Esten

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Die Esten (Eigenbezeichnung Eestlased) sind ein nordeuropäisches Volk von eigenständigem Typus mit ca. 1 Million Angehörigen. Sie bilden als indigenes Volk die Staatsbevölkerung der Republik Estland. Im Gegensatz zum Staatsgebiet Estlands, das dem Baltikum zugerechnet wird, rechnen die Esten – zusammen mit den Samen und Finnen – zur Völkergemeinschaft nordeuropäischen Typs innerhalb der finno-ugrischen Völkergemeinschaft. Die estnische Sprache ist Teil der finno-ugrischen Sprachfamilie, wobei sich der Ostseefinnische Typus erkennbar von den anderen Sprachen abgrenzt.

Über die Frühgeschichte der Esten ist, wie bei allen Völkern ohne schriftliche Aufzeichnungen, nicht allzu viel bekannt. Eine biologische Verwandtschaft mit den Wolga-Finnen oder Permjaken (Komi und Udmurten) scheint angesichts ihrer geringen Ähnlichkeit wenig wahrscheinlich. Die Völker der Eismeerküste von den Nenzen im Osten bis zu den Samen im Westen weisen eine von den klimatischen Gegebenheiten bestimmte, ähnliche Kultur auf.

Der erste schriftliche Bericht stammt von dem römischen Historiker Tacitus. Dieser berichtet im Jahre 98 in seiner Germania von den Aestii. Dies war die Bezeichnung, die die Germanen den Bewohnern nordöstlich der Weichsel gaben. Tacitus beschrieb die „Stämme der Aestier, die die Bräuche und Tracht der Sueben haben“, doch deren Sprache der britannischen nähersteht.[1]

Im 13. Jahrhundert wurden die Esten im südlichen Livland durch Ritter des Deutschen Orden in den Litauerkriegen dem Deutsch-Baltischen Adel unterworfen und zwangschristianisiert. Es entwickelten sich zwei grundverschiedene Bevölkerungsschichten: Die einheimische, estnische Landbevölkerung und die zugewanderte, deutsche Herrschaftsschicht. Auch nach dem Zerfall des Ordensgebietes sicherte das 1561 erlassene Privilegium Sigismundi Augusti den Ständen das Recht auf die deutsche Sprache, die deutsche Gerichtsbarkeit und den evangelischen Glauben zu. Die Deutsche Sprache blieb bis ins 20. Jahrhundert die Hauptverkehrssprache der gehobenen Schichten. Jeder Este, der einen gesellschaftlichen Aufstieg vollziehen wollte, war zu einer weitgehenden Anpassung gezwungen. So war die traditionsreiche Kaiserliche Universität zu Dorpat (Tartu) bis 1880 deutschsprachig und auch intellektuell und hinsichtlich des Lehrkörpers eine deutsche Universität.

Erst zur Mitte des 19. Jahrhunderts entstand ein Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Esten und führte zum Erwachen des estnischen Nationalbewusstseins. An der Entwicklung des estnischen Nationalbewusstseins hatten aber auch viele estophile Deutschbalten, wie zum Beispiel Garlieb Helwig Merkel, entscheidenden Anteil. Die nationale Bewegung richtete sich gegen die Vormundschaft und Privilegierung der Deutschbalten und die vom Zarenreich ausgehende Russifizierung mit der Einführung der russischen Sprache als Amts- und Unterrichtssprache. Zwischen diesen Polen bildet sich ein schnell wachsendes Nationalbewusstsein, doch erst 1918 konnten die Esten ihre Unabhängigkeit erlangen.

Der Zweite Weltkrieg beendete die soeben erlangte Unabhängigkeit und hatte zur Folge, dass sich die Bevölkerungszahl Estlands um 200.000 verringerte. In den 1940er-Jahren kamen zehntausende Esten durch Krieg, Terror und Okkupation der Sowjetunion und des Deutschen Reiches ums Leben. Darunter zählt die Bilanz 30.000 gefallene Esten. Etwa 1000 Esten jüdischer Herkunft wurden im Holocaust ermordet.[2] Nach dem Krieg verringerte sich die Zahl der Esten im eigenen Land nochmals um 80.000 Menschen, welche aus Furcht vor einer neuen Terrorwelle der Sowjetunion flüchteten und während der bis 1991 andauernde Okkupation des Landes kamen 12.000 Esten gewaltsam ums Leben.[3] Im Rahmen umfassender Russifizierungspolitik kam es zu Zwangsansiedlungen von Russen, in deren Folge der prozentuale Anteil der Esten innerhalb der Estnische SSR von ca. 90% bei Kriegsende auf 60% am Ende der 1980er-Jahre sank.[4] Auch nach Wiedererlangung der Souveränität sind etwa 25% der Bevölkerung der Republik Estland russischsprachig. Es kommt jedoch zunehmend zu einer Vermischung beider Völker.

Von der beträchtlichen Zahl an Auslandsesten leben 40.000 in Russland, viele davon in der zwischen beiden Ländern lange umstrittenen Region Setumaa. Die alte russische Bezeichnung für die Esten war Tschuden.

Referenzen

  1. 45. Die Aestier und der Bernstein.
  2. Burkhard Asmuss (Hrsg.): Holocaust. Der nationalsozialistische Völkermord und die Motive seiner Erinnerung. Deutsches Historisches Museum. Berlin 2002, ISBN 3-932353-60-9.
  3. Laar, Mart: Estland im Zweiten Weltkrieg. Tallinn 2005.
  4. Laar, Mart: Streifzug durch die estnische Geschichte. Tallinn 2005.