Es gibt eine gewisse Sorte vorübergehender Wikipedia-Teilnehmer, für die es einen typischen Ablauf der Geschehnisse gibt. Ich habe das ganze jetzt schon etliche Male gesehen, und finde es einerseits traurig, andererseits amüsant.
Typischerweise geht das ganze ungefähr so:
- Die Person erfährt von der Wikipedia und ist hingerissen: Eine freie Enzyklopädie! Wo jeder alles reinschreiben darf! Da kann man ja die Sachen unterbringen, die man ganz dringend schon immer mal sagen wollte, aber außerhalb der eigenen Website nirgendwo loswerden konnte.
- Ran an den Speck: Abhängig von dem speziellen Mitteilungsbedürfnis der Person wird eine ausführliche Beschreibung der eigenen Person eingestellt, die allen Kritikern ein für alle Mal Bescheid stößt; die These dokumentiert, die man schon so lange mit sich trägt und die die Welt auf den Kopf stellen wird; alle einschlägigen Artikel von der tendenziösen aber leider verbreiteten politischen Propaganda der korrupten herrschenden Klasse gereinigt; …
- Merkwürdigerweise trifft man auf Widerstand: Agenten der Gegenseite versuchen, die Wahrheit zu unterdrücken und zu verdrehen; sie ändern einfach die eingestellten Texte! Wieso machen sie das? Die Wikipedia ist doch eine freie Enzyklopädie – da darf man doch alles reinschreiben!
- Je nach Gemüts- und Faktenlage wird der Widerstand zuerst ignoriert oder es kommt zum ersten Edit-War. Auf jeden Fall zeigt sich die Gegenseite hartnäckiger und zahlreicher als erwartet, und die eigenen Mittel erweisen sich früher oder später als nicht ausreichend, um sie niederzuringen.
- Unterstützung wird benötigt: Man appelliert in allen sich anbietenden Diskussionen an die Wikipedia-Öffentlichkeit; weist darauf hin, dass die Gegenseite auf illegitime Art ihre Macht ausnutzt; arbeitet die persönlichen und moralischen Defizite der Gegenseite heraus; und macht ganz allgemein klar, dass es natürlich nur eine legitime Sichtweise der Dinge gibt und alle Einlassungen der Gegenseite reine Schutzbehauptungen sind, die nur der Verschleierung der dunklen Absichten dienen.
- Man vermeidet dabei sorgfältig, auf etwaige Angebote konstruktiver Zusammenarbeit – wie Akzeptanz der eigenen Ansichten nach Belegung durch neutrale Quellen – einzugehen, da solche Angebote erstens nur Fallen sein können und es zweitens eine Frechheit ist, die Wahrheit auch noch belegen zu sollen. Sollen die anderen doch belegen, wenn ihnen das so wichtig ist!
- Da auch diese sachliche Argumentation nicht fruchtet, wird mit höheren Instanzen argumentiert respektive gedroht – Gerichte, Presse, bekannte Wikipedianer oder was einem so einfällt.
- Leider stellt sich bald heraus, dass der Gegner die Wikipedia in zu starkem Maße unterwandert hat und die meisten Wikipedianer zu stark eingeschüchtert und/oder indoktriniert und/oder borniert sind. Man führt also an dieser Stelle einen strategischen Rückzug durch und verläßt die Wikipedia wieder, nicht ohne ihr die düsterste Zukunft zu prophezeien und zu beklagen, dass eine so gute Idee so zugrunde gerichtet wurde.
- Besonders Engagierte können dabei noch Aktionen durchführen, die das verderbte Schlangennest namens Wikipedia wachrütteln sollen und von der herrschenden Clique dann als „Vandalismus“ diffamiert werden.
Allen diesen vorübergehenden Gästen ist gemein, dass sie bis etwa Schritt 4 noch unterhaltsam, weil in den Aussagen neu sein können, spätestens aber ab Schritt 5 meist nur noch langweilen, weil sie sich in dutzendmal gesehenen bekannten Bahnen bewegen.
Wobei das natürlich immer nur die unverständigen anderen beschreibt, niemals den dies Lesenden, den konstruktiven und sowieso im Recht befindlichen Leser.