mutter, alle in noch so großer Zahl dargebrachten Geschenke gegen das eine, das sie sich selbst bereitet hatte, das Huberts Verlobung ihr gewährte, und eben das eine konnten wir ihr nicht gönnen. Alle Glückwünsche übertrug sie im Grund ihres Herzens auf ihn, sein Glück war das ihre; der Tag, den ich seit meiner Kindheit aus vollem Herzen festlich mitzubegehen gewohnt war, vermehrte heute nur meine Qual.

Die Gelegenheiten, da wir uns allein sehen konnten, wurden seltener; Miras Widerstreben, ihr Ekel gegen die Zärtlichkeiten ihres Bräutigams wuchs, seine Ueberwachung ward eine strengere, er mochte wohl ahnen, was in ihr vorging. Es war auch kein Wunder, immer unverhohlener that sie’s ihm kund, ihm und den andern, denn selbst in meines Vaters Zügen las ich zuweilen die aufsteigende Besorgniß; nur die Mutter schien in blinder Freude über das Glück ihres Lieblings von alledem nichts zu bemerken.

So viel wie nur möglich suchte Hubert sein körperliches Gebrechen jetzt zu verbergen, und es gelang ihm dieses auch bis zu einem gewissen Grad, denn er hatte seine schwachen Kräfte stets in Uebung erhalten und der Trotz verlieh ihm nun neue, stärkere. Es war nicht mehr jene gekränkte Eitelkeit, die ihn plötzlich verzichten ließ damals, als wir beide Evelinen von Langenau in harmloser Weise huldigten, sondern ein prahlerischer Trotz, der ihn festhalten hieß um jeden Preis, was ihm einmal nach seiner und der Eltern Ansicht gehörte. Sein Selbstbewußtsein hatte sich gehoben; wie schon einmal in unserer frühen Kindheit wollte er mir’s gleich thun in allen körperlichen Uebungen.

Er lenkte wie sonst sein kleines Gefährt, das nur für zwei Personen Raum hatte, und bei den Besuchen in der Nachbarschaft, den Spazierfahrten in der Umgegend mußte Mira an seiner Seite sitzen, während die Mutter bei mir auf dem hohen Kutschirwagen Platz nahm, da der Vater, welcher sich in dieser Zeit etwas leidend fühlte, uns selten begleitete.

Einmal standen beide Wagen fahrbereit vor der Thür; ich hatte schon, der Mutter wartend, die Zügel in der Hand, während Huberts Gespann noch von dem Reitknecht gehalten wurde. In diesem Augenblick eilte Mira der Mutter und Hubert, die noch im Haus weilten, voraus, sprang zu mir herauf, forderte mich ungestüm auf, zuzufahren, und da ich zögerte, riß sie mir die Zügel aus der Hand und schlug mit der Peitsche auf die erschrockenen Thiere los, die sich erst zornig aufbäumten und dann blitzschnell mit dem leichten Fuhrwerk zum Hofthor hinaus rasten. Ich hatte Mühe, der Leidenschaftlichen, die am liebsten gleich für immer in die Welt, in die Freiheit hinausgefahren wäre, die Zügel, die sie nicht im mindesten zu regieren wußte, aus der Hand zu winden und die scheu gewordenen Thiere nach einer Strecke des wildesten Laufs zum Stehen zu bringen. Huberts Gefährt jagte hinter uns her, so schnell die kleinen Jucker, die es zogen, nur rennen konnten; aber immerhin brauchte es einige Zeit, bis er uns eingeholt hatte. Diese benutzte ich, um Mira zu überreden, daß sie das Geschehene als einen Scherz darstelle, als welchen es denn auch die erschreckte Mutter bereitwillig aufnahm. Auch Hubert that desgleichen, doch sah ich ihm wohl an, daß es nicht sein Ernst war. Trotzdem überhäufte er Mira, die jetzt natürlich zu ihm umsteigen mußte, sobald er zu Athem gekommen war, mit Ausdrücken zärtlicher Besorgniß, nannte sie seinen kleinen Wildfang, während mich aus dem bleichen, durch die hastige Fahrt erhitzten und entstellten Gesicht ein Blick tödlichen Hasses streifte.

Aber seine Kräfte hatten sich bei der ungewohnten Eile der Verfolgung erschöpft, er vermochte kaum mehr, die Zügel zu halten. Der beabsichtigte Besuch mußte aufgegeben werden, und langsam, im Schritt fuhren wir nach dem Schloß zurück.

Auch Bootfahrten wurden wie vordem unternommen, und da die Mutter wie viele Frauen von je ein Bangen davor gehabt hatte, so war ich auch hierbei der nothgedrungene, durch die Sitte bedingte Begleiter des jungen Paares. Aber Hubert duldete kaum, daß ich am Steuer saß, er allein wollte alles besorgen. Er trieb ein verwegenes Spiel mit dem leichten Fahrzeug, ließ es auf dem Wasser tanzen und schaukeln, daß es mit den Bordrändern die Fluth berührte, oder zwang es zu einer plötzlichen scharfen Wendung, daß es sich schräg auf die eine Seite legte; das alles nur, um seine Kraft, seine Kunst, seinen Muth zu zeigen und in der Hoffnung, uns einen Schreck einzujagen, was ihm freilich nie gelang. Denn Mira saß kalt und theilnahmlos ihm gegenüber und warf nur mir, der ich ihr absichtlich ferne saß, zuweilen einen Blick zu, aus dem mir die ganze Leidenschaft, ach, und auch der ganze Jammer ihrer armen Seele entgegensprühte, der mir all das wiederholte, glühender, dringender wiederholte, was sie mir einst, da wir uns noch unter vier Augen sehen und sprechen konnten, mit beschwörender, verzweifelter Stimme gesagt hatte.

Ach, ich hatte nicht den Muth, ihn zu fliehen, diesen Blick, der täglich vorwurfsvoller, flehender auf mir ruhte, und auch nicht den Muth, ihm Stand zu halten. Ich schämte mich vor ihr und vor mir selbst meiner erbärmlichen Feigheit.

Hubert aber triumphirte und einmal trieb er das verwegene Spiel zu toll, daß der Flußgott sich rächte und ihm ein Ruder aus der Hand schlug, wodurch das Boot, auf einen verborgenen Stein aufrennend, jäh umkippte und Wasser fing. Da war er der erste, der erbleichend einen Schrei des Schreckens ausstieß. Ich aber richtete mit starkem Arm das dem Sinken nahe Fahrzeug wieder auf, schöpfte das eingedrungene Wasser aus, wobei mir Mira tapfer beistand, und lenkte es mit dem einen Ruder zurück zur Landungsstelle, während er unthätig, wie gelähmt da saß und mit finsterem Blick, ohne ein Wort zu sprechen, unseren vereinten Bemühungen zusah.

Freilich, einen Augenblick hatte ich auch gedacht, es wäre das Beste, wenn das Boot vollends umschlüge und wir alle drei, die wir auf der Erde nicht zusammen leben konnten, in den Wellen ein nasses Grab fänden. Ja, es wäre für uns alle das Beste gewesen. Einen Augenblick aber hatte mich auch ein anderer Gedanke durchzuckt, ein schrecklicher, sündhafter, wahnsinniger Gedanke, dem ich hier nicht Worte zu leihen vermag.


5.

Es muß sein, ich muß auch dies noch bekennen und in der Erinnerung, die ich heraufbeschwöre, all das Entsetzen und die Qual jenes Tages nochmals durchleben, der über mein Schicksal entschied und über das ihrige und über – – o meine Mutter, meine arme, geliebte Mutter!

Das Leben in Groß-Stegow wurde von Tag zu Tag unerträglicher für alle, die Mutter allein ausgenommen, die noch immer in dem schönen Wahn von Huberts Glück schwelgte, eifrig mit den Zurüstungen zur Hochzeit beschäftigt war und für alle Zeichen des aufsteigenden Gewitters blind und taub blieb. Der Vater hatte aus Miras auffälligem Benehmen Verdacht geschöpft, und wenn auch sein Vertrauen in mich – o wie schnöde habe ich’s ihm gelohnt! – nicht im geringsten erschüttert war, so bestand er doch nicht mehr, wie das ursprünglich seine Absicht gewesen war, darauf, daß ich längere Zeit in Stegow bliebe, vielmehr wünschte er jetzt, daß ich nach Berlin zurückkehrte und wenigstens die ersten Stufen des Staatsdienstes praktisch durchmachte. Natürlich konnte dies erst nach Huberts Hochzeit geschehen, meine frühere Abreise hätte Aufsehen erregt und Gerüchte, die schon hier und dort in der Nachbarschaft umliefen bestätigt.

Die Tage wurden länger und länger, der längste war nicht mehr fern. Und ich, ich schwankte noch immer zwischen Titanentrotz und knabenhafter Verzweiflung, zwischen kühnem Hoffen und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1889). Leipzig: Ernst Keil, 1889, Seite 840. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1889)_840.jpg&oldid=- (Version vom 3.10.2022)