Forschungsreaktor Geesthacht

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Lage des Forschungsreaktors Geesthacht (GKSS) neben dem Kernkraftwerk Krümmel (KKK)

Der Forschungsreaktor Geesthacht (FRG-1) auf dem Gelände des GKSS-Forschungszentrums in Geesthacht ist mit einer Nennleistung von 5 MW einer der vier großen Forschungsreaktoren in Deutschland. Die produzierten Neutronen werden ausschließlich für die Grundlagenforschung in den Materialwissenschaften und Medizin verwendet. Der Forschungsreaktor soll im Jahr 2010 stillgelegt werden.[1]

Geschichte

Nach der Gründung des GKSS Forschungszentrums (damals noch Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Schiffbau und Schiffahrt mbH) im Jahr 1956 wurde der Forschungsreaktor FRG-1 zusammen mit den zugehörigen technischen Einrichtungen in nur 18-monatiger Bauzeit fertiggestellt. Der Reaktor wurde am 23. Oktober 1958 als dritter Kernreaktor Deutschlands nach den Forschungreaktoren München (FRM) und Rossendorf (RFR) in Betrieb genommen.

Im März 1963 wurde ein zweiter Reaktor (FRG-2) in Betrieb genommen, der mit einer maximalen thermischen Leistung von 15 MW bis zu seiner Abschaltung im Mai 1991 ebenfalls als Neutronenquelle für Materialtests diente. An diesem Forschungsreaktor wurden zudem Untersuchungen zur Sicherheit von Kernanlagen durchgeführt. Beide Reaktoren wurden seit ihrer Inbetriebnahme den gestiegenen Sicherheitsanforderungen, dem aktuellen Stand der Wissenschaft und Technik sowie neuen Forschungszielen angepasst.

Ein konkretes Ergebnis der Forschungen war der Nuklearantrieb für das Forschungsschiff Otto Hahn, das 1964 vom Stapel lief. In den letzten Jahren stand der Forschungsreaktor FRG-1 etwa 250 Tage jährlich den Wissenschaftlern zur Verfügung. Zu Beginn eines jeden Jahres wird der Reaktor etwa 6 Wochen für Sicherheitsüberprüfungen und Anpassungen abgeschaltet.

Zum fünfzigsten Jahrestag der Inbetriebnahme beschlossen die Betreibergesellschafter aus Bund und Ländern am 23. Oktober 2008, den Reaktor in zwei Jahren stillzulegen. Der Rückbau der Anlage wird voraussichtlich zehn Jahre dauern.[2]

Aufbau

Der Forschungsreaktor FRG-1 ist ein Materialtestreaktor vom Typ Schwimmbadreaktor. In der Mitte der 33 × 16 m großen Reaktorhalle befindet sich ein nach oben offenes Reaktorbecken, der Reaktorkern hängt in etwa 7 m Wassertiefe und ist an einer Brücke, die das Becken überspannt, aufgehängt. Die Beckenwand besteht im unteren Teil aus einer 180 cm dicken Schwerbetonschicht mit einer Dichte von 3,5 g/cm3, einer 60 cm dicken Schicht aus normalem Beton (Dichte 2,3 g/cm3) und einer dazwischen liegenden 0,5 cm dicken Stahlwanne.

Die Kühlung des Reaktors erfolgt über zwei voneinander getrennte Kühlkreisläufe, den Primärkreislauf zur direkten Wärmeabfuhr aus dem Reaktorkern und den Sekundärkreislauf zur Wärmeabgabe an die Umgebung über einen Kühlturm. Die beiden Kühlkreisläufe sind über einen Plattenwärmeaustauscher voneinander getrennt. Das Betriebsbecken des Primärkreislaufs hat ein Volumen von 140 m3, wobei sich das Wasser von etwa 40 °C beim Eintritt in das Wasserbecken auf etwa 46 °C beim Austritt aus dem Reaktorkern erwärmt. Die Wasserdurchflussmenge beträgt rund 740 m3 pro Stunde.

Der Forschungsreaktor verwendet zu 20% angereichertes U3SI2 als Kernbrennstoff, wobei 8 Brennelemente und 4 Kontrollbrennelemente im Einsatz sind. Jedes Brennelement enthält 410 Gramm Uran-235, welches in 23 einzelne Brennstoffplatten eingebunden ist. Jedes Kontrollelement enthält 320 Gramm Uran-235 in 17 Brennstoffplatten. Als Absorbermaterial wird Hafnium, als Kühlmittel und Moderator vollentsalztes Wasser eingesetzt. Bei voller Leistung werden pro Tag rund 6 Gramm Uran-235 verbraucht, von denen etwa 5 Gramm gespalten werden und ein Gramm in Uran-236 übergeht.

Die erzeugten Neutronen gelangen durch neun Strahlrohre in die angrenzende Versuchshalle, wo sie an den Experimentiereinrichtungen zur Verfügung stehen. Zur Bündelung der Neutronen werden Beryllium-Reflektoren verwendet. Der ungestörte Neutronenfluss beträgt 1,4 × 1014 n/cm2 s. Darüber hinaus existieren mehrere Positionen am Reaktorkern für Probenbestrahlungen.

Experimentiereinrichtungen

Am Forschungsreaktor sind folgende Experimentiereinrichtungen aufgebaut:

  • GENRA-3 – Neutronenradiographie und -tomographie zur zerstörungsfreien Durchstrahlung von Bauteilen zum Auffinden von Materialfehlern
  • INAA – Neutronenaktivierungsanalyse zur Bestimmung der chemischen Zusammensetzung von Proben
  • TEX-2 – Diffraktometer zur Analyse von Texturen und kristallinen Bereichen z.B. in Gesteinsproben
  • NeRo/PNR – Neutronenreflektometrie zur Untersuchung von dünnen Schichten (1-100 nm) in Kunststoffen und metallischen Werkstoffen
  • SANS-1/SANS-2/DCD – Neutronenkleinwinkelstreuung zur Untersuchung von Defekten und Phasenübergängen in Festkörpern und von Strukturen und kinetischen Phänomenen in Flüssigkeiten und Polymeren
  • FSS/ARES-2 – Diffraktometer zur Eigenspannungsanalyse zur zerstörungsfreien Untersuchung von Eigenspannungen im Inneren von Werkstoffen und Bauteilen
  • GBET – Bestrahlungseinrichtung zur Grundlagenforschung in der Bor-Einfang-Therapie zur Bekämpfung von Tumorzellen
  • Rödi – Röntgendiffraktometer für zusätzliche Röntgenanalysen von Phasen, Eigenspannungen und Texturen sowie Reflektometrie-Untersuchungen
  • HOLONS – Holographie und Neutronenstreuung für simultane Untersuchungen mit Laserstrahlen und Neutronen an holographischen Gittern
  • POLDI – Diffraktometer für polarisierte Neutronen zur Untersuchung magnetischer Materialien

Reaktorüberwachung

Umgebung

Die Umgebung des Forschungsreaktors wird in einem Umkreis von 25 km kontinuierlich auf eventuelle Belastung von radioaktiven Stoffen durch 50 Messstellen überwacht. Zusätzlich werden regelmäßig Boden-, Pflanzen und Wasserproben entnommen. Die direkte Strahlenbelastung durch den Forschungsreaktor ist in der Umgebung der Anlage so gering, dass sie innerhalb der Schwankungen der natürlichen Strahlungsbelastung nicht nachgewiesen werden kann.

Anlage

Die Anlage wird insbesondere auf die Abgabe radioaktiver Stoffe in der Fortluft und dem Abwasser überwacht. Zudem wird die Personendosis, d.h. die Höhe der radioaktiven Strahlenbelastung jedes Mitarbeiters, gemessen. Die mittlere jährliche Strahlenbelastung liegt dabei mit 1 mSv weit unter der nach der Strahlenschutzverordnung maximal zulässige Belastung von 50 mSV. Materialien, die durch die betriebliche Nutzung radioaktiv belastet sein können, werden auf ihre Aktivierung und Kontaminierung überprüft, bei schwacher und mittlerer Strahlung aussortiert und in Fässern bis zur Endlagerung aufbewahrt. Die Brennelemente sind nach einem Jahr Einsatz verbraucht und werden bis zu ihrer Endlagerung in den USA in einem Wasserbecken gelagert.

Vorwürfe

Die beiden Forschungsreaktoren FRG-1 und FRG-2 werden zusammen mit dem Kernkraftwerk Krümmel oft als Ursache für den Leukämiecluster Elbmarsch zitiert.[3]. Mehrere Untersuchungen haben aber bisher keine Hinweise dafür geliefert, dass eine der Anlagen die Ursache für die Krankheitsfälle sein könnte.[2]

Am 12. September 1986 soll bei einem Brand auf dem Gelände des GKSS-Forschungsinstituts, der von mehreren Augenzeugen beobachtet wurde, radioaktive Strahlung freigesetzt worden sein. Der damalige Staatsekretär der Landesregierung Schleswig-Holstein Wilfried Vogt (Die Grünen) inspizierte daraufhin das Gelände und gelangte zu der Überzeugung, dass dort kein Unfall stattgefunden habe. Die Einsatzprotokolle der örtlichen Feuerwehr, die genauere Informationen über einen Brandvorfall enthalten könnten, wurden durch ein Feuer im September 1991 in deren Archiv zerstört.

Der atompolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen des niedersächsischen Landtags Andreas Meihsies und der Physiker Wolfgang Neumann nahmen im September 2007 Einblick in das Archiv des GKSS Forschungszentrums. Dabei konnten sie keinen Hinweis auf einen Zusammenhang zwischen einem angeblichen Störfall bei der GKSS und den Leukämiefällen feststellen.[4]

Quellen

  1. Forschungsreaktor Geesthacht wird stillgelegt, Hamburger Abendblatt vom 24. Oktober 2008
  2. a b Atomkraftwerk wird abgeschaltet, taz.de vom 24. Oktober 2008
  3. Vertuschter Atomunfall/SuperGAU in der BRD von Detlef zum Winkel, Konkret Heft 12/2004
  4. GRÜNE nach Aktenansicht bei der GKSS, Pressemitteilung von Bündnis 90/Die Grünen im Niedersächsischen Landtag vom 18. September 2007

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