Antoniwkabrücke
Die Antoniwkabrücke (ukrainisch Антонівський міст/Antoniwskyj mist, auch als Cherson-Straßenbrücke bezeichnet)[1] war eine Straßenbrücke über den Dnepr in der Oblast Cherson im Süden der Ukraine. Sie wurde im November 2022 beim Rückzug der russischen Truppen aus der Region gesprengt und im nördlichen Bereich komplett zerstört.
Antoniwkabrücke | ||
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Ruine der im Russisch-Ukrainischen Krieg zerstörten Brücke | ||
Offizieller Name | Антонівський міст/ Antoniwskyj mist | |
Nutzung | Straßenverkehr, Fußgängerverkehr | |
Querung von | Dnepr | |
Ort | Antoniwka, Ukraine | |
Konstruktion | Stahlbetonbrücke | |
Gesamtlänge | 1366 m | |
Breite | 25 m | |
Anzahl der Öffnungen | 30 | |
Pfeilhöhe | 17,2 m | |
Baubeginn | 1985 | |
Fertigstellung | 24. Dezember 1985 | |
Zustand | im Russisch-Ukrainischen Krieg zerstört | |
Schließung | 2022 | |
Lage | ||
Koordinaten | 46° 40′ 9″ N, 32° 43′ 14″ O | |
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Eckdaten
BearbeitenDie seit 1977 geplante und 1985 erbaute Brücke wurde am 24. Dezember 1985 eröffnet.[2] Sie befand sich an Flusskilometer 37,4[1] bei der zu Cherson zählenden Siedlung Antoniwka, nach der sie benannt wurde, und verbindet die Großstadt Cherson mit den Städten Oleschky und Hola Prystan. Über die Brücke führte die internationale Fernstraße M 14. Die 1366 m lange und 25 m breite Brücke mit einer 20,5 m breiten Fahrbahn stand auf 31 17,2 m hohen Pfeilern.[1][3][2] Sie besaß auf jeder Fahrbahnseite einen 1,5 m breiten Fußgängerweg.[3]
Die Brücke wurde vor dem russisch-ukrainischen Krieg täglich von durchschnittlich 10.500 Fahrzeugen befahren.[2]
Die Antoniwkabrücke im Russisch-Ukrainischen Krieg
BearbeitenSeit Beginn des russisch-ukrainischen Kriegs war die Brücke ein strategisch bedeutender Versorgungs- und Nachschubweg für die russischen Streitkräfte westlich des Dnepr (insbesondere für die Besatzungstruppen bei Cherson). Aus diesem Grund versuchten die ukrainischen Streitkräfte, die Brücke zu zerstören, während die russischen Truppen nach Angaben des britischen Militärgeheimdienstes versuchten, die Brücke für ihren Vormarsch Richtung Westen instand zu halten.[4][5] Verteidigt wurde die Brücke von zwei ukrainischen Brigaden. Nach dreitägigen Kämpfen nahmen russische Truppen die Brücke schließlich ein.[6]
Die militärische Kontrolle über die Brücke wechselte während der Schlacht von Cherson im Februar 2022 mehrmals. Die russischen Streitkräfte versuchten, mit der Brücke einen Weg von der von Russland besetzten Krim in die Zentralukraine zu schaffen.[7] Die ukrainischen Streitkräfte verloren schließlich am 26. Februar 2022 nach heftigen Kämpfen die Kontrolle über das Gebiet und ließen mehrere tote Soldaten und zerstörte Militärfahrzeuge auf der Brücke zurück.[8][9] In einem täglichen Geheimdienstbericht des Verteidigungsministeriums des Vereinigten Königreichs von Mitte Juli 2022 wurde die Brücke als „zentrale Schwachstelle für russische Streitkräfte“ bezeichnet.[10] Beobachter hielten sie für den wichtigsten Übergang in die von Russland kontrollierten Gebiete westlich des Dnjepr. Die einzige andere Straßenbrücke befindet sich beim Wasserkraftwerk am südwestlichen Ende des Kachowkaer Stausees.[11]
Am 19. Juli 2022 wurde die Brücke durch ukrainisches Raketenfeuer beschädigt, angeblich unter Verwendung von HIMARS-Raketen, die von den Vereinigten Staaten geliefert wurden.[11][12] Am 20. Juli griffen ukrainische Truppen die Brücke zum zweiten Mal in Folge an.[13] Russische Streitkräfte bemühten sich, die Brücke zu reparieren, und sperrten sie vorübergehend für den Frachtverkehr. Am 26. Juli 2022 wurde die Brücke nach ukrainischem Raketenbeschuss mit HIMARS schwer beschädigt.[14] Spätere Berichte und Videoaufnahmen zeigen, dass die Fahrbahnoberfläche der Brücke beschädigt und damit für schwere Fahrzeuge unpassierbar wurde. Die wenige Kilometer flussaufwärts gelegene Eisenbahnbrücke wurde Ende Juli ebenfalls unpassierbar gemacht.
Um Militarfahrzeuge weiterhin zwischen den Ufern über den Fluss zu bewegen, richteten die russischen Truppen Fährverbindungen ein. Eine Verbindung befand sich dabei in unmittelbarer Nähe der Brücke. Bei jeder Überfahrt wurden bewusst militärische und zivile Fahrzeuge gemeinsam befördert, damit die russischen Militärfahrzeuge nicht durch ukrainisches Artilleriefeuer angegriffen werden. Ein derartiger Missbrauch von Zivilisten als menschliche Schutzschilde durch die russischen Truppen stellt einen Verstoß gegen die Genfer Konventionen dar.[15] Die Russen setzten in der Folge außerdem eine behelfsmäßige Pontonbrücke unmittelbar neben der beschädigten Brücke ein; auch diese wurde regelmäßig von der ukrainischen Artillerie beschossen und stand nur zeitweise zur Verfügung.
Am 9. November 2022 gab Russland bekannt, die besetzten Gebiete westlich des Dnepr aufzugeben und sich zurückzuziehen.[16] Im Zuge dieses Rückzugs sprengten sich zurückziehende Truppen die strategisch wichtige Straßenverbindung in der Nacht vom 10. auf den 11. November 2022.[17] Bilder, die ab dem Morgen des 11. November 2022 in den sozialen Medien kursierten, bestätigten die komplette Zerstörung der Brücke an zwei Stellen – einem kurzen Bereich in der Brückenmitte im unmittelbaren Bereich der Schifffahrtsrinne und auf der gesamten Länge in ihrem nördlichen Bereich.[18] Auch die neben der Brücke verlaufende Pontonbrücke wurde zerstört und war nicht weiter einsetzbar. Im Zuge der ukrainischen Gegenoffensive wurde im Sommer 2023 ein erster Brückenkopf im Bereich der Brückenruine errichtet. Zu diesem Zeitpunkt war die ukrainische Armee bereits »seit etwa 1,5 bis zwei Monaten« auf dem russisch kontrollierten Ufer präsent.[19]
Einzelnachweise
Bearbeiten- ↑ a b c Die Cherson-Straßenbrücke auf der Webseite des Fluss-Information-Service der ukrainischen Wasserstraßen; abgerufen am 7. April 2018 (ukrainisch)
- ↑ a b c Antoniwkabrücke feiert dreißigsten Jahrestag ( des vom 8. April 2018 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. auf vtvplus.com.ua; abgerufen am 7. April 2018 (ukrainisch)
- ↑ a b Antoniwkabrücke auf khersonregion.com; abgerufen am 7. April 2018 (ukrainisch)
- ↑ Lawrow: Russland Gebiete über Donbass hinaus einnehmen. In: Die Welt. 21. Juli 2022 (welt.de [abgerufen am 24. Juli 2022]).
- ↑ https://twitter.com/defencehq/status/1550719659468537856. Abgerufen am 24. Juli 2022.
- ↑ Serhii Plokhy: Der Angriff. Russlands Krieg gegen die Ukraine und seine Folgen für die Welt. Hamburg 2023. S. 264.
- ↑ See aftermath of battle over key bridge in Ukraine. Abgerufen am 28. Juli 2022 (englisch).
- ↑ Ukraine loses control over crossing to Kherson. In: Ukrinform. 25. Februar 2022, abgerufen am 28. Juli 2022 (englisch).
- ↑ Nick Paton Walsh: Battle rages for strategic bridge in southern Ukraine after days of fighting. In: CNN World. 26. Februar 2022, abgerufen am 28. Juli 2022.
- ↑ Key bridge in Kherson region ‘badly damaged’ by Ukraine shelling. In: Reuters. 20. Juli 2022 (reuters.com [abgerufen am 28. Juli 2022]).
- ↑ a b Reinhard Veser: Raketenbeschuss: Ukraine beschädigt wichtigen Nachschubweg der Russen. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 28. Juli 2022]).
- ↑ Peter Althaus: Ukraine soll wichtige Brücke in besetztem Gebiet mit Raketen getroffen haben. In: Berliner Zeitung. 19. Juli 2022, abgerufen am 28. Juli 2022.
- ↑ Institute for the Study of War. Archiviert vom am 25. März 2022; abgerufen am 23. März 2024 (englisch).
- ↑ Bridge closed in Russia-held Kherson after HIMARS shelling, official says. In: Reuters. 27. Juli 2022 (reuters.com [abgerufen am 28. Juli 2022]).
- ↑ Christian Mölling, András Rácz: Ukrainische Gegenoffensive – Russland muss seine Truppen neu formieren. In: zdf.de. 5. August 2022, abgerufen am 7. August 2022.
- ↑ Cherson: Russische Armee auf dem Rückzug? Abgerufen am 11. November 2022.
- ↑ Chris King: Unconfirmed reports that Antonovsky bridge over Dnipro river has been destroyed. In: Euro Weekly News. 11. November 2022, abgerufen am 11. November 2022 (britisches Englisch).
- ↑ https://twitter.com/osinttechnical/status/1590990579378577408/photo/1. Abgerufen am 11. November 2022.
- ↑ Christian Mölling, András Rácz: Brückenangriffe: Russland in der Zwickmühle. In: zdf.de. Zweites Deutsches Fernsehen, 10. August 2023, abgerufen am 14. August 2023.