Ärzteschaft
Kriege, Krisen und Repressionen erschweren Arbeit von Ärzteverbänden weltweit
Mittwoch, 8. Mai 2024
Mainz – In Zeiten von Kriegen und Krisen wird es für den Weltärztebund (WMA) immer schwieriger, seine Aufgaben zu erfüllen. Manche Mitgliedsverbände würden zudem unter immer stärkerem Druck der Regierungen in ihren Ländern stehen, erklärte Generalsekretär Otmar Kloiber heute beim 128. Deutschen Ärztetag in Mainz.
In den vergangenen Jahren sei die Situation deutlich gespannter geworden. „Wir spüren, dass diese Aufteilung der Welt, die sich momentan darstellt, in mehr freie und autoritäre Regime, sich offenbar auch in den ärztlichen Gremien, also im Weltärztebund, widerspiegelt“, erklärte Kloiber im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt.
„Die Diskussionen werden härter, die Anwürfe werden stärker“, sagte er. Der Weltärztebund habe zunehmend Schwierigkeiten, den Dialog zwischen den Staaten aufrechtzuerhalten und sich wirklich auf ethische Fragen zu konzentrieren. „Das ist eine Aufgabe, die wir versuchen, zu stemmen, um eine globale Plattform über den Dialog ärztlicher Handlungsweisen zu bleiben.“
Dabei gebe es jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den beteiligten Staaten. Mit den Kolleginnen und Kollegen aus der Volksrepublik China gebe es beispielsweise trotz aller Differenzen weiter Gespräche, die chinesische Delegation sei nach wie vor sehr aktiv im Weltärztebund und bringe sich in Diskussionen ein.
„Bei Russland ist es etwas anders, da haben wir momentan keinen starken Kontakt und keine Teilnahme der russischen Ärzteschaft bei uns“, erklärte Kloiber. „Insofern ist es schon schwierig, an manchen Stellen zusammenzukommen.“
Noch wichtiger sei aber, dass sehr oft politische Themen in die ethische Diskussion einfließen, was Gespräche über rein ärztliche Themen erschwere. Allerdings ließen sich diese Themen ohnehin oft nicht voneinander trennen – beispielsweise, wenn es um Menschenrechte oder Angriffe auf Ärzteorganisationen gehe.
„Wir erleben das in Staaten wie zum Beispiel der Türkei, wo die Ärzteorganisation unter massivem Druck der Regierung ist und aufgelöst werden soll, beziehungsweise die Regierung eine neue Führung haben möchte“, erklärte er. „Das sind alles Probleme, die da reinspielen und die gesamte Arbeit mehr politisieren.“
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Otmar Kloiber über ethische Aufgaben und Grundsätze des Weltärztebundes
Der Türkische Ärztebund (TBB), die berufsständische Organisation der freiberuflichen Ärzte in der Türkei, ist bereits seit mehreren Jahren Ziel von Repressionen der Regierung von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan. Seine Präsidentin, die international renommierte Rechtsmedizinerin und Menschenrechtsaktivistin Şebnem Korur Fincancı, ist seit vielen Jahren eine laute Kritikerin Erdoğans.
Im Oktober 2022 war gegen sie wegen des Verdachts der „Terrorpropaganda“ und der „Beleidigung staatlicher Organe“ Untersuchungshaft verhängt worden, weil sie nach Vorwürfen des Einsatzes chemischer Kampfstoffe durch die türkischen Streitkräfte eine unabhängige Untersuchung der Vorgänge gefordert hatte. Bundesärztekammer (BÄK) und Weltärztebund protestierten gegen die Verhaftung.
Es ist nur ein Gerichtsverfahren unter vielen, die gegen sie und andere TBB-Funktionäre laufen. „Sie instrumentalisieren die Justiz und eröffnen ein Verfahren nach dem anderen gegen uns“, sagt Fincancı dem Deutschen Ärzteblatt. „Wegen eines Interviews, das ich gegeben habe, wurden mehrere Vorstandsmitglieder ihres Amtes enthoben“, erklärte sie.
Zwischenzeitlich auf Gerichtsbeschluss freigelassen, wurde sie in besagtem Verfahren Anfang vergangenen Jahres zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt. Da der Fall derzeit bei einem Berufungsgericht liegt, ist das Urteil noch nicht rechtskräftig und Fincancı weiter im Amt.
Unterdessen hätten Regierung und regierungstreue Medien versucht, ihre Wiederwahl zur TBB-Präsidentin durch Diffamierungen und Rufmord zu verhindern, kritisierte sie. „Sie haben versucht, die Kammerwahlen zu bekämpfen“, sagte Fincancı. „Sie haben gehofft, dass wir sie verlieren. Das hat nicht geklappt.“
Neben politischer Repression sei vor allem die wachsende Zahl von Kriegen und Krisen eine große Herausforderung, erklärte Kloiber. Es sei sehr schwer, von Ärzten und anderem medizinischem Personal in einer Kriegssituation die Einhaltung eines ethischen Kodex zu verlangen. „Aber ich glaube, wir sind da eigentlich auf einem sehr guten Weg und die Kollegen verstehen, dass Freund und Feind gleichermaßen behandelt werden müssen“, sagte er.
Ein anderes schwerwiegendes Problem sei der Missbrauch medizinischer Einrichtungen. Vor allem im Gaza-Konflikt sei zuletzt zu beobachten gewesen, dass Krankenhäuser zur Stationierung von Truppen oder von Waffen gebraucht werden. Dieser Missbrauch führe dann dazu, dass seitens der israelischen Armee Gewalt gegen diese Einrichtungen ausgeübt werde.
„Das ist alles unerträglich, das darf nicht sein“, unterstrich Kloiber. Diese Institutionen und ihr Personal müssten den Schutz des humanitären Völkerrechts genießen. „Das ist etwas, wofür wir uns einsetzen und auch kämpfen: dass die medizinischen Einrichtungen geschützt werden, aber eben auch freigehalten werden von militärischen Aktivitäten.“
Hinzu komme, dass eine zunehmende Verrohung zu beobachten sei: „Wir haben es in der täglichen Diskussion derzeit in Angriffen gegen Politiker, die uns ja wirklich sehr erschrecken und an Zeiten in den Dreißigerjahren erinnern, aber wir sehen das auch im Gesundheitswesen.“
Diese Verrohung sei im Umgang in Kliniken und in Praxen genauso zu sehen wie in Gewalt gegenüber Ärzten und Angestellten. „Wir fordern die Politik auf, jetzt nicht nach punktuellen Lösungen zu suchen, sondern wirklich nach gesamtgesellschaftlichen Lösungen“, so Kloiber. „Diese Herabsetzung der Schwelle, Gewalt anzuwenden, muss bekämpft werden.“ © lau/aerzteblatt.de